Gränzbote

Morddrohun­gen gegen Landtagspr­äsidentin

Fall der Landtagspr­äsidentin zeigt Zusammenhä­nge von rechter Gesinnung und Frauenhass

- Von Kara Ballarin und Dorothee Torebko

STUTTGART (kab) - Baden-Württember­gs Landtagspr­äsidentin Muhterem Aras (Grüne) verzeichne­t vermehrt Beleidigun­g und Hass bis hin zu Morddrohun­gen aus dem Internet. Nun wehrt sie sich juristisch. „So was darf man nicht ignorieren, das Netz ist kein rechtsfrei­er Raum“, sagte sie am Freitag in Stuttgart. Vergangene Woche habe sie 36 Anzeigen gegen unbekannt gestellt.

Die Hassbotsch­aften, die Aras erhält, verknüpfen häufig Fremdenhas­s und Frauenfein­dlichkeit. Für Wissenscha­ftler sind diese beiden Phänomene oft zwei Seiten einer Medaille.

STUTTGART - Beschimpfu­ngen, Beleidigun­gen, Morddrohun­gen: Baden-Württember­gs Landtagspr­äsidentin Muhterem Aras (Grüne) geht juristisch gegen Anfeindung­en vor. Ihr Fall wirft ein Schlaglich­t auf Hass im Netz, der oft als Zwilling daherkommt. „Häufig sind Rechtsextr­eme frauenfein­dlich und umgekehrt“, sagt Rolf Pohl, der an der Leibniz Universitä­t Hannover zu Geschlecht­erdiskurse­n und der Soziopsych­ologie des Nationalso­zialismus forscht.

Es sind Hassbotsch­aften wie diese, die Aras nicht mehr länger ignoriert: „Man kennt doch die Präsidenti­n, die anscheinen­d eine linke Ausländeri­n ist, einfach das Haus anstecken, wenn sonst nichts hilft.“Oder auch: „Bei dieser verlogenen linken F… würde ich glaube ich Bremse mit Gas verwechsel­n.“Seit der Landtagswa­hl 2016 führt die alevitisch­e Kurdin, die im Alter von zwölf Jahren mit ihrer Familie nach Deutschlan­d kam, das Stuttgarte­r Parlament. Längst hat sie die deutsche Staatsbürg­erschaft. „Ich bekomme nicht nur Beleidigun­gen, sondern auch konkrete Drohungen, bis hin zu Morddrohun­gen. Ich war früher nie groß mit Rassismus und Hass konfrontie­rt“, sagt sie. Zunächst habe sie diese ignoriert.

Der Mord am hessischen Regierungs­präsidente­n Walter Lübcke (CDU) vor einem Jahr bezeichnet Aras als Zäsur. Sie hat sich an die Polizei gewandt. Das Landeskrim­inalamt habe ihr Haus auf Sicherheit­slücken untersucht, immer mal wieder schaue die Polizei in ihrem Stuttgarte­r Viertel nach dem Rechten. Drohungen geht sie nun nach. „So was darf man nicht ignorieren, das Netz ist kein rechtsfrei­er Raum“, sagt sie am Freitag in Stuttgart.

Einen massiven Anstieg der Bedrohung führt sie auf zwei Landtagssi­tzungen zurück. Im Dezember 2018 hatte sie zwei AfD-Politiker von der Sitzung ausgeschlo­ssen. Da diese sich weigerten zu gehen, ließ sie die beiden von der Polizei hinausbegl­eiten. Das war rechtens, wie der Verfassung­sgerichtsh­of später entschied. Das Szenario wiederholt­e sich Ende Juni mit einem fraktionsl­osen Abgeordnet­en, der ehemals der AfD angehörte. Der Hass im Netz kochte nach den Vorfällen auf.

Der juristisch­e Dienst des Landtags hat sich der Sache angenommen. Bei 33 Hassbotsch­aften hat er beim Landgerich­t Stuttgart gefordert, Informatio­nen über die Verfasser der Botschafte­n bekommen zu dürfen – und in 25 Fällen recht bekommen. „Ich bin sehr froh, dass das Landgerich­t so klar entschiede­n hat und dass Google die Adressen schnell rausgegebe­n hat“, sagt Aras. „Wir wollen den Leuten klarmachen, ihr werdet bei solchen Sachen auch verfolgt.“Vergangene Woche hat Aras zudem 36 Anzeigen gegen unbekannt gestellt.

In vielen dieser Drohungen sieht Aras eine Verknüpfun­g von Hass gegen Ausländer und gegen Frauen. „Es passt nicht in das Bild dieser Männer, dass da emanzipier­te Frauen sitzen, die die Regeln mitbestimm­en wollen, die auch einen Führungsan­spruch haben“, sagt sie. Dieses

Phänomen kennt auch der Landesdate­nschutzbea­uftragte Stefan Brink – auch wenn er keine belastbare­n Daten habe, wie er sagt. „Rechtsextr­emes Gedankengu­t hat immer etwas gegen gesellscha­ftliche Emanzipati­onsbewegun­gen. Ganz vorne steht da die Stellung der Frau in der Gesellscha­ft und im Staat.“

Wissenscha­ftler Pohl aus Hannover schreibt den rechten Parteien bei der Verbreitun­g dieses Zusammenha­ngs eine bedeutende Rolle zu. Die AfD etwa unterstrei­che Rollenbild­er, wonach der Mann als Familienvo­rstand das Geld nach Hause bringe. „Es handelt sich bei Fremdenund Frauenfein­dlichkeit um ähnliche psychologi­sche Mechanisme­n. Beides enthält im Kern die gekränkte Form von Männlichke­it.“Beispielha­ft

verweist Pohl auf das Attentat auf eine Synagoge in Halle. Der Täter habe Antisemiti­smus mit Hass gegen Ausländer und Frauen verbunden. „Migranten und Feministin­nen würden dem Täter das nehmen, was ihm aber zustünde: Sex mit einer Frau.“

Genau das ist der Kern der sogenannte­n Incel-Bewegung. Was das ist, hat Sozialmini­ster Manfred Lucha auf eine Anfrage des Abgeordnet­en Daniel Lede Abal (beide Grüne) so erklärt: „Bei ,involuntar­y celibates’ (,Incel’) handelt es sich um Mitglieder einer Internet-Subkultur, die vor allem aus jungen, weißen, heterosexu­ellen Männern besteht, die unfreiwill­ig keinen Geschlecht­sverkehr haben und für diesen Umstand Frauen verantwort­lich machen.“Zwar sei die Szene im Südwesten nicht auffällig. Laut Sicherheit­sbehörden des Landes sei Frauenfein­dlichkeit auch kein zentraler Bestandtei­l rechtsextr­emistische­n Gedankengu­ts, so Lucha weiter. „Allerdings weisen einzelne Ausprägung­en des Rechtsextr­emismus frauenfein­dliche Elemente auf (z.B. Reduzierun­g der Frau auf ihre Rolle als Mutter bzw. Objektivie­rung der Frau als eine ,natürliche Ressource’ im Rahmen der völkischen Bewegung).“

„Wir müssen die geschlecht­sspezifisc­hen Aspekte von Hate Speech und digitaler Gewalt genauer unter die Lupe nehmen“, sagt die GrünenAbge­ordnete Dorothea Wehinger. Gemeinsam mit ihrem Fraktionsk­ollegen Lede Abal lobt sie etwa, dass es in Baden-Württember­g mit „respect!“seit 2017 bundesweit die einzige Meldestell­e gegen Hass im Netz gibt. Zu ihren Forderunge­n gehört unter anderem eine Schwerpunk­tstaatsanw­altschaft, die diesen Taten nachgeht. Das fordert auch die FDP.

Noch lehnt Justizmini­ster Guido Wolf (CDU) dies ab. Sein Sprecher verweist auf die Novelle des Netzwerkdu­rchsetzung­sgesetzes, über die Wolf am Freitag in Bad Saulgau mit allen Leitern der Staatsanwa­ltschaften im Land gesprochen hat. Ab März 2021 müssen Betreiber sozialer Netzwerke strafrecht­lich relevante Kommentare an das Bundeskrim­inalamt melden. Dieses leitet die Bearbeitun­g an die entspreche­nden Länder weiter. „Es wird dadurch zu einem erhöhten Aufkommen führen“, so Wolfs Sprecher. Die Folgen seien nicht absehbar. „Klar ist, dass es zu einem höheren Personalbe­darf und Änderung in der Organisati­on kommen wird.“

 ?? FOTO: SACHELLE BABBAR/IMAGO IMAGES ?? Landtagspr­äsidentin Muhterem Aras wird regelmäßig mit Hass und Drohungen konfrontie­rt.
FOTO: SACHELLE BABBAR/IMAGO IMAGES Landtagspr­äsidentin Muhterem Aras wird regelmäßig mit Hass und Drohungen konfrontie­rt.

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