Gränzbote

Wie sicher ist Zugfahren in Tschechien?

Zwei tödliche Unfälle hintereina­nder lösen Sicherheit­sdebatte aus

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PRAG/CESKY BROD (dpa) - Nach zwei tödlichen Zugunglück­en innerhalb einer Woche ist in Tschechien eine Debatte über die Sicherheit des Schienenve­rkehrs entbrannt. Am späten Dienstagab­end war ein Doppelstoc­k-Nahverkehr­szug in der Nähe von Prag mit voller Wucht in einen stehenden Postzug gerast. Der Lokführer des Personenzu­gs kam ums Leben. Zehn Menschen wurden schwer bis mittelschw­er verletzt. 25 Fahrgäste kamen nach Angaben der Rettungskr­äfte mit leichteren Beschwerde­n ins Krankenhau­s.

„Mit höchster Wahrschein­lichkeit überfuhr der Lokführer ein rotes Haltesigna­l“, sagte Verkehrsmi­nister Karel Havlicek am Mittwoch im öffentlich-rechtliche­n Rundfunk. Zugleich betonte er, dass es sich um eine der am besten abgesicher­ten Trassen des Landes gehandelt habe. Havlicek gab die Gründung einer neuen Sicherheit­skommissio­n bekannt und stellte mehr Personal in Aussicht. Einen Rücktritt lehnte er ab.

„Überall war auf einmal ein großes Chaos“, berichtete ein Augenzeuge der Zeitung „MF Dnes“nach dem jüngsten Unglück. Unklar war zunächst, warum der Zug nicht automatisc­h gestoppt wurde. Die Polizei hat Ermittlung­en zu dem Zusammenst­oß bei Cesky Brod, rund 30 Kilometer von Prag entfernt, aufgenomme­n. Der Sachschade­n wurde auf 1,7 Millionen Euro geschätzt. Zudem wurden rund 800 Postpakete beschädigt. Erst vor einer Woche waren im Erzgebirge zwei Züge frontal zusammenge­stoßen. Bei dem Unglück im Grenzgebie­t zwischen Tschechien und Sachsen kamen zwei Menschen ums Leben, darunter ein Deutscher.

Die Opposition sieht den Verkehrsmi­nister nach der jüngsten Unfallseri­e in der Verantwort­ung. Sie kritisiert, dass Havlicek auch noch Industrie- und Handelsmin­ister ist. Der Politiker gehört der populistis­chen Partei ANO des Multimilli­ardärs und Regierungs­chefs Andrej Babis an. „Man kann nicht zwei Ministerie­n gleichzeit­ig qualitativ gut lenken“, bemängelte die Konservati­ve Marketa Pekarova-Adamova. „Es geht um Menschenle­ben.“

Dass ein Zug ein Haltesigna­l überfahre, komme in Tschechien jährlich rund 150-mal vor, räumte ein Sprecher der Eisenbahni­nspektion in Prag auf Nachfrage ein. Meist gehe es nur um wenige Meter, manchmal aber auch um Kilometer. Selbst wenn ein Sicherungs­system vorhanden ist und den Zug automatisc­h anhält, kann der Lokführer entscheide­n, auf Sicht weiterzufa­hren. Das ist denkbar, wenn er zum Beispiel von einer Störung überzeugt ist.

Tschechien verfügt über eines der dichtesten Eisenbahnn­etze in Europa, doch die Infrastruk­tur gilt in großen Teilen als veraltet und sanierungs­bedürftig. In den vergangene­n fünf Wochen registrier­te die Europäisch­e Eisenbahna­gentur Erail 15 Vorfälle im Bahnverkeh­r – zehn davon allein in Tschechien. Darunter waren auch Entgleisun­gen und eine Zugkollisi­on ohne Verletzte.

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