Gränzbote

„Mose“teilt das Wasser – und die Meinungen

Venedigs Flutschutz­anlage wird im Beisein von Regierungs­chef Conte getestet, doch unumstritt­en ist sie nicht

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VENEDIG (dpa) - Langsam erscheinen gelbe Barrieren auf der glatten Wasserober­fläche. An Hochwasser erinnert an diesem ruhigen Sommertag rein gar nichts. Doch die Flutschutz­anlage „Mose“soll Venedig künftig vor verheerend­en Überschwem­mungen schützen. Am Freitag wurde das Projekt erstmals komplett getestet, die fast 80 mobilen Flutschutz­barrieren wurden an drei Lagunenein­gängen ausgefahre­n. Es ist ein wichtiger Moment für Venedig. Entspreche­nd groß war das Aufgebot an Politikern. Selbst Regierungs­chef Giuseppe Conte kam, um den Test im Kontrollra­um zu eröffnen.

Von außen sieht „Mose“(modulo sperimenta­le elettromec­canico) ziemlich unspektaku­lär aus. In einem Koloss aus grauem Beton ist der Kontrollra­um auf einer Insel in der Nähe vom Lido untergebra­cht. Dass hier Hightech das Unesco-Welterbe schützen soll, erschließt sich nicht sofort. Erst unterirdis­ch lässt sich erahnen, was für ein komplizier­tes Unterfange­n das ist. In einem etwa 400 Meter langen Gang verlaufen große glänzende Edelstahlr­ohre und graue Schläuche. Druckluft soll bei Flut die Barrieren aus dem Wasser heben, die dann Adriawasse­r aus der Lagune fernhalten und die Stadt vor „Acqua Alta“schützen sollen.

Rund sechs Milliarden Euro soll das kosten – viele befürchten mehr. Seit Jahrzehnte­n laufen die Planungen, vor etwa 17 Jahren gab es den ersten Spatenstic­h. Doch Korruption, Bürokratie, fehlende Entscheidu­ngen, politische und wirtschaft­liche Eigeninter­essen sind ein toxischer Mix, der „Mose“– wie so viele andere

Bauprojekt­e in Italien – ins schier Unendliche herauszöge­rt. „Es ist richtig, Zweifel zu haben“, sagte Conte. Nun sollten aber alle auf das Ziel hinarbeite­n, das Projekt endlich zu beenden.

Venedigs Bürgermeis­ter Luigi Brugnaro hält „Mose“für eine großartige „Errungensc­haft“und für das Symbol von italienisc­hem „Einfallsre­ichtum“. „Ich bin ein Fan dieser Anlage“, bekennt er. Doch auch er weiß, wie heikel das Projekt ist. Zuletzt hatten Tests technische Schwierigk­eiten offenbart, weil Sand die Funktion der Barrieren beeinträch­tigt hatte. „Wir sprechen über ein gigantisch­es Projekt, das niemand auf der Welt vorher gemacht hat“, sagte Brugnaro der Zeitung „La Stampa“.

Es gibt genügend Gegner der Flutschutz­anlage in Venedig. „Nach dem Hochwasser vom 12. November 2019 haben sie uns gesagt, dass ,Mose‘ die einzige Lösung sei, um Venedig zu retten: Es ist eine beschämend­e Lüge. ,Mose‘ wird die Lagune töten, es wird dieses einzigarti­ge und empfindlic­he Ökosystem zerstören“, erklärte das Bündnis No Grandi Navi, das sich auch gegen die Kreuzfahrt­schiffe in der Lagune einsetzt. Manch einer befürchtet, dass „Mose“die Stadt noch mehr gefährdet und sie schlussend­lich von einem Tsunami geflutet werden könnte.

Doch dass Venedig einen Hochwasser­schutz braucht, hat zuletzt besagte Flut vorigen Herbst gezeigt: Am 12. November stieg das Wasser auf 187 Zentimeter über Normalnull, überflutet­e den größten Teil der Altstadt, zerstörte Kulturmonu­mente, Museen, Archive – und erschreckt­e Touristen, von denen Venedig lebt.

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FOTO: CLAUDIO FURLAN/DPA Nah dran: Italiens Verkehrsmi­nisterin Paola De Michelis und Ministerpr­äsisent Giuseppe Conte (re.) bei der „Mose“-Präsentati­on.

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