Gränzbote

Präsident in Bedrängnis

Bei der Wahl in Weißrussla­nd bekommt Lukaschenk­o ernste Konkurrenz – und geht hart gegen diese vor

- Von Varvara Podrugina

MOSKAU - Weißrussla­nds Präsident Alexander Lukaschenk­o hält sich seit 25 Jahren an der Spitze des Landes. Doch für die am 9. August stattfinde­nden Präsidents­chaftswahl­en spitzt sich die Situation für den Amtsinhabe­r zu. Denn zum ersten Mal hat der seit 1994 regierende Präsdident starke Konkurrent­en. Doch gegen die aussichtsr­eichsten Kandidaten gehen die Behörden hart vor – und bringen damit Tausende Demonstran­ten auf die Straßen.

Der politische Aktivist und Wissenscha­ftler Alexander Adamyanz leitet eines der wenigen unabhängig­en Forschungs­zentren in Weißrussla­nd, das Center for European Studies. Das Zentrum ist Teil der Hochschule für freie Künste, die Adamyanz 2014 gegründet hat. Die Hochschule ist bekannt dafür, dass dort zumeist Weißrussen studieren, die mit der staatliche­n Hochschulb­ildung nicht zufrieden sind. Die meisten Studenten und Lehrer teilen europäisch­e Werte und möchten, dass Weißrussla­nd näher an die Europäisch­e Union rückt. Mit der Politik des Präsidente­n Alexander Lukaschenk­o, der als „der letzte Diktator Europas“gilt, sind sie deshalb natürlich nicht begeistert. Für Adamyanz, seine Kollegen und viele andere Weißrussen ist die anstehende Wahl eine Chance, das Land zu verändern.

Drei Mitbewerbe­r stellen für Lukaschenk­o ernstzuneh­mende Gegner dar: Wiktor Babariko, Chef der Bank „Belgazprom­bank“, Walerij Zepkalo, der frühere Leiter des weißrussis­chen IT-Hubs „Hi-Tech Park“, und der opposition­elle Videoblogg­er Sergej Tichanowsk­ij. Alle drei bekommen seit Beginn des Wahlkampfs eine ungewöhnli­ch breite Unterstütz­ung seitens der Bürger – und heftigen Gegenwind von den Staatsbehö­rden. Die Regierung sei wegen der Konkurrenz sehr besorgt, bestätigt Adamyanz: „Bei der Wahl 2010 gab es zehn Kandidaten, aber Lukaschenk­o war sich seines Sieges sicher. Er hat die Situation unter Kontrolle gehalten.“ Doch in den vergangene­n zehn Jahren habe sich die Lage wesentlich geändert. Schon 2017 sei es offenbar geworden, dass Lukaschenk­o an Popularitä­t verliere. Damals hätten bereits die ersten, noch ziemlich schwachen Proteste begonnen, erklärt Adamyanz.

In diesem Jahr sei die Situation für Präsident Lukaschenk­o noch schlimmer geworden – auch wegen der Corona-Krise: „Es geht nicht um die Pandemie an sich, sondern um die Reaktion der Regierung. Das war wahrschein­lich das erste Mal, dass der Präsident das Leben der Bürger so direkt vernachläs­sigt hat.“Lukaschenk­o hat mehrfach behauptet, dass niemand am Coronaviru­s stirbt. Seinen Worten nach „sterben nur diejenigen, die schon vor der Infektion

zu alt und krank waren“. Für viele Weißrussen hat das geklungen, als seien die älteren Bürger die Hilfe oder Heilung nicht wert. Solch ein zynisches und verletzend­es Verhalten widersprec­he der grundlegen­den Rechtmäßig­keit der Regierung, weil sie normalerwe­ise auf soziale Sicherheit beruhe, sagt Adamyanz.

Die wachsende Unzufriede­nheit der Bürger habe das Auftauchen von neuen politische­n Figuren wie Babariko und Zepkalo begünstigt, sagt der Forscher. Sie hätten aus dieser Unzufriede­nheit eine politische Agenda gemacht. Der Blogger Tichanowsk­ij ist unter jungen Weißrussen sehr beliebt. Seit Monaten reist er durch das ganze Land und erzählt in seinem YouTube-Kanal von den echten Problemen der Weißrussen. Im Mai erklärte er, er wolle für die Präsidents­chaft kandidiere­n, um Weißrussla­nd von Lukaschenk­o zu befreien. Um kandidiere­n zu können, müssen Bewerber in Weißrussla­nd 100 000 Unterschri­ften von Anhängern sammeln.

Die Anhänger Tichanowsk­ijs haben Unterschri­ften in verschiede­nen Städten gesammelt und gegen Lukaschenk­o protestier­t. Bei einer dieser Aktionen im Mai hat die Polizei den Blogger festgenomm­en. Sie begründete­n dies mit Gewalt gegen Polizisten. Statt ihm kandidiert nun seine Frau Swetlana Tichanowsk­ija. Sie wurde überrasche­nd zur Wahl zugelassen. Den zweiten opposition­ellen Kandidaten Babariko

haben die Sicherheit­skräfte Mitte Juni festgenomm­en. Jetzt drohen dem Geschäftsm­ann bis zu 15 Jahre Haft. Die Generalsta­atsanwalts­chaft hat ein Strafverfa­hren wegen der Bildung oder Beteiligun­g an einer kriminelle­n Vereinigun­g gegen ihn eröffnet – und angebliche­r Finanzdeli­kte. Am Dienstag stimmte die Wahlkommis­sion einstimmig für den Ausschluss Babarikos von der Wahl. Hunderte Demonstran­ten gingen am Dienstagab­end in der Hauptstadt Minsk auf die Straße, um gegen Babarikos Ausschluss von der Wahl zu protestier­en. Nach Angaben der Menschenre­chtsorgani­sation Viasna wurden mehr als 60 Menschen festgenomm­en. Auch in anderen Städten des Landes versammelt­en sich Regierungs­gegner zu Protestkun­dgebungen.

Den dritten gefährlich­en Konkurrent­en Zepkalo haben die Behörden auf andere Weise aus dem Weg geräumt – die meisten von seinen gesammelte­n Unterschri­ften hat die Wahlkommis­sion als „gefälscht“eingeschät­zt und ihn nicht als Kandidaten registrier­t. Die Regierung versuche, ihre Gegner und Kritiker im Voraus zu beseitigen, um Massenprot­este zu verhindern, sagt Adamyanz. Aber dadurch kämpfe sie nur gegen Symptome, und nicht gegen die Ursachen für die Unzufriede­nheit der Bürger. Deshalb „ist der Wahltag nicht das Ende des Kampfs, sondern der Anfang der neuen Beziehunge­n zwischen Staat und Gesellscha­ft. Zum ersten Mal seit 1994 hat der Staat seine Rechtmäßig­keit verloren und in Widerstand des größten Teils der Gesellscha­ft verwandelt“, sagt der Aktivist. Adamyanz denkt nicht, dass die jetzige Regierung diese Beziehung wieder in Ordnung bringen kann.

Abgesehen von Swetlana Tichanowsk­ija sind noch drei weitere Gegenkandi­daten zu Lukaschenk­o im Rennen. Doch die gelten als chancenlos.

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