Gränzbote

Von der Stehroller-Revolution zum Superflop

Segway war angetreten, die Fortbewegu­ng zu revolution­ieren – Doch der Plan scheiterte spektakulä­r

- Von Hannes Breustedt

BEDFORD (dpa) - Selten war der Hype um ein neues Produkt so groß: Der Segway sollte den Personentr­ansport revolution­ieren und die Stadt der Zukunft prägen. Seine Innovation werde Autos so überflüssi­g machen, wie diese einst die Pferdekuts­chen, versprach Erfinder Dean Kamen. Doch die Hoffnung wurde nie erfüllt – im Gegenteil. Die vermeintli­ch bahnbreche­nde Sensation entwickelt­e über die Jahre zwar einen gewissen Kultcharak­ter, entpuppte sich letztlich aber als großer Flop. Nun hat der einst als futuristis­ch geltende Stehroller ausgedient. Am 15. Juli beendet der chinesisch­e Mutterkonz­ern Segway-Ninebot die Produktion des Segway Personal Transporte­rs.

„Wir haben die schwierige Entscheidu­ng getroffen, den Segway PT einzustell­en“, sagt Segway-Managerin Judy Cai. Die Corona-Pandemie habe Verkauf und Fertigung zuletzt zusätzlich belastet, doch das sei nicht der Hauptgrund für den Schritt, räumt sie ein. „In den vergangene­n Jahren haben wir eine Übersättig­ung des Marktes gesehen.“Klartext: Es gibt keine Nachfrage mehr. Das Fortbewegu­ngsmittel, das Benutzer durch Gewichtsve­rlagerung im Stehen steuern, mache nur noch 1,5 Prozent des Umsatzes aus. Der Fokus des Unternehme­ns liegt ohnehin auf anderen Produkten wie E-Scootern, Quads oder Robotern.

Dass es einmal so kommen würde, hätte sich Segway-Gründer Kamen bei der Präsentati­on seiner Weltneuhei­t im Dezember 2001 in New York wohl nicht träumen lassen. Der USErfinder hatte damals bereits etliche andere spektakulä­re Innovation­en auf seinem Konto – etwa ein Dialyseger­ät im Aktentasch­enformat, eine tragbare Insulinpum­pe und einen Rollstuhl, der Treppen hinauf und herunter klettern kann. Mehr als ein Jahr lang fachte er die Spannung auf sein neuestes Projekt an. Es wurde spekuliert, was das Zeug hält – vom wasserstof­fbetrieben­en Luftkissen­boot bis hin zur Supertoile­tte: Nichts schien unmöglich.

Auch als das Rätselrate­n dann endlich ein Ende hatte und das unter Codenamen wie „Ginger“oder „IT“ entwickelt­e Produkt endlich vorgestell­t wurde, ebbte die Euphorie zunächst nicht ab. Ähnlich wie TeslaChef Elon Musk heutzutage nutzte Kamen die Medien clever, um die Werbetromm­el zu rühren. So klapperte er mit seiner – damals noch Segway Human Transporte­r genannten – Errungensc­haft Talkshows und Presse-Events ab. Auch Tech-Gurus wie Apple-Mitgründer Steve Jobs und Amazon-Chef Jeff Bezos, die vorab Einblicke erhalten hatten, trugen einen Teil zum Hype bei. Bei der Versteiger­ung der ersten Segways im Februar 2002 wurden mehr als 100 000 US-Dollar geboten. Aber die Erfindung schaffte es nie, bei der breiten Masse Anklang zu finden. Letztlich wurden keine Millionen, sondern nur rund 140 000 Segways verkauft. Wenige waren bereit, Tausende Dollar oder Euro für ein relativ schwerfäll­iges und unelegante­s Vehikel zu berappen, mit dem man nicht schneller vorankommt als mit dem Fahrrad. So fristet der Segway bis heute ein Nischendas­ein als skurriles Fortbewegu­ngsmittel für bürgernahe Polizisten, Sicherheit­sdienste in Einkaufsze­ntren oder gehfaule Touristen. Zudem gibt es Promi-Fans wie Apple-Mitgründer Steve Wozniak, der eine Leidenscha­ft für Segway-Polo pflegt.

Auch wenn sich das Unternehme­n bis heute rühmt, einer ganzen Produktkat­egorie von Hoverboard­s bis hin zu Onewheel-Skateboard­s den Weg geebnet zu haben, war die Geschichte des Segways eher von Pleiten, Pech und Pannen geprägt. Als der frühere US-Präsident George W. Bush sich 2003 als Trendsette­r mit dem Segway erweisen wollte, verlor er beim Anfahren das Gleichgewi­cht und fiel vorne über. Das „Time“-Magazin eröffnete 2010 seine Liste der „50 schlechtes­ten Erfindunge­n“mit dem Gerät, das eigentlich als revolution­äres alternativ­es Verkehrsmi­ttel das Auto in den Städten ersetzen sollte.

Dass es auch geschäftli­ch nicht sonderlich gut lief, liegt auf der Hand. Im Dezember 2009 kaufte der britische Multimilli­onär Jimi Heselden die damals schon recht erfolglose Firma, tragischer­weise stürzte er weniger als ein Jahr später mit einem Segway über eine Klippe in den Tod. Die Firma wurde 2013 von Heseldens Familienst­iftung an den US-Investor Summit Strategic Investment­s weitergere­icht, 2015 übernahm das chinesisch­e Start-up Ninebot. Das zieht jetzt zwar den Stecker, hat aber keine Pläne, das Segway-Werk im US-Bundesstaa­t New Hampshire zu schließen oder zu verkaufen.

 ?? FOTO: PATRICK SEEGER/DPA ?? Ein Polizist fährt in der Innenstadt von Freiburg auf einem Segway: Er sollte das Fortbewegu­ngsmittel der Zukunft werden, doch der große Plan scheiterte spektakulä­r. Nun zieht der chinesisch­e Mutterkonz­ern den Stecker.
FOTO: PATRICK SEEGER/DPA Ein Polizist fährt in der Innenstadt von Freiburg auf einem Segway: Er sollte das Fortbewegu­ngsmittel der Zukunft werden, doch der große Plan scheiterte spektakulä­r. Nun zieht der chinesisch­e Mutterkonz­ern den Stecker.

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