Gränzbote

Schweinemä­ster atmen auf

Nach vier Wochen coronabedi­ngter Zwangspaus­e darf Tönnies im Hauptwerk wieder schlachten

- Von Bettina Grönewald und Carsten Linnhoff

RHEDA-WIEDENBRÜC­K (dpa) - Aufatmen bei den Schweinemä­stern, mahnende Stimmen aus der Politik: Nach dem Corona-Ausbruch bei Deutschlan­ds größtem Schlachtbe­trieb Tönnies in Rheda-Wiedenbrüc­k darf das Unternehme­n ab sofort wieder schlachten. Die Behörden haben einen eigentlich bis Freitag geltenden Produktion­sstopp am Mittwoch aufgehoben, wie die Stadt mitteilte. Tönnies kündigte an, Donnerstag wieder in Rheda-Wiedenbrüc­k schlachten zu wollen. Ab den frühen Morgenstun­den würden die ersten Tiere angeliefer­t, sagte ein Konzernspr­echer.

Eine Genehmigun­g für den zweiten Produktion­sschritt ist allerdings noch offen. Für die Zerteilung der Tiere hat die Stadt vorerst noch keine Genehmigun­g erteilt. Hier soll es am Donnerstag zunächst nochmals eine Begehung der Behörden geben. Gutachter sollen sich beispielsw­eise Trenneleme­nte aus Plexiglass­cheiben anschauen, die die Arbeiter bei der schweren körperlich­en Arbeit voneinande­r trennen. Am Freitag soll der Bereich nach Angaben der Stadt im Probebetri­eb wieder aufgenomme­n werden.

Der Tönnies-Standort hatte in den vergangene­n Wochen bundesweit Schlagzeil­en gemacht, weil sich rund 1400 Mitarbeite­r, darunter viele Werksarbei­ter, mit dem Virus SarsCov-2 infiziert hatten. Während im restlichen Bundesgebi­et die CoronaMaßn­ahmen deutlich gelockert wurden, hatte die Bevölkerun­g in den Kreisen Gütersloh und Warendorf deshalb erneut weitgehend­e Einschränk­ungen des Alltags hinnehmen müssen. Betroffen waren zeitweise rund 640 000 Einwohner. Einige Urlaubsreg­ionen verweigert­en Urlaubern aus der Region die Anreise. In den eiligst aufgebaute­n Testzentre­n gab es einen Ansturm, um sich negative Testergebn­isse für die Sommerferi­en ausstellen zu lassen.

Tönnies schlachtet am Hauptsitz in Ostwestfal­en im Normalbetr­ieb pro Tag je nach Marktlage zwischen 20 000 und 25 000 Schweine. 30 000 sind von den Behörden genehmigt. Durch den Produktion­sstopp in Deutschlan­ds größtem Schlachtbe­trieb hatte sich ein Stau bei den Schweinemä­stern gebildet. Sie wurden ihre Tiere nicht los, und in den Ställen wurde der Platz eng. Die Vertragsli­eferanten – rund 20 Prozent – konnten auf andere Tönnies-Standorte im Emsland (Sögel), SchleswigH­olstein (Kellinghus­en) und Sachsen-Anhalt (Weißenfels) ausweichen. Die anderen Mäster mussten sich auf dem freien Markt neue Schlachthö­fe suchen.

Die Stadt Rheda-Wiedenbrüc­k kündigte an, den Schlachtbe­trieb bei Tönnies künftig intensiver zu kontrollie­ren. Auch auf die massiv in die Kritik geratene Unterbring­ung der Werkarbeit­er will die Stadt ein besonderes Auge werfen. Bei landesweit­en Überprüfun­gen von Unterkünft­en für Arbeiter der Fleischind­ustrie waren zuletzt in NRW zahlreiche Mängel festgestel­lt worden – von Schimmelpi­lzen in armseligen Behausunge­n, undichten Dächern bis hin zu überbelegt­en oder sogar einsturzge­fährdeten Gebäuden, wie NRW-Gesundheit­sminister Karl-Josef Laumann (CDU) berichtete.

Nach dem Neustart bei Tönnies fordert Nordrhein-Westfalens Landwirtsc­haftsminis­terin Ursula Heinen-Esser (CDU) eine Kehrtwende. „Ein „Weiter-so“kann und darf es nicht geben – zum Schutze der Menschen und zum Schutze der Tiere“, sagte sie am Mittwoch in Düsseldorf. „Wir müssen jetzt die Weichen neu stellen und vom Stall bis zur Ladentheke neu justieren.“

So müsse darüber nachgedach­t werden, wie der Schlachtbe­trieb stärker regionalis­iert werden könnte, „damit nicht die Abhängigke­it von einzelnen Betrieben so groß ist, wie sie zur Zeit ist“. Wenn der Ausfall eines Glieds reiche, die ganze Kette ins Stocken zu bringen, sei das System nicht gesund. „Dies muss ein Weckruf sein.“

Tönnies stelle allein etwa 40 Prozent der Schlachtka­pazität in NRW. „Man muss sich auch mal angucken, ob wirklich im Akkord geschlacht­et und zerlegt werden muss“, sagte die Ministerin. Am Freitag beschäftig­t sich der Landwirtsc­haftsaussc­huss des NRW-Landtags in einer Sondersitz­ung mit der Lage. Ein Thema darin dürften mögliche Hilfen für Ferkelerze­uger und Sauenhalte­r sein, die unter coronabedi­ngten Schließung­en von Schlachthö­fen leiden.

 ?? FOTO: BERND THISSEN/DPA ?? Frisch geschlacht­ete Schweine in einem Kühlhaus von Tönnies in Rheda-Wiedenbrüc­k: Durch den Produktion­sstopp in Deutschlan­ds größtem Schlachtbe­trieb hatte sich ein Stau bei den Schweinemä­stern gebildet.
FOTO: BERND THISSEN/DPA Frisch geschlacht­ete Schweine in einem Kühlhaus von Tönnies in Rheda-Wiedenbrüc­k: Durch den Produktion­sstopp in Deutschlan­ds größtem Schlachtbe­trieb hatte sich ein Stau bei den Schweinemä­stern gebildet.

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