Minister erhöhen Druck
Heil und Müller drängen auf ein Lieferkettengesetz
BERLIN (KNA) - Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) fordern weiter ein Lieferkettengesetz. Ziel sei es, den Gesetzentwurf im August im Kabinett zu beschließen, sagte Heil am Dienstag in Berlin. Mit dem Gesetz solle durchgesetzt werden, dass nach Deutschland importierte Produkte unter menschenwürdigen Arbeitsbedingungen hergestellt würden und Kinderarbeit ausgeschlossen werde.
Die Minister äußerten sich nach der Veröffentlichung einer Unternehmensbefragung über die Einhaltung fairer Arbeitsverhältnisse auf freiwilliger Basis. Geantwortet hätten 455 der 2250 Unternehmen. Etwa 22 Prozent legen großen Wert auf die Zustände bei ihren ausländischen Zulieferern.
BERLIN/RAVENSBURG - Ein erstaunlich schlechtes Ergebnis hat die Umfrage der Bundesregierung zu Menschenrechten bei einheimischen Unternehmen erbracht. Nur etwa ein Fünftel der Firmen hält demnach die Anforderungen des Aktionsplans für Menschenrechte (NAP) ein. „Die Gruppe der Erfüller hat sich im Vergleich zur Unternehmensbefragung 2019 in ihrer Größenordnung nicht maßgeblich verändert“, teilten Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) am Dienstag mit. Deshalb sei es nun nötig, ein Lieferkettengesetz zu beschließen.
Der Aktionsplan basiert auf Beschlüssen der Vereinten Nationen und sieht vor, dass Unternehmen Verstöße gegen die Menschenrechte in ihren weltweiten Zulieferfabriken vermeiden müssen. Beispielsweise in den Textilfabriken Asiens sollen ausreichende Löhne gezahlt, Arbeitsund Umweltschutz gewährleistet werden. Hiesige Händler wie Kik oder Adidas sind mitverantwortlich, was bei ihren Lieferanten passiert. Um zu überprüfen, ob die Firmen den Aktionsplan einhalten, hat die Bundesregierung zwei Umfragen als Stichproben in Auftrag gegeben. Erfüllt darin weniger als die Hälfte der Unternehmen die Kriterien freiwillig, soll laut Koalitionsvertrag ein Gesetz kommen, das die Firmen verpflichtet.
Am Dienstag nun wurde das Ergebnis der zweiten Umfragerunde veröffentlicht. „Von den rund 2250 befragten Unternehmen haben nur 455 gültige Antworten zurückgemeldet“, erklärten Heil und Müller. Von diesen hätten etwa 20 Prozent die Anforderungen des NAP eingehalten – deutlich weniger als die von der Regierung verlangten 50 Prozent. „Die Ergebnisse sind erneut enttäuschend“, sagte Müller. „Wir brauchen jetzt einen gesetzlichen Rahmen.“
Heil: „Die Umfrage zeigt, dass Freiwilligkeit nicht ausreicht.“Er betonte, das Lieferkettengesetz werde nur verlangen, was machbar und verhältnismäßig sei. Zugleich schaffe es Rechts- und Handlungssicherheit für die Unternehmen. Nach Angaben von Müller ist die Wirtschaft eingeladen, sich offen und konstruktiv in den Prozess einzubringen. Fairer Handel in globalen Lieferketten sei der wichtigste Schlüssel für Entwicklung, die Schaffung von Arbeitsplätzen und den Schutz der Umwelt in den Entwicklungsländern, so der Minister. Die Ausbeutung von Mensch und Natur sowie Kinderarbeit dürfe nicht zur Grundlage einer globalen Wirtschaft und unseres
Wohlstandes werden. „Das wäre ein Bumerang, der auf uns zurückschlägt. Unser ökosoziales Wirtschaftsmodell kann Vorbild für eine globale Wirtschaft sein“, so Heil.
Eckpunkte für ein Gesetz haben die beiden Ministerien bereits ausarbeiten lassen. Im August wollen sie es dem Bundeskabinett vorlegen. Die Regelungen würden für gut 7000 hiesige Unternehmen mit jeweils über 500 Beschäftigten gelten. Diese wären verpflichtet, menschenrechtliche Risiken bei ihren Zulieferern „zu ermitteln“, „Maßnahmen zu ergreifen und zu überprüfen“. So müssen die Betriebe etwa Beschwerdemechanismen einrichten, um den ausländischen Arbeitern zu ermöglichen, ihre Probleme mitzuteilen. Ferner sollen sie einmal jährlich berichten, wie sie Menschenrechtsverletzungen vermeiden. Wer dagegen verstößt, kann vor bundesdeutschen Gerichten auf Schadenersatz verklagt werden. Hiesige Behörden dürfen Bußgelder verhängen und Firmen von öffentlichen Aufträgen ausschließen. Sollte es zu Menschenrechtsverletzungen entlang der Lieferkette kommen, obwohl das Unternehmen alles unternommen hat, diese zu vermeiden, drohen den Unternehmen keine Konsequenzen.
Ein solches Gesetz fordern Entwicklungsund Umweltorganisationen sowie die kirchlichen Hilfswerke Misereor und Brot für die Welt seit Langem. Die Gewerkschaft Verdi und der Bundesverband der Verbraucherzentralen ist ebenfalls dafür.
Auch mehrere Dutzend Unternehmen haben sich der Forderung angeschlossen, unter anderem Rewe, Kik, Alfred Ritter (Ritter Sport), Tchibo, Nestlé und Vaude. Etliche dieser Firmen, die sich jetzt schon an Standards halten, befürchten demnach Wettbewerbsnachteile, wenn andere Unternehmen sich keinen Regeln unterwerfen müssen. „Wir setzen uns schon seit Langem für eine gesetzliche Sorgfaltspflicht in Lieferketten ein und unterstützen den Vorstoß von Entwicklungsminister Müller. Es ist anstrengend, aufwendig, es bringt Mehrkosten mit sich, aber grundsätzlich ist es machbar. Die Mehrkosten und Aufwände führen dazu, dass Unternehmen, die diesen Weg gehen, sich im Wettbewerb benachteiligen und ein höheres Risiko eingehen. Momentan ist das also nur ein Weg für Pioniere, kein Weg für die breite Masse der Unternehmen“, sagte VaudeChefin Antje von Dewitz der „Schwäbischen Zeitung“. Ein Lieferkettengesetz würde hier die notwendigen
Mindeststandards setzen, die von allen Unternehmen gleichermaßen getragen werden, so von Dewitz.
Didier Reynders, der belgische EU-Kommissar für Justiz, kündigte Ende April 2020 ein europäisches Lieferkettengesetz für das kommende Jahr an.
Dagegen mobilisieren hierzulande die Wirtschaftsverbände BDI, BDA, HDE und DIHK. Ihnen geht es zu weit, dass deutsche Firmen für das Fehlverhalten ausländischer Lieferanten haftbar gemacht werden sollen. Hohe Kosten drohten, der Mittelstand sei überfordert. „Kein Unternehmen darf für das Verhalten unabhängiger Dritter im Ausland in formale Haftung genommen werden“, heißt es in einer Stellungnahme der vier Spitzenverbände. Das widerspreche den Regeln der Vereinten Nationen, die eine Haftung allein wegen der „Existenz von Geschäftsbeziehungen“ausdrücklich ausschlössen. Sie schlagen vor, bestehende Berichterstattungspflichten für europäische Unternehmen um den Aspekt der menschenrechtlichen Sorgfaltsprozesse zu ergänzen. „Die Wirtschaft ist bereit, sich konstruktiv einzubringen und an der praxistauglichen Ausgestaltung einer solchen Regelung mitzuwirken.“
Aus dem Haus von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) ist ebenfalls Widerstand gegen das Gesetz zu erwarten. „Schnellschüsse verbieten sich bei so wichtigen Themen wie diesem“, sagte eine Sprecherin. Im BMWi wird unter anderem bemängelt, man sei in die Vorbereitungen zum Gesetz nicht eingebunden. Außerdem sei es wegen der Corona-Pandemie nicht ratsam, den Unternehmen neue, komplizierte Vorschriften zu machen.
Das Lieferkettengesetz geht auf den „Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte“(NAP) aus dem Jahr 2016 zurück, der auch im Koalitionsvertrag bekräftigt wird. Dieser sieht vor: Wenn sich bis 2020 herausstellt, dass weniger als die Hälfte der großen Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht nachkommen, sollen „weitergehende Schritte bis hin zu gesetzlichen Maßnahmen“geprüft werden. Dazu liefen seit dem vergangenen Sommer Umfragen zur Selbsteinschätzung deutscher Unternehmen. (dpa)