Polizei fasst Waffennarr
31-Jähriger hatte sich tagelang im Schwarzwald versteckt
OPPENAU (AFP/dpa) - Fünf Tage nach seiner Flucht in den Schwarzwald ist der 31-Jährige gefasst worden, der vier Polizisten entwaffnet hatte. Wie das Polizeipräsidium Offenburg mitteilte, nahmen Beamte am Freitag den Verdächtigen Yves R. fest. Dabei seien fünf Schusswaffen sichergestellt worden. Der Verdächtige war als Jugendlicher wegen Volksverhetzung verurteilt worden und fiel immer wieder durch Waffendelikte auf.
Der Mann hatte am Sonntagmorgen bei einer Kontrolle in einer illegal von ihm genutzten Gartenhütte vier Polizisten bedroht und sie gezwungen, ihre Dienstpistolen abzulegen. Anschließend flüchtete er mit den Waffen in den Wald, in dem er sich gut auskennt. Danach war er tagelang verschwunden. Hunderte Polizisten durchkämmten die Region um Oppenau, unterstützt von Hubschraubern mit Wärmebildkameras und Spezialkräften.
OPPENAU - Freitag, 17.17 Uhr: Nach genau fünf Tagen, fünf Stunden und elf Minuten ist die Jagd der Polizei auf Yves Etienne Rausch vorbei: Ein Polizeihund spürt den gesuchten 31-Jährigen aus Oppenau in einem Gebüsch auf, Beamte des Spezialeinsatzkommandos (SEK) nehmen ihn fest. Bei der Festnahme wird der Mann ebenso wie ein SEK-Beamter leicht verletzt.
Seit Sonntag war Rausch im Schwarzwald auf der Flucht vor der Polizei. Er hatte vier Polizisten bei einer Kontrolle in einer Gartenhütte bedroht, ihnen die Dienstwaffen abgenommen und war anschließend im Wald verschwunden. Man habe „die vier Polizeiwaffen und eine zusätzliche Pistole gefunden“, sagt Einsatzleiter Jürgen Rieger am Freitagabend bei einer eilends angesetzten Pressekonferenz. Die Untersuchung der fünften Waffe laufe noch. Daher mache er „keine Aussage zu Art und Gefährlichkeit der Waffe“. Zudem habe der Mann ein Beil auf dem Schoß gehabt und einen Brief dabei. Er sei aufgrund eines Hinweises zweier Zeugen gefunden worden. Der genaue Ablauf der Festnahme müsse noch geklärt werden – ob sich Rausch „leicht gewehrt hat oder aktiven Widerstand geleistet hat“, sagt Jürgen Rieger.
Der 31-Jährige soll jetzt von einem Psychiater begutachtet werden. Dies sei aufgrund des „Schwergewichts der Tat“und der Vorgeschichte des Mannes nötig, sagt Oberstaatsanwalt Herwig Schäfer. Zudem werde bei ihm eine Blutprobe entnommen, um zu prüfen, ob der Mann „Substanzen, Medikamente oder Rauschmittel“eingenommen hatte. Der bestehende Haftbefehl solle dem Mann am Samstag eröffnet werden
Mit dieser Pressekonferenz geht eine der spektakulärsten Fahndungen der jüngeren Kriminalgeschichte im Südwesten zu Ende, die am vergangenen Sonntag mit einem Routineeinsatz begonnen hatte.
Vier Polizisten kontrollieren den vorbestraften 31-Jährigen ohne festen Wohnsitz in einer illegal von ihm genutzten Hütte, in der er sich häuslich eingerichtet hat. Passanten hatten einen Mann in Tarnanzug und mit Pfeil und Bogen gemeldet. Der Mann habe beim Eintreffen der Beamten hinter einem Tisch gesessen und einen entspannten Eindruck gemacht, schilderte der Offenburger Polizeipräsident Reinhard Renter später. Erst als die Polizisten ihn auffordern, die Hütte zu verlassen, und ihn durchsuchen wollen, zieht er plötzlich eine Schusswaffe und richtet diese auf einen der Beamten. Rausch raubt den vier Polizisten die Dienstwaffen und flüchtet. Der Ablauf wirft zunächst Fragen auf. Wie können sich die ausgebildeten Polizisten von dem Mann so entwaffnen lassen? Renter hat darauf eine klare Antwort. Die Lage sei zumindest für einen Kollegen lebensbedrohlich gewesen, sagt er. Nur durch das besonnene Verhalten der Polizisten habe es keine Verletzten gegeben. Sie hätten alles richtig gemacht.
Der Schwarzwald verschluckt den Mann.
Rausch kennt sich in der unwegsamen Region mit tiefen Geländeeinschnitten bestens aus. Hier tragen die Orte sprechende Namen wie „Zuflucht“. Es gibt Kneipen wie „Zum Schwarzbrenner“. Hier bieten Wanderund Skihütten, Viehställe, alte Bunker, Höhlen und leer stehende Gebäude idealen Unterschlupf für einen Mann, der das Outdoor-Leben nicht nur aus dem Lifestyle-Katalog kennt. Oberstaatsanwalt Herwig Schäfer bezeichnet den 31-Jährigen als „Waldläufer“, der gut allein in der Natur zurechtkomme. Aber er könnte gefährlich sein: Er gilt den Ermittlern zufolge als Waffennarr.
Die Suche beginnt. Aus der Bevölkerung gehen 270 Hinweise ein. Hunderte Polizisten durchkämmen die Region um Oppenau, unterstützt von Hubschraubern mit Wärmebildkameras und Spezialkräften. Die massive Präsenz der Polizei ist noch am Freitagvormittag unübersehbar. Mit Maschinenpistolen bewaffnete Polizisten kontrollieren am Bahnhof jeden dort einfahrenden Zug. An den Ortseingängen halten sich in Mannschaftswagen Beamte bereit. Im Vereinsheim des TuS Oppenau haben die Einsatz- und Rettungskräfte ihr Lagezentrum eingerichtet. Sogar ein Tankwagen steht bereit, um den Polizeihubschrauber schnell wieder einsatzbereit melden zu können. Doch heute bleibt die Maschine am Boden: der Nebel.
Aber: Je länger die Suche dauert, desto lauter werden die Stimmen, die den Einsatz ganzer Hundertschaften mit über 2500 Kräften, des Spezialeinsatzkommandos (SEK), der Hundestaffeln, der Wärmebildkameras, der Psychologen und der Hubschrauber gegen einen einzigen flüchtigen Mann kritisch sehen und infrage stellen. „Die Polizei ist doch nur deshalb so aktiv, weil ein einziger Mann vier Polizisten entwaffnet hat und dann abgehauen ist, der tut doch niemandem etwas!“Michael Klett, Inhaber eines Schreibwarengeschäfts in der Ortsmitte, kennt Rausch und fasst zusammen: „Da ist ein armer Irrer unterwegs, der durchgedreht ist, und die Polizei tut so, als würde sich in unserem Wald eine Horde Taliban auf den nächsten Terroranschlag vorbereiten.“
Ja, Rausch sei ein Einzelgänger, ein Sonderling, ist immer wieder zu hören. Immer wieder arbeitslos, habe er auf der Minigolfanlage ausgeholfen.
Gerade junge Leute bekunden ihre Sympathie: „Aber ein ganz lieber Kerl, kein Pädophiler, wie ihm jetzt unterstellt wird, vor allem kein Schwarzwald-Rambo!“Auch im „Café an der Ecke“verteidigt die Verkäuferin den 31-Jährigen. Ihren Namen will sie nicht in der Zeitung lesen, aber bei Facebook hat sie einen Fanclub mitgegründet, der am Freitagnachmittag schon 2780 Mitglieder zählt. Tendenz: steigend. Da wird das SEK als „Pitbulltruppe“bezeichnet. Rausch dagegen wird mit Robin Hood verglichen. Rausch im Panzer, Rausch als Filmheld, Rausch als Talkmaster oder als Inhaber einer fiktiven Ladenkette „Yves Rausch“: Offensichtlich finden die User Gefallen daran, Rausch zum Helden zu stilisieren.
Dass er als Jugendlicher unter anderem wegen Volksverhetzung verurteilt worden war, ignorieren die Nutzer der sozialen Netzwerke. Er hatte nach Angaben der Staatsanwaltschaft im Alter von 15 Jahren das Schild eines Jugendwerks so verändert, dass die Aufschrift die Worte „Juden weg“enthielt. Zudem sei eine rechtsradikale Gesinnung zum Ausdruck gekommen, unter anderem durch Verwendung von Hakenkreuzen und SS-Symbolen sowie judenfeindlicher Äußerungen.
Auch auf der Internet-Seite „www.change.org“fliegen dem 31-Jährigen die Herzen zu. Dort hat ein User namens Jan Bensch eine Petition ans Bundesverfassungsgericht gepostet: Yves Rausch habe niemandem etwas getan, eine Amnestie sei angebracht. 705 Unterschriften hat Bensch bis 19.30 Uhr gesammelt, minütlich werden es bis Redaktionsschluss mehr. Auch auf Twitter sind hämische Kommentare zu finden. Ein User namens Andy schreibt im Wortlaut: „Was für eine Polizei habe wir in D die sofort ihre Waffen übergeben anstatt sich durch zusetzen. Das ist wenn die Polizei zur Gefahr wird. Besser wohl eine Polizei ohne Waffen. Nur peinlich!“
Am Freitagnachmittag vollzieht die Polizei den Strategiewechsel. Denn die Suche bleibt immer noch ohne Erfolg, wie Polizeipräsident Renter eingestehen muss. Und daher ankündigt: Kooperation statt Konfrontation, Deeskalation statt Wafff fenschau. „Ich bitte ihn inständig, mit uns Kontakt aufzunehmen. Sollte er noch über Kommunikationsmittel verfügen, soll er uns anrufen. Oder über die Familie oder Freunde Kontakt aufnehmen. Wir sind nicht auf Konfrontation aus“, so Renter: „Das ist ein Weg, gesund für alle herauszukommen.“Wenige Stunden danach informieren die Beamten über die Festnahme.
Wie sehr sich Rausch nach der Tat vom vergangenen Sonntag strafbar gemacht hat, wird ein Gericht entscheiden. Bislang legt die Staatsanwaltschaft ihm „besonders schwere räuberische Erpressung“zur Last. Das bedeutet: Er muss mit einer Haftstrafe zwischen fünf und 15 Jahren rechnen.