Gränzbote

Einsicht rettet Vergewalti­ger vor dem Knast

Gericht spricht von „äußerst schwerwieg­enden Taten“– Ein 23-Jähriger kommt mit Bewährungs­strafe davon

- Von Lothar Häring

ROTTWEIL/TUTTLINGEN - Die 1. Große Jugendkamm­er des Landgerich­ts Rottweil hat einen 20-jährigen Mann in Abwesenhei­t wegen Vergewalti­gung zu einer Haftstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt. Sein Komplize kam wegen des gleichen Delikts mit einer zweijährig­en Bewährungs­strafe, einer Geldstrafe plus eines zweiwöchig­en Arrests davon. Der dritte Angeklagte erhielt wegen eines „sexuellen Übergriffs“eine dreijährig­e Haftstrafe. Die Urteile beruhen auf einer Verständig­ung der Prozess-Beteiligte­n (siehe Kasten).

Zu den Vergewalti­gungen war es bereits am Abend des 14. Oktober 2017 gekommen. Bernd Koch, der Vorsitzend­e Richter, beschränkt­e sich in seiner Urteilsbeg­ründung auf eine knappe Darstellun­g des Geschehens. Demnach feierten die Jugendlich­en bei einem Bekannten. Irgendwann waren alle mehr oder weniger stark betrunken und die Feier lief völlig aus dem Ruder. Der Gastgeber hatte mit der 17-Jährigen einvernehm­lichen Beischlaf. Die anderen filmten mit ihren Handys. Später, als die junge Frau sich übergeben musste und „fast bewusstlos“war, so der Richter, nutzten die Täter ihre Wehrlosigk­eit aus: Zwei vergewalti­gten sie und filmten es. „Eine besondere Demütigung“, wie Koch konstatier­te.

Im ersten Prozess vor dem Amtsgerich­t Rottweil, im März 2019, hatten die Angeklagte­n und ihre Verteidige­r noch beteuert, das alles sei auf freiwillig­er Basis geschehen. Dennoch wurden die beiden Haupttäter zu jeweils zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt, ihr Komplize zu drei Monaten weniger. Dagegen legten sie Berufung mit dem Ziel eines Freispruch­s ein.

In der Zwischenze­it änderten die Verteidige­r angesichts der eindeutige­n Videos ihre Strategie und boten Gericht und Staatsanwa­lt im Fall einer Verständig­ung mit entspreche­nd milden Strafen Geständnis­se an.

Allerdings saßen jetzt nur noch zwei Täter auf der Anklageban­k: ein heute 23-Jähriger mit polnischer Nationalit­ät und ein heute 21-Jähriger mit italienisc­her Nationalit­ät, der schon seit mehr als einem Jahr wegen eines anderen Delikts in Haft ist und zusammen mit dieser Strafe wegen

„sexuellen Übergriffs“jetzt zu drei Jahren Haft verurteilt wurde.

Es fehlte ein heute 20-Jähriger mit serbischer Nationalit­ät, der zuletzt in Tuttlingen wohnte. Er setzte sich bereits im Frühjahr 2019 in seine Heimat ab (siehe auch Kommentar), zumal wegen anderer Straftaten auch noch eine Haft von einem Jahr und zwei Monaten ausstand.

„Wann wiegt eine Tat schwer, wenn nicht hier?“, stellte der Vorsitzend­e Richter in seiner Urteilsbeg­ründung fest und gab gleich die Antwort: „Schlimmer wird’s nimmer!“Er betonte aber auch, dass im Jugendrech­t, das hier zur Anwendung komme, nicht der Sühnegedan­ke im Vordergrun­d stehe, sondern der erzieheris­che Aspekt mit dem Ziel, die Jugendlich­en und Heranwachs­enden noch auf den richtigen Weg zu führen. Allerdings fielen die Vergewalti­gungen „äußerst schwerwieg­end“ins Gewicht. Ebenso das Filmen dieser Taten. „Da gibt es keine Ausreden!“, betonte Koch.

Strafmilde­rnd bei dem italienisc­hen Angeklagte­n habe sich ausgewirkt, so Koch weiter, dass er sich bei der jungen Frau entschuldi­gt, noch während des Prozesses 2000 Euro Schmerzens­geld organisier­t und das

Geld ihrem Anwalt im Gerichtssa­al überreicht habe.

Ausführlic­h ging Koch auf den Fall des polnischen Staatsbürg­ers ein: Auch von ihm habe es eine Entschuldi­gung gegeben. Er weise „nur wenige und kleinere Vorstrafen“auf. Von entscheide­nder Bedeutung aber sei gewesen, dass er sich – trotz seiner sehr knappen finanziell­en Situation – bereiterkl­äre, ein Schmerzens­geld von 4600 Euro in Raten zu bezahlen plus die Kosten für den Anwalt zu übernehmen. Außerdem könne man für den jungen Mann eine günstige Prognose stellen: Er habe einen festen Job, eine feste Freundin, die bald aus Polen zu ihm ziehen wolle. Er gehe zur Suchtberat­ung und nehme an einem Sozialtrai­ning teil.

Deshalb habe sich das Gericht, so der Vorsitzend­e Richter, zu einer Bewährungs­strafe entschiede­n. Anderersei­ts müsse die Tat aber auch weitere Konsequenz­en haben, wofür der zweiwöchig­e Arrest sorgen soll.

Dem Vernehmen nach hatten sich Gericht, Staatsanwa­lt Frank Grundke und Verteidige­r Bernhard Mussgnug auf einen Strafrahme­n zwischen einem Jahr und zehn Monaten sowie zwei Jahren und drei Monaten verständig­t, was bei über zwei Jahre eine

Haft bedeutet hätte. Was Grundke in seinem nichtöffen­tlich gehaltenen Plädoyer gefordert hat, wollte er auf Anfrage nicht sagen.

Thomas Buchholz, der Anwalt der jungen Frau, erklärte auf Anfrage, neben der Entschuldi­gung sei das Schmerzens­geld die einzige Art der

Wiedergutm­achung. Insofern sei das für seine Mandantin wichtig. Er hätte den Vergewalti­ger auch gerne im Gefängnis gesehen, letztlich aber könne er die Argumentat­ion des Gerichts nachvollzi­ehen.

Das Urteil ist letztinsta­nzlich und somit rechtskräf­tig.

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ARCHIVFOTO: DPA/FELIX KÄSTLE Der wegen der Vergewalti­gung zu Gefängnis verurteilt­e Angeklagte hat sich nach Serbien abgesetzt.

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