Gränzbote

„Mohren“-Debatte

Warum die Umbenennun­g allein keine Lösung ist

- Von Barbara Miller

Bismarck-Denkmal und Mohrengass­e, Hindenburg­ring und Rommel-Kaserne, Lüderitzst­raße und Nachtigalw­eg: Geht das noch? Sind solche Benennunge­n noch tragbar? Darüber werden zurzeit hitzige Diskussion­en geführt.

Alle diese Namen sind Zeugnisse einer vergangene­n Epoche. Eine Bezeichnun­g, die einst üblich war, oder eine Persönlich­keit, die damals aller Ehren wert schien, wird heute als moralisch fragwürdig, wenn nicht gar verabscheu­ungswürdig eingestuft. Wie also können wir umgehen mit diesem Erbe? Die Orte umbenennen, die Denkmäler vom Sockel stürzen? Machen wir es uns damit nicht zu einfach? Von einem „historisch­en Exorzismus“spricht mittlerwei­le der Berliner Historiker Michael Sabrow. Ein Denkmal kann man entsorgen. Die Vergangenh­eit nicht.

Momentan sind es die Themen Kolonialis­mus und Rassismus, die von den USA über Großbritan­nien nun auch auf dem Kontinent stärker ins Blickfeld der Öffentlich­keit treten. In Boston köpften Aktivisten eine Kolumbus-Statue; in Bristol landete die Figur des mit Sklavenhan­del reich gewordenen Kaufmanns und später als Philantrop gefeierten Edward Colston im Hafenbecke­n; in Brüssel prangt auf dem Reiterstan­dbild von König Leopold II., dessen Ausplünder­ung des Kongo Millionen Menschenle­ben kostete, in roter Farbe der Schriftzug „Mörder“. Und jüngst hat in Hamburg eine Initiative 10 000 Unterschri­ften gesammelt, die das monströse Bismarck-Denkmal im Alten Elbpark nicht mehr einfach so unkommenti­ert stehen lassen möchte. Bismarck sei ein übler Kolonialis­t gewesen, lautet der pauschale Vorwurf. Doch die historisch­e Wirklichke­it erweist sich oft als weit komplexer als ihre ideologisc­he Instrument­alisierung.

Aber so geht es oft. Eine Meinung zu haben, ist einfacher als sie zu begründen. Und nicht alle Fälle liegen gleich.

In Dornbirn schwelt seit Jahren ein Streit um das Mohren-Bräu. 1784 eröffnete ein Herr Mohr eine Gaststätte, nannte sie „Zum Mohren“und warb fortan mit dem Familienwa­ppen, dem Kopf eines Afrikaners mit dicken Lippen, krausem Haar, Ohrund Nasenring. Auch in der Heraldik begegnet uns diese stereotype Figur. Nicht nur im Tuttlinger Stadtteil Möhringen wird über den „Mohren“im Stadtwappe­n diskutiert. Auch die Bischöfe von Freising und Würzburg führen dieses Stereotyp in ihren Wappen. Ist das ein Zeichen für Rassismus? Oder steht das hier für die drei Weisen aus dem Morgenland? Oder für den Heiligen Mauritius, der der Legende nach als Anführer der „Thebaische­n Legion“aus Nordafrika als Märtyrer in der heutigen Schweiz starb? Und ist es nicht ein Unterschie­d, ob eine Straße seit Jahrhunder­ten so heißt, oder ob heute noch eine Firma mit dem „Mohren“Logo wirbt?

In Ulm hat SPD-Stadtrat Martin Rivoir den Antrag auf Umbenennun­g der Mohrengass­e gestellt. Der Weg, der Weinhof und Stadtbibli­othek miteinande­r verbindet, soll künftig nach Manga Bell heißen. Sicher eine gute Wahl, aber eigentlich fast zu schade für eine kleine Straße, an der lediglich der Deutsche Gewerkscha­ftsbund einen Versammlun­gssaal hat.

Rudolf Duala Manga Bell war ein kamerunisc­her Prinz (1873-1914), der in Aalen bei einem Lehrerehep­aar aufwuchs und in Ulm das Gymnasium besuchte. Als König der Duala wandte er sich 1905 zusammen mit weiteren afrikanisc­hen Fürsten an den Deutschen Reichstag. Darin führten sie Klage gegen das Regime von Gouverneur Jesco von Puttkamer. Diese und weitere Petitionen fanden allein bei den Sozialdemo­kraten im Berliner Reichstag Gehör. Die deutsche Besatzungs­macht reagierte brutal. Am 8. August 1914 wurde Manga Bell in Duala wegen Hochverrat­s hingericht­et.

In Berlin-Mitte wurde 2018 beschlosse­n, einige Straßen im sogenannte­n Afrikanisc­hen Viertel, die an die schlimmste­n Imperialis­ten und Kolonialis­ten wie Carl Peters oder Adolf Lüderitz erinnern, durch afrikanisc­he Persönlich­keiten wie Manga Bell zu ersetzen. Die Beschlüsse sind gefasst, umgesetzt sind sie noch nicht. Anwohner wehren sich mit Eingaben.

Überhaupt Berlin. Die dortigen Verkehrsbe­triebe sind gerade unsanft auf die Nase gefallen, als sie mit bestem Wissen und Gewissen vorangehen und die U-Bahnhaltes­telle „Mohrenstra­ße“nach der benachbart­en Glinka-Straße nennen wollten. Ging daneben, weil der russische Komponist Michail Glinka (18041857) inzwischen als Antisemit geoutet wurde. Was freilich zu der Frage führt, was wir mit all den anderen Antisemite­n im öffentlich­en Raum machen? Richard-Wagner-Straßen – umbenennen? Martin-Luther-Kirchen – abreißen?

Es ist ein Leichtes, sich mal wieder über eine Fehlleistu­ng in Berlin lustig zu machen. Aber dieses Beispiel ist insofern interessan­t, weil es zeigt, wie komplex die ganze Sache ist. Namen sind Namen. Und sie werden geändert. Die Nationalso­zialisten waren wahre Weltmeiste­r im Umbenennen. Das Reichsinne­nministeri­um ordnete im Juli 1933 an, dass in jeder Stadt eine prominente Straße oder der wichtigste Platz nach Adolf Hitler heißen sollte. Auch Hindenburg, der „Sieger von Tannenberg“, wurde zwar schon zu seinem 80. Geburtstag 1927 in Straßennam­en verewigt, aber ab 1933 nahm diese Tendenz zu. Adolf-Hitler-Plätze gibt es keine mehr.

Warum aber tun sich Städte schwer, sich von den Hindenburg­straßen zu lösen? Längst ist der General und Reichspräs­ident als Militarist, Antidemokr­at und Steigbügel­halter Hitlers entlarvt, wie der Historiker Hans-Ulrich Thamer in einem Gutachten für seine Universitä­tsstadt Münster schreibt. Auf eine entspreche­nde Initiative des Ravensburg­er Stadtrats Winfried Krauss, auch hier die Hindenburg­straße anders zu nennen, antwortete die Verwaltung, dass es keine Umbenennun­gen geben werde. Denn sie seien „als Zeugnisse beziehungw­eise Erinnerung­smarken der historisch­en Entwicklun­g der Stadt über Epochen hin anzusehen“.

Hier wäre zu fragen, was eine „Erinnerung­smarke“sein kann. Wie lange hat es zum Beispiel gedauert, bis sich überhaupt eine Form des Gedenkens an den Hitler-Attentäter Georg Elser gefunden hat? Und warum heißen Magistrale­n im Stadtbild noch immer nach dem preußische­n General, während sich die Namen von Widerstand­skämpfern oder Verfolgten wie Fritz Bauer – so jetzt in Tübingen – in Nebenstraß­en wiederfind­en.

Mit der Erinnerung und der Veränderun­g von Erinnerung haben schon die alten Römer Politik gemacht. Inschrifte­n waren damals ein Propaganda­instrument. Die Entfernung von Namen darauf war so angelegt, dass jedem klar wurde, wer vergessen gemacht werden sollte. Die öffentlich­en Inschrifte­n ließen immer noch erkennen, wessen Namen getilgt wurde. Das war keine handwerkli­che Unbeholfen­heit, sondern politische Absicht.

Die Bewirtscha­ftung von Erinnerung als Machtinstr­ument – in der jüngeren Vergangenh­eit hat das Stalin bis zum Exzess betrieben. Abertausen­de von Fotografie­n und Texten mussten in immer rasenderem Tempo „bereinigt“werden, mit den Menschen sollten auch ihre Biografien „ausgemerzt“werden. In der Chruschtsc­how-Ära verschwand­en dann die Stalin-Bildnisse. Jetzt werden sie wieder hervorgeho­lt.

So geht Geschichts­politik. Aber wie geht Erinnerung­skultur? An welche Geschichte(n) erinnern wir uns? Und wer ist dieses „wir“? Nachfahren von Menschen, die als Sklaven aus Afrika nach Amerika verkauft wurden, haben andere Narrative als Nachkommen der Pilgrim Fathers, Enkel von Holocaust-Überlebend­en andere als solche von Parteigeno­ssen. „Opfer“und „Täter“erzählen verschiede­ne Geschichte­n. Und zwischen den Opfergesch­ichten herrscht Konkurrenz.

Der US-amerikanis­che Literaturw­issenschaf­tler Michael Rothberg hat den Begriff der „Multidirec­tional Memory“geprägt. Er plädiert für eine Erinnerung­skultur, die verschiede­ne Erzählunge­n von Geschichte, verschiede­ne Narrative abbildet. Und was heißt das jetzt für unsere kollektive Erinnerung? Dass es sie so nicht gibt, dass wir sie im Diskurs immer wieder neu erschaffen müssen. Die Historiker­in Ute Frevert, mit Aleida Assmann zusammen eine der bekanntest­en Expertinne­n im Bereich Erinnerung­skultur, hat 2003 in einem Aufsatz die Sorge ausgesproc­hen, dass „die moralisier­ende Ausgrenzun­g“darauf hinauslauf­e, „die Gegenwart zu entlasten und in der vorgeblich­en Sicherheit des Korrekten, Guten und Richtigen einzululle­n“. Aber bedeutet es wirklich, die unangenehm­en, toxischen Elemente unserer Vergangenh­eit rückstands­frei zu entsorgen, wenn man eine Hindenburg­straße umbenennt? Geschichte muss ja nicht überschrie­ben werden. Aber man kann erklären, warum dieser Name durch einen anderen ersetzt wurde. So könnten unsere Städte zu einem „begehbaren Geschichts­buch“(Thamer) werden.

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FOTO: IMAGO IMAGES
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FOTO: DANIEL BOCKWOLDT Das Bismarck-Denkmal des Jugendstil­künstlers Hugo Lederer steht oberhalb des Hafens in Hamburg. Es ist in den Jahren 1901 bis 1906 entstanden. In Hamburg ist nun eine Diskussion über das BismarckDe­nkmal entbrannt.
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