Memminger AfD-Bezirksrat scheitert mit Klage
Politiker zieht wegen Verfassungsschutzbeobachtung vor Gericht, obwohl er nicht mehr beobachtet wird
MÜNCHEN - Die Beziehung von Politikern zu Fotografen erinnert oft an die von Bienen zu Blüten: Wann immer in der Öffentlichkeit ein Objektiv aufblitzt, schieben sich viele Volksvertreter – ob Bundesminister oder Bürgermeister – sogleich ins Bild. Eigentlich. An diesem Freitagmorgen im Münchner Verwaltungsgericht jedoch macht Thomas Wagenseil einen Bogen um alle Fotografen und bedeckt, kaum an der Klägerbank angekommen, sein Gesicht mit den Händen, um es zu verbergen.
Der 42-Jährige aus Memmingen sitzt seit 2018 für die AfD im Bezirkstag Schwaben – und geriet zu jener Zeit ins Visier des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz. Anlass waren seine früheren Aktivitäten bei Facebook, wo er der Behörde zufolge mehrere Likes und Kommentare auf einschlägig rechtsextremen Seiten hinterlassen hatte. Gegen die Beobachtung durch den Verfassungsschutz klagte Wagenseil im Februar 2019 – und hatte Erfolg: Im November untersagte das Verwaltungsgericht München per Eilentscheidung die weitere Beobachtung des Memmingers – ein Urteil, das der Bayerische Verwaltungsgerichtshof wenig später bestätigte.
Seither wird der AfD-Politiker nicht mehr vom Verfassungsschutz beobachtet, und dennoch hielt er an seiner Klage fest. Diese hat das Verwaltungsgericht München am Freitag als unzulässig abgewiesen – mit der Begründung, dass Wagenseils Anwalt „einen falschen Klageantrag gestellt hat“, wie es in einer Mitteilung des Gerichts heißt. Der Antrag lief dem Gericht zufolge ins Leere, da das Landesamt für Verfassungsschutz vor und in der Verhandlung bekräftigt hätte, „dass es den Kläger aufgrund der aktuellen Sachlage nicht beobachtet und auch nicht beobachten wird“. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig; der AfD-Politiker kann eine Zulassung der Berufung zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof beantragen.
In der mündlichen Verhandlung hatte Anwalt Peter Solloch dargelegt, dass sein Mandant infolge der Beobachtung „sehr vielen Anfeindungen und unguten Äußerungen“ausgesetzt war. Unter anderem sei Wagenseil vom Bezirkstagspräsidenten in öffentlicher Sitzung „ganz scharf angegangen worden“. Tatsächlich hatte der angesprochene Martin Sailer (CSU) Ende 2019 im Zuge einer Schweigeminute für die Opfer des antisemitischen Terroranschlags von Halle gefordert, dass sich die AfD von Wagenseil „distanzieren oder besser trennen“solle. Anlass hierfür waren frühere Äußerungen des Memmingers bei Facebook, der dort Sympathien für die Wehrmacht und die Waffen-SS gezeigt hatte. In einer Stellungnahme betonte Wagenseil, dass er „immer nur die militärische Seite dieser kämpfenden Truppen“gesehen habe.
Diese Bekundungen bei Facebook waren freilich auch ein Grund, weshalb der Verfassungsschutz auf Wagenseil aufmerksam wurde. So teilte das bayerische Innenministerium Ende 2018 auf Anfrage der GrünenPolitikerin Katharina Schulze mit: „Aktivitäten von Herrn Wagenseil auf Facebook wiesen in der Vergangenheit auf einzelne Beziehungen in den Phänomenbereich Rechtsextremismus (Identitäre Bewegung), vor allem jedoch auf eine positive Bezugnahme auf die Wehrmacht und die Waffen-SS hin.“
Im Februar stellte der Verwaltungsgerichtshof in seiner Urteilsbegründung
fest: „Die Spuren, die der Antragsteller im Internet hinterlassen hat, zeigen eindeutig eine Gesinnung, die dem rechten politischen Spektrum zuzuordnen ist und im Hinblick auf die Haltung zur NS-Zeit eindeutige Tendenzen zum Rechtsextremismus aufweist.“Die Einschätzung des Verfassungsschutzes, wonach all die Likes, Kommentare und Inhalte auf Wagenseils Facebook-Profil „Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“darstellten, wies das Gericht jedoch zurück. Daher seien die Voraussetzungen für eine Beobachtung nicht erfüllt.
Dass der AfD-Politiker trotz dieses Urteils – sowie dem Zugeständnis des Landesamts für Verfassungsschutz – an seiner Klage festgehalten hatte, war gewissermaßen überflüssig.
Die Facebook-Likes sucht man heute vergebens im Netz. Der Grund: Thomas Wagenseil hat sein Profil inzwischen gelöscht – „nachdem er sich so stark die Finger verbrannt hat“, sagt Sebastian Lipp, Chefredakteur von „Allgäu Rechtsaußen“. Das Portal hat in den vergangenen Jahren regelmäßig über die Internetaktivitäten Wagenseils berichtet. Eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz erachtet Lipp jedoch als überzogen, wie er im Vorfeld der Verhandlung in München betont hatte: „Ich würde es begrüßen, wenn man nicht an einigen Facebook-Likes festmacht, ob jemand rechtsradikale Aktivitäten vorantreibt.“