„Mohren“-Debatte
Warum die Umbenennung allein keine Lösung ist
Bismarck-Denkmal und Mohrengasse, Hindenburgring und Rommel-Kaserne, Lüderitzstraße und Nachtigalweg: Geht das noch? Sind solche Benennungen noch tragbar? Darüber werden zurzeit hitzige Diskussionen geführt.
Alle diese Namen sind Zeugnisse einer vergangenen Epoche. Eine Bezeichnung, die einst üblich war, oder eine Persönlichkeit, die damals aller Ehren wert schien, wird heute als moralisch fragwürdig, wenn nicht gar verabscheuungswürdig eingestuft. Wie also können wir umgehen mit diesem Erbe? Die Orte umbenennen, die Denkmäler vom Sockel stürzen? Machen wir es uns damit nicht zu einfach? Von einem „historischen Exorzismus“spricht mittlerweile der Berliner Historiker Michael Sabrow. Ein Denkmal kann man entsorgen. Die Vergangenheit nicht.
Momentan sind es die Themen Kolonialismus und Rassismus, die von den USA über Großbritannien nun auch auf dem Kontinent stärker ins Blickfeld der Öffentlichkeit treten. In Boston köpften Aktivisten eine Kolumbus-Statue; in Bristol landete die Figur des mit Sklavenhandel reich gewordenen Kaufmanns und später als Philantrop gefeierten Edward Colston im Hafenbecken; in Brüssel prangt auf dem Reiterstandbild von König Leopold II., dessen Ausplünderung des Kongo Millionen Menschenleben kostete, in roter Farbe der Schriftzug „Mörder“. Und jüngst hat in Hamburg eine Initiative 10 000 Unterschriften gesammelt, die das monströse Bismarck-Denkmal im Alten Elbpark nicht mehr einfach so unkommentiert stehen lassen möchte. Bismarck sei ein übler Kolonialist gewesen, lautet der pauschale Vorwurf. Doch die historische Wirklichkeit erweist sich oft als weit komplexer als ihre ideologische Instrumentalisierung.
Aber so geht es oft. Eine Meinung zu haben, ist einfacher als sie zu begründen. Und nicht alle Fälle liegen gleich.
In Dornbirn schwelt seit Jahren ein Streit um das Mohren-Bräu. 1784 eröffnete ein Herr Mohr eine Gaststätte, nannte sie „Zum Mohren“und warb fortan mit dem Familienwappen, dem Kopf eines Afrikaners mit dicken Lippen, krausem Haar, Ohrund Nasenring. Auch in der Heraldik begegnet uns diese stereotype Figur. Nicht nur im Tuttlinger Stadtteil Möhringen wird über den „Mohren“im Stadtwappen diskutiert. Auch die Bischöfe von Freising und Würzburg führen dieses Stereotyp in ihren Wappen. Ist das ein Zeichen für Rassismus? Oder steht das hier für die drei Weisen aus dem Morgenland? Oder für den Heiligen Mauritius, der der Legende nach als Anführer der „Thebaischen Legion“aus Nordafrika als Märtyrer in der heutigen Schweiz starb? Und ist es nicht ein Unterschied, ob eine Straße seit Jahrhunderten so heißt, oder ob heute noch eine Firma mit dem „Mohren“Logo wirbt?
In Ulm hat SPD-Stadtrat Martin Rivoir den Antrag auf Umbenennung der Mohrengasse gestellt. Der Weg, der Weinhof und Stadtbibliothek miteinander verbindet, soll künftig nach Manga Bell heißen. Sicher eine gute Wahl, aber eigentlich fast zu schade für eine kleine Straße, an der lediglich der Deutsche Gewerkschaftsbund einen Versammlungssaal hat.
Rudolf Duala Manga Bell war ein kamerunischer Prinz (1873-1914), der in Aalen bei einem Lehrerehepaar aufwuchs und in Ulm das Gymnasium besuchte. Als König der Duala wandte er sich 1905 zusammen mit weiteren afrikanischen Fürsten an den Deutschen Reichstag. Darin führten sie Klage gegen das Regime von Gouverneur Jesco von Puttkamer. Diese und weitere Petitionen fanden allein bei den Sozialdemokraten im Berliner Reichstag Gehör. Die deutsche Besatzungsmacht reagierte brutal. Am 8. August 1914 wurde Manga Bell in Duala wegen Hochverrats hingerichtet.
In Berlin-Mitte wurde 2018 beschlossen, einige Straßen im sogenannten Afrikanischen Viertel, die an die schlimmsten Imperialisten und Kolonialisten wie Carl Peters oder Adolf Lüderitz erinnern, durch afrikanische Persönlichkeiten wie Manga Bell zu ersetzen. Die Beschlüsse sind gefasst, umgesetzt sind sie noch nicht. Anwohner wehren sich mit Eingaben.
Überhaupt Berlin. Die dortigen Verkehrsbetriebe sind gerade unsanft auf die Nase gefallen, als sie mit bestem Wissen und Gewissen vorangehen und die U-Bahnhaltestelle „Mohrenstraße“nach der benachbarten Glinka-Straße nennen wollten. Ging daneben, weil der russische Komponist Michail Glinka (18041857) inzwischen als Antisemit geoutet wurde. Was freilich zu der Frage führt, was wir mit all den anderen Antisemiten im öffentlichen Raum machen? Richard-Wagner-Straßen – umbenennen? Martin-Luther-Kirchen – abreißen?
Es ist ein Leichtes, sich mal wieder über eine Fehlleistung in Berlin lustig zu machen. Aber dieses Beispiel ist insofern interessant, weil es zeigt, wie komplex die ganze Sache ist. Namen sind Namen. Und sie werden geändert. Die Nationalsozialisten waren wahre Weltmeister im Umbenennen. Das Reichsinnenministerium ordnete im Juli 1933 an, dass in jeder Stadt eine prominente Straße oder der wichtigste Platz nach Adolf Hitler heißen sollte. Auch Hindenburg, der „Sieger von Tannenberg“, wurde zwar schon zu seinem 80. Geburtstag 1927 in Straßennamen verewigt, aber ab 1933 nahm diese Tendenz zu. Adolf-Hitler-Plätze gibt es keine mehr.
Warum aber tun sich Städte schwer, sich von den Hindenburgstraßen zu lösen? Längst ist der General und Reichspräsident als Militarist, Antidemokrat und Steigbügelhalter Hitlers entlarvt, wie der Historiker Hans-Ulrich Thamer in einem Gutachten für seine Universitätsstadt Münster schreibt. Auf eine entsprechende Initiative des Ravensburger Stadtrats Winfried Krauss, auch hier die Hindenburgstraße anders zu nennen, antwortete die Verwaltung, dass es keine Umbenennungen geben werde. Denn sie seien „als Zeugnisse beziehungweise Erinnerungsmarken der historischen Entwicklung der Stadt über Epochen hin anzusehen“.
Hier wäre zu fragen, was eine „Erinnerungsmarke“sein kann. Wie lange hat es zum Beispiel gedauert, bis sich überhaupt eine Form des Gedenkens an den Hitler-Attentäter Georg Elser gefunden hat? Und warum heißen Magistralen im Stadtbild noch immer nach dem preußischen General, während sich die Namen von Widerstandskämpfern oder Verfolgten wie Fritz Bauer – so jetzt in Tübingen – in Nebenstraßen wiederfinden.
Mit der Erinnerung und der Veränderung von Erinnerung haben schon die alten Römer Politik gemacht. Inschriften waren damals ein Propagandainstrument. Die Entfernung von Namen darauf war so angelegt, dass jedem klar wurde, wer vergessen gemacht werden sollte. Die öffentlichen Inschriften ließen immer noch erkennen, wessen Namen getilgt wurde. Das war keine handwerkliche Unbeholfenheit, sondern politische Absicht.
Die Bewirtschaftung von Erinnerung als Machtinstrument – in der jüngeren Vergangenheit hat das Stalin bis zum Exzess betrieben. Abertausende von Fotografien und Texten mussten in immer rasenderem Tempo „bereinigt“werden, mit den Menschen sollten auch ihre Biografien „ausgemerzt“werden. In der Chruschtschow-Ära verschwanden dann die Stalin-Bildnisse. Jetzt werden sie wieder hervorgeholt.
So geht Geschichtspolitik. Aber wie geht Erinnerungskultur? An welche Geschichte(n) erinnern wir uns? Und wer ist dieses „wir“? Nachfahren von Menschen, die als Sklaven aus Afrika nach Amerika verkauft wurden, haben andere Narrative als Nachkommen der Pilgrim Fathers, Enkel von Holocaust-Überlebenden andere als solche von Parteigenossen. „Opfer“und „Täter“erzählen verschiedene Geschichten. Und zwischen den Opfergeschichten herrscht Konkurrenz.
Der US-amerikanische Literaturwissenschaftler Michael Rothberg hat den Begriff der „Multidirectional Memory“geprägt. Er plädiert für eine Erinnerungskultur, die verschiedene Erzählungen von Geschichte, verschiedene Narrative abbildet. Und was heißt das jetzt für unsere kollektive Erinnerung? Dass es sie so nicht gibt, dass wir sie im Diskurs immer wieder neu erschaffen müssen. Die Historikerin Ute Frevert, mit Aleida Assmann zusammen eine der bekanntesten Expertinnen im Bereich Erinnerungskultur, hat 2003 in einem Aufsatz die Sorge ausgesprochen, dass „die moralisierende Ausgrenzung“darauf hinauslaufe, „die Gegenwart zu entlasten und in der vorgeblichen Sicherheit des Korrekten, Guten und Richtigen einzulullen“. Aber bedeutet es wirklich, die unangenehmen, toxischen Elemente unserer Vergangenheit rückstandsfrei zu entsorgen, wenn man eine Hindenburgstraße umbenennt? Geschichte muss ja nicht überschrieben werden. Aber man kann erklären, warum dieser Name durch einen anderen ersetzt wurde. So könnten unsere Städte zu einem „begehbaren Geschichtsbuch“(Thamer) werden.