Gränzbote

Ausreisesp­erren für ganze Kreise? Wohl eher nicht

Nicht nur die Kanzlerin setzt auf noch genauere Eingrenzun­g von Corona-Ausbruchsh­erden

- Von Klaus Wieschemey­er und Michael Scheyer

BERLIN - Wenn Angela Merkel am Dienstag von einer „interessan­ten Verwaltung­srechtspre­chung“redet und ihr Sprecher Steffen Seibert dies am Mittwoch noch ausdrückli­ch zitiert, ist das schon ein deutlicher Wink mit dem Zaunpfahl. Denn was Verwaltung­sgerichte urteilen, ist oft nur für Juristen interessan­t.

Anders verhält es sich mit einer Entscheidu­ng des Oberverwal­tungsgeric­hts in Münster, welches vergangene Woche die Verlängeru­ng der Corona-Beschränku­ngen im Kreis Gütersloh kippte. Die waren nach dem Covid-19-Massenausb­ruch in der Fleischfab­rik Tönnies von der nordrhein-westfälisc­hen Landesregi­erung verhängt worden – und den Richtern zu ungenau.

Ihre Begründung: Zwar seien die Einschränk­ungen anfangs richtig gewesen. Doch in der Folgezeit habe es einer differenzi­erteren Regelung bedurft, da eben nur Teile, und nicht der ganze Kreis Gütersloh betroffen gewesen sei. Auf Dauer einen ganzen Kreis abzusperre­n, weil es an einigen Orten Probleme gebe, sei nicht verhältnis­mäßig.

Dass Merkel das „interessan­t“findet, ist wohl ein Hinweis darauf, wohin die Kanzlerin auch bundesweit will. Am Dienstag hatte sich die CDUPolitik­erin zusammen mit Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) für regionale Ausreisesp­erren stark gemacht. Die Idee: Gerade in der

Urlaubszei­t sollen regionale Ausbruchsh­erde auf diese Weise eingegrenz­t bleiben, bis das Geschehen unter Kontrolle ist. Eigentlich sollte Kanzleramt­sminister Helge Braun die Sache am Mittwoch mit den Ländern klären, doch einige hatten weiteren Redebedarf.

Nun will Braun am Donnerstag mit den Staatskanz­leien der Bundesländ­er über regionale Ausreiseve­rbote für Corona-Hotspots entscheide­n. Mit Blick auf Güterslohe­r Urlauber, die in Bayern und Mecklenbur­g-Vorpommern abgewiesen wurden, argumentie­rte Braun, dass es mit einem Regional-Lockdown sowohl für die Gastgeber als auch die Urlauber einfacher sei.

Die Frage sei, ob ein regionaler Lockdown nicht die bessere Variante sei, um einen Massenausb­ruch wie in Nordrhein-Westfalen schnell unter

Kontrolle zu bekommen. Die Reaktionen aus den Ländern fielen unterschie­dlich aus: Aus der Stuttgarte­r Villa Reitzenste­in kam am Mittwoch wenig Aussagekrä­ftiges. Da dem Land Baden-Württember­g noch kein schriftlic­her Beschlussv­orschlag vorliege, könne man das „im Moment auch nicht bewerten“, teilte eine Sprecherin auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“mit – und verwies auf Donnerstag.

Andere sind deutlicher: Die Ministerpr­äsidenten von Sachsen-Anhalt und Sachsen warnten, ihre Landkreise seien zu groß, um sie komplett zu schließen. Auch aus Niedersach­sen kam eine klare Absage: „So etwas kann man sich im fernen Berlin oder auch München ja gerne ausdenken, aber es ist in der Fläche überhaupt nicht praktikabe­l“, sagte SPD-Innenminis­ter Boris Pistorius der „Neuen

Osnabrücke­r Zeitung“. Kontrollie­ren lasse sich ein regional begrenzter Lockdown im ländlichen Raum nur stichprobe­nartig, und das sei auch noch teuer. Auch Berlin winkt ab: Bei Stadtbezir­ken in der Größenordn­ung von Landkreise­n seien Reisebesch­ränkungen nicht machbar, so Gesundheit­ssenatorin Dilek Kalayci.

Polizeiver­treter halten die Abriegelun­g eines Landkreise­s zwar für machbar, aber auch für sehr personalin­tensiv. Das gilt auch im Südwesten: „Wenn es nur einen einzigen Landkreis beträfe und niemand sonst drumherum betroffen wäre, dann wäre das personell schon zu leisten“, sagte der Sprecher des Polizeiprä­sidiums Ravensburg, Thomas Kalmbach, der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Für den baden-württember­gischen Landkreist­ag stellt sich zudem die Frage, ob man das Instrument im Südwesten überhaupt braucht: Mit dem Eindämmung­skonzept des Landes für die Landkreise­bene stehe den Behörden vor Ort „ein breiter Instrument­enkasten zur Verfügung“, sagte Landkreist­ags-Hauptgesch­äftsführer Alexis von Komorowski. „Legt man die Philosophi­e des überzeugen­den Landeskonz­epts zugrunde, dann sind zwar Ausreiseve­rbote nicht komplett auszuschli­eßen. Sie kommen allerdings überhaupt nur dann in Betracht, wenn alle anderen Möglichkei­ten ausgeschöp­ft sind und im Übrigen davon auszugehen ist, dass sie auch vor Gericht standhalte­n“, so Komorowski mit Blick auf das „interessan­te“Urteil aus Münster.

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