Das fatale Staatsversagen
Wer in den vergangenen Monaten diverse Prozesse vor dem Landgericht Rottweil verfolgt hat, der ist stark gefährdet, am Staat und seinen Behörden zu zweifeln oder gar zu verzweifeln.
Zum Beispiel konnte der Verdacht nie völlig entkräftet werden, dass der Dreifach-Mord von Villingendorf hätte verhindert werden können, wenn Behörden und Polizei konsequenter gehandelt hätten. Noch nicht lange her und unvergessen ist auch jener Mann, den Polizei und Staatsanwaltschaft als Kronzeugen im großen Drogenprozess präsentierten, ihn vor bösen Mächten versteckten, schützten, päppelten und pamperten – bis er sich schließlich als gemeiner Verbrecher entpuppte, der mit internationalem Haftbefehl gesucht wurde.
Und aktuell jener Angeklagte, der sich dem ersten Vergewaltigungsprozess durch Flucht entzog und damit den Blick auf einen Missstand lenkte, der zur Zerreißprobe in dieser Gesellschaft geworden ist: Es stellte sich heraus, dass seine serbische Familie im Jahr 1997 nach Deutschland gekommen war und nach einem fünfjährigen Asyl-Verfahren zur Ausreise aufgefordert wurde. Es folgte eine Duldung, die inzwischen seit 17 Jahren andauert. 17 Jahren! In der Zwischenzeit begingen mindestens drei der acht Kinder mehrfach Straftaten. Zwei junge Frauen wurden deswegen im vergangenen Jahr abgeschoben. Ihr Bruder wurde mit 15 zum Serientäter, vergewaltigte mit 17 eine junge Frau, wurde zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt, legte Berufung ein und konnte sich in seine Heimat absetzen, weil das Amtsgericht Rottweil den Antrag der Staatsanwaltschaft Rottweil auf
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Untersuchungshaft ablehnte. Die Eltern können nicht mehr abgeschoben werden, weil der Vater erkrankt ist.
Diese Kette von Versäumnissen, Fehlleistungen, Missverständnissen und Gleichgültigkeit ist ein fatales Staatsversagen mit verheerenden Nebenwirkungen. Es ist ein toxisches Gebräu, das zu Demokratieund Parteiverdrossenheit, zu Vertrauensverlust und zur Stärkung rechtsradikaler Kräfte führt. Nicht zuletzt sinkt in der Bevölkerung die Akzeptanz für jene, die wirklich politisch verfolgt sind und des Schutzes durch das Asylrecht bedürfen.
Das eigentliche Dilemma ist ja, dass der Fall der serbischen Familie kein Einzelfall ist, sondern einer unter vielen. Zu vielen.
Beruhigend, dass die Gerichte in Rottweil Fehler, Pannen und Pech von Behörden oder Polizei meist ausgebügelt und sich so als ein entscheidendes Korrektiv erwiesen haben. Im aktuellen Vergewaltigungsprozess kommen allerdings Zweifel auf. Der Vorsitzende Richter hat die Tat zwar mit angemessen scharfen Worten verurteilt, das Urteil der 1. Großen Jugendkammer – besetzt mit zwei Frauen und zwei Männern – allerdings scheint dazu nicht so richtig zu passen. Es bleibt die Frage, ob gesetzestreue Bürger verstehen, wo die Verhältnismäßigkeit, die Signalwirkung und der Abschreckungsgedanke bleiben, wenn einer, der eine brutale Vergewaltigung begangen und dann noch seinen Komplizen bei der gleichen Tat am gleichen Opfer eiskalt gefilmt hat, mit einer Bewährungsstrafe davonkommt.
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