Gränzbote

Minister erhöhen Druck

Heil und Müller drängen auf ein Lieferkett­engesetz

- Von Hannes Koch, Andreas Knoch und unseren Agenturen

BERLIN (KNA) - Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) und Entwicklun­gsminister Gerd Müller (CSU) fordern weiter ein Lieferkett­engesetz. Ziel sei es, den Gesetzentw­urf im August im Kabinett zu beschließe­n, sagte Heil am Dienstag in Berlin. Mit dem Gesetz solle durchgeset­zt werden, dass nach Deutschlan­d importiert­e Produkte unter menschenwü­rdigen Arbeitsbed­ingungen hergestell­t würden und Kinderarbe­it ausgeschlo­ssen werde.

Die Minister äußerten sich nach der Veröffentl­ichung einer Unternehme­nsbefragun­g über die Einhaltung fairer Arbeitsver­hältnisse auf freiwillig­er Basis. Geantworte­t hätten 455 der 2250 Unternehme­n. Etwa 22 Prozent legen großen Wert auf die Zustände bei ihren ausländisc­hen Zulieferer­n.

BERLIN/RAVENSBURG - Ein erstaunlic­h schlechtes Ergebnis hat die Umfrage der Bundesregi­erung zu Menschenre­chten bei einheimisc­hen Unternehme­n erbracht. Nur etwa ein Fünftel der Firmen hält demnach die Anforderun­gen des Aktionspla­ns für Menschenre­chte (NAP) ein. „Die Gruppe der Erfüller hat sich im Vergleich zur Unternehme­nsbefragun­g 2019 in ihrer Größenordn­ung nicht maßgeblich verändert“, teilten Bundesentw­icklungsmi­nister Gerd Müller (CSU) und Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) am Dienstag mit. Deshalb sei es nun nötig, ein Lieferkett­engesetz zu beschließe­n.

Der Aktionspla­n basiert auf Beschlüsse­n der Vereinten Nationen und sieht vor, dass Unternehme­n Verstöße gegen die Menschenre­chte in ihren weltweiten Zulieferfa­briken vermeiden müssen. Beispielsw­eise in den Textilfabr­iken Asiens sollen ausreichen­de Löhne gezahlt, Arbeitsund Umweltschu­tz gewährleis­tet werden. Hiesige Händler wie Kik oder Adidas sind mitverantw­ortlich, was bei ihren Lieferante­n passiert. Um zu überprüfen, ob die Firmen den Aktionspla­n einhalten, hat die Bundesregi­erung zwei Umfragen als Stichprobe­n in Auftrag gegeben. Erfüllt darin weniger als die Hälfte der Unternehme­n die Kriterien freiwillig, soll laut Koalitions­vertrag ein Gesetz kommen, das die Firmen verpflicht­et.

Am Dienstag nun wurde das Ergebnis der zweiten Umfragerun­de veröffentl­icht. „Von den rund 2250 befragten Unternehme­n haben nur 455 gültige Antworten zurückgeme­ldet“, erklärten Heil und Müller. Von diesen hätten etwa 20 Prozent die Anforderun­gen des NAP eingehalte­n – deutlich weniger als die von der Regierung verlangten 50 Prozent. „Die Ergebnisse sind erneut enttäusche­nd“, sagte Müller. „Wir brauchen jetzt einen gesetzlich­en Rahmen.“

Heil: „Die Umfrage zeigt, dass Freiwillig­keit nicht ausreicht.“Er betonte, das Lieferkett­engesetz werde nur verlangen, was machbar und verhältnis­mäßig sei. Zugleich schaffe es Rechts- und Handlungss­icherheit für die Unternehme­n. Nach Angaben von Müller ist die Wirtschaft eingeladen, sich offen und konstrukti­v in den Prozess einzubring­en. Fairer Handel in globalen Lieferkett­en sei der wichtigste Schlüssel für Entwicklun­g, die Schaffung von Arbeitsplä­tzen und den Schutz der Umwelt in den Entwicklun­gsländern, so der Minister. Die Ausbeutung von Mensch und Natur sowie Kinderarbe­it dürfe nicht zur Grundlage einer globalen Wirtschaft und unseres

Wohlstande­s werden. „Das wäre ein Bumerang, der auf uns zurückschl­ägt. Unser ökosoziale­s Wirtschaft­smodell kann Vorbild für eine globale Wirtschaft sein“, so Heil.

Eckpunkte für ein Gesetz haben die beiden Ministerie­n bereits ausarbeite­n lassen. Im August wollen sie es dem Bundeskabi­nett vorlegen. Die Regelungen würden für gut 7000 hiesige Unternehme­n mit jeweils über 500 Beschäftig­ten gelten. Diese wären verpflicht­et, menschenre­chtliche Risiken bei ihren Zulieferer­n „zu ermitteln“, „Maßnahmen zu ergreifen und zu überprüfen“. So müssen die Betriebe etwa Beschwerde­mechanisme­n einrichten, um den ausländisc­hen Arbeitern zu ermögliche­n, ihre Probleme mitzuteile­n. Ferner sollen sie einmal jährlich berichten, wie sie Menschenre­chtsverlet­zungen vermeiden. Wer dagegen verstößt, kann vor bundesdeut­schen Gerichten auf Schadeners­atz verklagt werden. Hiesige Behörden dürfen Bußgelder verhängen und Firmen von öffentlich­en Aufträgen ausschließ­en. Sollte es zu Menschenre­chtsverlet­zungen entlang der Lieferkett­e kommen, obwohl das Unternehme­n alles unternomme­n hat, diese zu vermeiden, drohen den Unternehme­n keine Konsequenz­en.

Ein solches Gesetz fordern Entwicklun­gsund Umweltorga­nisationen sowie die kirchliche­n Hilfswerke Misereor und Brot für die Welt seit Langem. Die Gewerkscha­ft Verdi und der Bundesverb­and der Verbrauche­rzentralen ist ebenfalls dafür.

Auch mehrere Dutzend Unternehme­n haben sich der Forderung angeschlos­sen, unter anderem Rewe, Kik, Alfred Ritter (Ritter Sport), Tchibo, Nestlé und Vaude. Etliche dieser Firmen, die sich jetzt schon an Standards halten, befürchten demnach Wettbewerb­snachteile, wenn andere Unternehme­n sich keinen Regeln unterwerfe­n müssen. „Wir setzen uns schon seit Langem für eine gesetzlich­e Sorgfaltsp­flicht in Lieferkett­en ein und unterstütz­en den Vorstoß von Entwicklun­gsminister Müller. Es ist anstrengen­d, aufwendig, es bringt Mehrkosten mit sich, aber grundsätzl­ich ist es machbar. Die Mehrkosten und Aufwände führen dazu, dass Unternehme­n, die diesen Weg gehen, sich im Wettbewerb benachteil­igen und ein höheres Risiko eingehen. Momentan ist das also nur ein Weg für Pioniere, kein Weg für die breite Masse der Unternehme­n“, sagte VaudeChefi­n Antje von Dewitz der „Schwäbisch­en Zeitung“. Ein Lieferkett­engesetz würde hier die notwendige­n

Mindeststa­ndards setzen, die von allen Unternehme­n gleicherma­ßen getragen werden, so von Dewitz.

Didier Reynders, der belgische EU-Kommissar für Justiz, kündigte Ende April 2020 ein europäisch­es Lieferkett­engesetz für das kommende Jahr an.

Dagegen mobilisier­en hierzuland­e die Wirtschaft­sverbände BDI, BDA, HDE und DIHK. Ihnen geht es zu weit, dass deutsche Firmen für das Fehlverhal­ten ausländisc­her Lieferante­n haftbar gemacht werden sollen. Hohe Kosten drohten, der Mittelstan­d sei überforder­t. „Kein Unternehme­n darf für das Verhalten unabhängig­er Dritter im Ausland in formale Haftung genommen werden“, heißt es in einer Stellungna­hme der vier Spitzenver­bände. Das widersprec­he den Regeln der Vereinten Nationen, die eine Haftung allein wegen der „Existenz von Geschäftsb­eziehungen“ausdrückli­ch ausschlöss­en. Sie schlagen vor, bestehende Berichters­tattungspf­lichten für europäisch­e Unternehme­n um den Aspekt der menschenre­chtlichen Sorgfaltsp­rozesse zu ergänzen. „Die Wirtschaft ist bereit, sich konstrukti­v einzubring­en und an der praxistaug­lichen Ausgestalt­ung einer solchen Regelung mitzuwirke­n.“

Aus dem Haus von Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) ist ebenfalls Widerstand gegen das Gesetz zu erwarten. „Schnellsch­üsse verbieten sich bei so wichtigen Themen wie diesem“, sagte eine Sprecherin. Im BMWi wird unter anderem bemängelt, man sei in die Vorbereitu­ngen zum Gesetz nicht eingebunde­n. Außerdem sei es wegen der Corona-Pandemie nicht ratsam, den Unternehme­n neue, komplizier­te Vorschrift­en zu machen.

Das Lieferkett­engesetz geht auf den „Nationalen Aktionspla­n Wirtschaft und Menschenre­chte“(NAP) aus dem Jahr 2016 zurück, der auch im Koalitions­vertrag bekräftigt wird. Dieser sieht vor: Wenn sich bis 2020 herausstel­lt, dass weniger als die Hälfte der großen Unternehme­n mit mehr als 500 Beschäftig­ten ihrer menschenre­chtlichen Sorgfaltsp­flicht nachkommen, sollen „weitergehe­nde Schritte bis hin zu gesetzlich­en Maßnahmen“geprüft werden. Dazu liefen seit dem vergangene­n Sommer Umfragen zur Selbsteins­chätzung deutscher Unternehme­n. (dpa)

 ?? FOTO: UTE GRABOWSKY/IMAGO IMAGES ?? Bundesentw­icklungsmi­nister Gerd Müller beim Besuch der Textilfabr­ik Tivoli Apparels Ltd. in Bangladesc­h im Februar dieses Jahres: „Die Ergebnisse sind erneut enttäusche­nd.“
FOTO: UTE GRABOWSKY/IMAGO IMAGES Bundesentw­icklungsmi­nister Gerd Müller beim Besuch der Textilfabr­ik Tivoli Apparels Ltd. in Bangladesc­h im Februar dieses Jahres: „Die Ergebnisse sind erneut enttäusche­nd.“

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