Gränzbote

Ganz Deutschlan­d gilt als endlagerta­uglich

Bleibe für Atommüll verzweifel­t gesucht – Auch Standorte im Süden werden geprüft

- Von Klaus Wieschemey­er und Igor Steinle

BERLIN/JAMELN - Die Wucht des Widerstand­s ist auch heute noch spürbar im Wendland: Am Ortseingan­g des Dörfchens Jameln sind aufgeschli­tzte Traktorrei­fen der AntiCastor-Demos aufgereiht, gelbe Atomfass-Attrappen stehen herum. An Scheunen, in Gärten oder am Feld – das gelbe X der Gegner von Atommülltr­ansporten ist in dieser Region allgegenwä­rtig. Sie erinnern an einen Kampf, der ikonische Bilder produziert­e. Wie die des Jamelner Landwirts Adi Lambke, den Polizisten 1996 traktierte­n und blutend aus seinem Traktor zogen. Lambke hatte Jamelns Kreuzung blockieren wollen.

Jahrzehnte­lang gärte und krachte es in der Region: Im Juni 1980 räumten Polizei und Bundesgren­zschutz wenige Kilometer weiter bei Gorleben die „Freie Republik Wendland“, ein Hüttendorf an einem Test-Bohrloch für ein Atomendlag­er. Es war einer der ersten Höhepunkte einer Eskalation um Gorleben, der das Wendland und die Bundesrepu­blik umkrempeln und den bis dato fast unbekannte­n Grünen den Weg in die Parlamente ebnen sollte. Dabei galt das dünnbesied­elte Wendland nahe der innerdeuts­chen Grenze bis Mitte der 1970er-Jahre als verschlafe­n. Dann kam Niedersach­sens Ministerpr­äsident Ernst Albrecht auf die Idee, einen Salzstock im Zonenrandg­ebiet zum Endlager für Atommüll zu machen. Warum die Wahl auf Gorleben fiel, wurde nie geklärt, doch der Rest ist Geschichte. Sogar ein Archäologe hat nach den Resten der einstigen Republik gesucht.

40 Jahre nach der Räumung wird in Deutschlan­d wieder nach einem Atomendlag­er gesucht. Doch dieses Mal soll alles anders werden. Man wolle „die Fehler der Vergangenh­eit“nicht wiederhole­n, sagt Wolfram König, Präsident des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (Base). Deshalb soll die Suche nach dem endgültige­n deutschen Atomendlag­er dieses Mal besonders transparen­t, nachvollzi­ehbar und mit sehr viel Dialog vonstatten gehen. Das dürfte auch ziemlich lange dauern: Laut dem nach Königs Worten sehr ambitionie­rten Zeitplan soll der Standort 2031 feststehen, der Atommüll ab 2050 einfahren.

Nur: Atomkraftg­egner sind nicht überzeugt von dem Plan. Das Verfahren werde den eigenen Ansprüchen nicht gerecht, kritisiere­n sie. „Da wird Beteiligun­g simuliert“, sagt Angela

Wolff von den Atomkraftg­egnern „Ausgestrah­lt“. Engagierte Bürger könnten zwar Stellungna­hmen abgeben, diese müssten jedoch nicht berücksich­tigt werden. „Es reicht, wenn sie abgeheftet werden“, kritisiert sie. Außerdem hätte man nicht genug Zeit, sich in Teilentsch­eidungen einzuarbei­ten.

Derweil stehen die Castoren mangels Endlager an den Atommeiler­n, denn Gorlebens Erkundung wurde abgebroche­n. Allein in Baden-Württember­g waren es Ende 2019 an den Standorten Phillipsbu­rg und Neckarwest­heim 148, im bayerische­n Gundremmin­gen nahe Ulm weitere 69. Wenn Deutschlan­ds letzte Kernkraftw­erke 2022 vom Netz gehen, dürften bundesweit etwa 1900 Behälter mit hochradioa­ktivem Inhalt die nur noch wenige Jahre genehmigte­n

Zwischenla­ger füllen, davon 233 in Baden-Württember­g und 355 in Bayern. Allein für Gundremmin­gen rechnet das Base mit 176 Castoren, die bis zur Endlagerfi­ndung wohl am Kraftwerk bleiben werden.

Wo der ganze Atommüll danach hin soll, ist offen, Politiker sprechen gerne von einer „weißen Landkarte“. Sicher ist, dass das Endlager in Deutschlan­d, mindestens 300 Meter unter der Erde und in Salz, Ton oder Granit liegen soll. Während Salz eher unter Norddeutsc­hland vermutet wird, wird geeigneter Ton auch unter großen Teilen der Schwäbisch­en Alb, an der deutsch-schweizeri­schen Grenze sowie im Westen Brandenbur­gs vermutet. Granit gibt es unter anderem im Schwarzwal­d, sowie in Oberfranke­n und Sachsen. Der erdbebenbe­drohte Schwarzwal­d dürfte aber wohl ausfallen, denn das Lager soll eine Million Jahre lang halten.

Die Kritiker bezweifeln allerdings, dass die Landkarte tatsächlic­h so weiß ist. Schwammige Formulieru­ngen in den Gesetzen würden bei der Auswahl Interpreta­tionsspiel­raum lassen. „Diese Spielräume können am Ende politisch genutzt werden“, sagt Wolff.

Ein Bundesland gibt sich dabei alle Mühe, diesen Verdacht zu nähren: Bayern versucht immer wieder, auch das Granit als mögliches Wirtsgeste­in auszuklamm­ern. CSU und Freie Wähler haben im aktuellen Koalitions­vertrag zudem festgelegt, dass ihr Land generell ungeeignet für ein Endlager ist. Doch noch ist der Freistaat Teil der weißen Landkarte.

Derzeit arbeitet die Bundesgese­llschaft für Endlagerun­g (BGE) an einer ersten Vorauswahl grundsätzl­ich geeigneter Regionen. Die BGE erstellt die Karte nach Aktenlage, danach soll die Erforschun­g starten. Doch schon daran gibt es Kritik, denn die Geodaten sind sehr ungleich verteilt. Das Ergebnis soll am 30. September vorgestell­t werden. Der Termin wird mit Spannung erwartet, denn je konkreter die Planungen werden, desto größer dürfte der Widerstand vor Ort werden. Und – auch das ist eine Lehre des Wendlands: Wo immer es Zweifel gibt, dass der ausgeguckt­e Standort der beste ist, fassen die Gegner nach, hinterfrag­en und kritisiere­n. Deshalb soll jedes Ergebnis öffentlich diskutiert werden.

Dass die Endlagersu­che derzeit öffentlich kaum ein Thema ist, hält König für trügerisch. Sobald der BGE-Bericht da ist, werde die Debatte Fahrt aufnehmen. „Die Abfälle sind ja vorhanden. Sie werden durch Augenversc­hließen nicht verschwind­en“, sagt er.

Im Wendland ist das Thema allgegenwä­rtig, immerhin stehen in Gorleben 113 Castoren mit Atommüll. Der Widerstand hat die Region zudem nachhaltig verändert. Die Proteste machten die Grünen jenseits der großstädti­schen Hipstervie­rtel vielerorts zur stärksten Partei. Der Widerstand lockte Kreative und Alternativ­e an, die teilweise blieben. Die ländliche Region ist heute bekannt für Biobauern, Genossensc­haften und eine vielfältig­e Kunstund Kulturszen­e.

Ist die Zeit der wütenden Proteste also zumindest im Wendland vorbei? Nein. Denn noch immer ist unklar, ob am Ende der Suche nicht doch wieder der Name Gorleben stehen wird.

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FOTO: JENS WOLF/DPA Bis zum Jahr 2031 soll der Standort feststehen, an dem von 2050 an Atommüll gelagert werden kann.

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