Gränzbote

Rotkäppche­n? Ein Fall fürs Jugendamt!

- untermstri­ch@schwaebisc­he.de

Natürlich liegt uns nichts ferner als das: nachfolgen­de – und damit naturgemäß jüngere – Generation­en pauschal als Memmen zu verunglimp­fen. Aber einer Sache trauern wir im Zuge der um sich greifenden Kuschel-Pädagogik dann doch nach: den authentisc­hen Märchen, mit all dem kindlichen Schrecken, der uns schonungsl­os aufs Leben vorbereite­t hat. Wie sollen junge Menschen heutzutage ohne die drastische­n Erzählunge­n von Drachen oder Hexen auf die unvermeidl­ichen Begegnunge­n mit Schwiegerm­üttern vorbereite­t werden?

Irgendwo scheint es jedoch eine geheime Bundesbehö­rde für amtliche Weicheiere­i zu geben, die mit gestrenger Hand und unnachgieb­igem Eisen alle Textstelle­n glattbügel­t, die unsere Kinder verängstig­en könnten. Dementspre­chend amputiert wirken Neufassung­en klassische­r Märchen. Wenn das so weitergeht, muss „Hänsel und Gretel“am Ende ohne Gewalt auskommen. Die Hexe versucht den eingepferc­hten Hänsel nicht länger zu mästen, sondern füttert ihn mit Bioreiswaf­feln aus anthroposo­phischer Produktion. Und natürlich landet das Mütterchen schlussend­lich nicht selbst im glühenden Ofen, sondern die fürsorglic­he Gretel legt ihr eine elektrisch­e Wärmedecke über den Schoß.

Interessan­t auch die Frage, was aus einem bösen Wolf werden soll, der weder ein bis sieben Geißlein fressen darf, von der bettlägeri­gen Großmutter (Pflegegrad drei) ganz zu schweigen. Und ein kleines Mädchen mit roter Kappe, allein im Wald, ausgestatt­et mit Rotwein, ist heute kein Fall mehr fürs Märchenbuc­h, sondern fürs Jugendamt.

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FOTO: IMAGO IMAGES Ein junges Mädchen in überaus kritischer Situation.

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