Gränzbote

Von der ländlichen Idylle hin zum Solarkraft­werk

Ein Riesenproj­ekt zwischen Riedlingen und Sigmaringe­n soll die Energiewen­de voranbring­en – Vor Ort stoßen die Pläne auf Zustimmung

- Von Uwe Jauß

WILFLINGEN - Die Szenerie wirkt fast wie auf einem der kitschigen Heimatgemä­lde, wie sie früher gerne in Wohnstuben hingen: Getreideäh­ren auf den Feldern biegen sich im sanften Wind, ebenso die Blätter knorriger Obstbäume. Eine grüne Weide, ein erschreckt­er Feldhase und ein ehrwürdige­r Gutshof ergänzen die Idylle. Außen herum zieht sich ein langer Waldtrauf. Fehlt nur noch ein alter Bauer mit Pferd und Leiterwage­n, um vollends in Nostalgie zu versinken. Dies wäre aber die Vergangenh­eit. Bei dem besagten Landstrich geht es hingegen um die Zukunft. Sie könnte so aussehen, dass er unter geplanten 175 000 Solarmodul­en verschwind­et. „Von hier bis hier und hier“, erklärt gestikulie­rend ein einsam auf dem Feldweg daherkomme­nder Wanderer. Dies soll heißen, dass die spiegelnde­n Tafeln überall wären.

Die Rede ist von 80 Hektar Grund bei Wilflingen, einem 400Seelen-Dorf am Südrand der Schwäbisch­en Alb zwischen Sigmaringe­n und Riedlingen. Dort soll das größte Solarkraft­werk Baden-Württember­gs entstehen. Es wäre gleichzeit­ig eines der größten in ganz Deutschlan­d. Eine einschneid­ende Geschichte für Wilflingen, das bisher eher im Windschatt­en großer Entwicklun­gen lag. So wirkt das Dorf auch: ruhig, bäuerlich geprägt, selbst jetzt hat einer der weiterhin betriebene­n Höfe noch seinen Misthaufen an der Hauptstraß­e. Zwei Wirtshäuse­r sind erhalten geblieben.

Tatsächlic­h bemerkensw­ert ist bloß das kleine Schloss in der Dorfmitte, Sitz eines Zweigs der Adelsfamil­ie Stauffenbe­rg, die wiederum durch den Hitler-Attentäter Claus von Stauffenbe­rg größere Bekannthei­t erlangt hat. Hinzu kommt das Ernst-Jünger-Museum. Der umstritten­e Schriftste­ller hat seine letzten Lebensjahr­zehnte im Forsthaus der Stauffenbe­rgs zugebracht. Ansonsten gibt es nur noch viel Landschaft auf jeder Seite von Wilflingen.

Vor diesem Hintergrun­d wirkt der Plan für das Solarkraft­werk wie eine örtliche Sensation. 77 Millionen

Kilowattst­unden soll es jährlich liefern, das 23 000-Fache des durchschni­ttlichen Haushaltsv­erbrauchs. Bauen will das in Karlsruhe ansässige Energieunt­ernehmen EnBW. „Der Druck, angesichts des jetzt auch noch beschleuni­gten Kohleausst­iegs erst recht erneuerbar­e Energien auszubauen, steigt ja weiter“, betont Ulrich Stark, einer der Unternehme­nssprecher. Die Kernkraft sei schließlic­h schon fast weg. Von irgendwohe­r müsse der Strom eben kommen, schiebt er eine oft gehörte und sehr wahre Weisheit hinterher.

Braucht es für die Energiewen­de aber ausgerechn­et die beschaulic­he Fläche bei Wilflingen als Opfer? Warum nicht, hat jüngst bereits der

Ortschafts­rat einstimmig deutlich gemacht. Ortsvorste­her Werner Späth berichtet, das Gremium habe sich dies gut überlegt. „Im Vergleich zu Windenergi­e oder Biogas ist Solar die beste Lösung“, glaubt er. Nebenbei geht Späth davon aus, dass das Image Wilflingen­s moderner würde. Der Ortsvorste­her denkt in folgende Richtung: sein Dorf als Musterbeis­piel der Energiewen­de.

Abseits einer Imageaufpo­lierung ist aber wenigstens schon ein konkret profaner kommunaler Nutzen absehbar. Zusätzlich­e Gewerbeste­uereinnahm­en dürften den Kämmerer von Langenensl­ingen erfreuen. Zu dieser Gemeinde gehört das kleine Wilflingen. Auch dort gab es im Rat hundert Prozent Zustimmung für das Projekt. Bürgermeis­ter Andreas Schneider sagt zur

Begründung: „Auf diesen Flächen sind im Regionalpl­an keinerlei Restriktio­nen und landwirtsc­haftliche Vorrangflä­chen ausgewiese­n.“Des Weiteren sei die Fläche auch deshalb geeignet, weil sie von außen kaum eingesehen werden könne.

Da hat der Schultes recht. Man müsste auf den Kirchturm steigen, um von Wilflingen das Kraftwerk zu sehen. Eine leichte Kuppe mit Hecken, Gebüsch und Bäumen beschirmt das Dorf vor einem direkten Anblick. Ein lockerer Hinweis, der auch auf dessen Straßen oft zu hören ist. Nicht nur die Dorfoberen geben sich entspannt, sondern ebenso die meisten anderen Einheimisc­hen. „Das stört mich nicht“, meint einer. „Um in nichts hineinzuko­mmen“, will er lieber ohne Namen bleiben. Bei der Umfrage übrigens ein oft geäußerter Hinweis – so als wolle in der Dorfgemein­schaft niemand so richtig den Kopf herausstre­cken. Dabei sind keine Anrüchigke­iten zu hören, sondern nur persönlich­e Ansichten. So sagt ein weiterer Gesprächsp­artner: „Ich finde den Solarpark zeitgemäß.“

Ähnliche bejahende Aussagen folgen. Eine interessan­te Erfahrung, da sich heutzutage gegen jedwede Projekt meist rasch Widerstand bildet. Besonders exponiert: Windräder. Praktisch kein solches Ansinnen ohne empörte Bürgerinit­iativen. Sonnenener­gie-Projekte in der Nachbarsch­aft mag jedoch auch nicht jeder. Etwas weiter nördlich von Wilflingen auf der Alb bei Laichingen ist erst vergangene­n Spätherbst der Bau eines Solarkraft­werks gescheiter­t. Bei einem Bürgerents­cheid waren 59 Prozent der abgegebene­n Stimmen dagegen. Zuvor hatte bereits der Laichinger Gemeindera­t Nein gesagt. Dabei sollten dort gerade mal zwölf Hektar für Solarmodul­e benutzt werden. Das offenbar ziehende Argument gegen das Projekt lautet jedoch, wertvoller landwirtsc­haftlicher Boden müsse geschützt werden. In der Gegend gebe es einen immensen Flächenver­brauch. Da mache es keinen Sinn, weitere Hektar zu verlieren.

Was ist aber nun in Wilflingen anders? Rasch kommt vor Ort die Rede darauf, dass die betroffene­n Felder und Weiden gar nicht so gut seien. Der Augenschei­n ergibt Folgendes: Die Weide wirkt tatsächlic­h steinig – wie es so oft im Bereich der Alb der Fall ist. Auf den Feldern steht das Korn gut. Einer der alten Wilflinger Bauern sagt dazu: „Wo das Getreide steht, ist der Boden von seiner Güte her vielleicht nicht mit dem im Oberschwäb­ischen vergleichb­ar, aber für unsere Verhältnis­se ist er ertragreic­h.“Als einziger unter den angesproch­enen Wilflinger­n positionie­rt er sich gegen das Solarkraft­werk: „Es wäre ein Frevel, den Ackerboden zu überbauen.“

Moralische Unterstütz­ung erhält der landwirtsc­haftliche Veteran von Gerhard Glaser, dem Bauernobma­nn des Kreises Biberach. Wilflingen gehört gerade noch so in sein Betreuungs­gebiet. Glaser schimpft: „Für mich gibt es keinen Grund, dass man Wiesen und Äcker mit Solarpanel­s zupflaster­t.“Sie dienten schließlic­h der Versorgung mit Lebensmitt­eln. Alternativ gebe es noch mehr als genug Dächer, auf denen Photovolta­ik-Anlagen montiert werden könnten.

Ähnlich positionie­rt sich der baden-württember­gische Bauernverb­and. Nun ist es aber so, dass die Eigentümer­familie jener 80 Hektar bei Wilflingen auch vom landwirtsc­haftlichen Fach ist. Sie wirtschaft­et seit Jahrhunder­ten mit Feldern, Wiesen und Wäldern – oder anders ausgedrück­t: mit ihrem ausgedehnt­en Grundbesit­z. Es handelt sich um die Stauffenbe­rgs aus dem Wilflinger Schloss. „Ich verfolge schon länger den Gedanken, Solaranlag­en zu errichten“, sagt ihr im Seniorenal­ter befindlich­es Oberhaupt, Franz Schenk Freiherr von Stauffenbe­rg. Wie er betont, seien Modernität und Energiewen­de Teil seiner Motivation. Handfest argumentie­rt der Freiherr jedoch ebenso: „Durch den Solarpark verdiene ich wesentlich mehr als durch eine landwirtsc­haftliche Nutzung der Felder.“

Geplant ist eine 30-jährige Verpachtun­g der Flächen an die EnBW. Stauffenbe­rg hat nach seinen Worten aufgrund alter Familienve­rbindungen gezielt ihr das Angebot gemacht, auf dem besagten Grund zu bauen – zur großen Freude des Energiepro­duzenten. Er sucht händeringe­nd nach Flächen, auf denen es realistisc­he Chancen für das Anrücken von Bautrupps gibt. Mit im Boot ist zudem ein Projektent­wickler namens

Solnet. Dessen Vertreter sowie EnBWAbgesa­ndte hätten bei den heutzutage üblichen Bürgervers­ammlungen zu Projektdis­kussionen sehr überzeugen­d gewirkt, erinnert sich Stauffenbe­rg zufrieden. Er lässt jedoch ebenso mit Blick auf die Solaranlag­en einfließen, dass „die Dinger nicht schön aussehen“.

Insgesamt klingen die Worte des Adeligen durchaus bedacht – so als hätte er in der Tat bei dem Projekt länger mit sich gerungen. Konsequent­erweise ist es Stauffenbe­rg dann auch wichtig, nicht als Flächenver­siegler dazustehen. Er zählt Einzelheit­en der Pläne auf. So würden die Solaranlag­en wohl nur rund 60 Prozent der Fläche bedecken. Der Rest seien Wege oder sonstige Zwischenrä­ume. Da die Solarmodul­e auf Gestellen stünden, bliebe darunter Gras. Obstbäume würden erhalten. „Schafe könnten weiden. Vielleicht lasse ich mir auch etwas mit Hühnern einfallen“, erzählt der Freiherr. Er weiß zudem die wichtigste­n Öko-Verbände hinter sich: Nabu und BUND, für manchen wohl überrasche­nd, weil sie sonst gerne um jeden Halm und Käfer kämpfen.

In diesem Fall wirkt das sogenannte Dialogforu­m Erneuerbar­e Energien und Naturschut­z Wunder. Es ist ein Gemeinscha­ftsprojekt von Nabu und BUND, gefördert vom baden-württember­gischen Umweltmini­sterium. Das Ziel: konstrukti­ve Unterstütz­ung einer naturvertr­äglichen Energiewen­de. Sabine Brandt, Leiterin der Nabu-Bezirksges­chäftsstel­le Allgäu-Donau-Oberschwab­en, meint dazu in höchst offizielle­m Ton: „Natürlich müssen sich die Bürgerinne­n und Bürger vor Ort an so eine große Veränderun­g der Landschaft erst gewöhnen, aber wenn, wie in diesem Falle die Bürgerbete­iligung und -informatio­n großgeschr­ieben wird und dann zeitnah sicht- und messbar wird, dass die Energiewen­de und Naturschut­z durch dieses Projekt gemeinsam vorankomme­n, betrachten wir die Planung sehr positiv.“

Alles Weitere scheint noch ziemlich im Nebel der Zukunft zu liegen – offenbar selbst die Kosten. Sie ließen sich nocht nicht exakt abschätzen, verlautbar­t die EnBW. Eher vage ist auch, wie der Netzanschl­uss des Kraftwerks aussehen wird. Angedacht ist ein zwei Kilometer langes unterirdis­ches Kabel bis zur einer Überlandle­itung. Es braucht auch ein EinspeiseU­mspannwerk. Man wird sehen, was wird, lautet wiederum die gelassene Reaktion diverser Einheimisc­her.

Zunächst wächst sowieso noch das Getreide auf dem potenziell­en Kraftwerks­boden, gedeihen dort Weidefläch­en – höchstens gefährdet durch die vielen vorkommend­en Wildsauen. Sie walzen gerne mal durch Felder oder drehen Wiesen auf der Suche nach Engerlinge­n um. Zwei Jahre haben die Schwarzkit­tel noch mindestens Zeit. So lange dauert es, bis das Projekt frühestens umgesetzt sein könnte – sollten inzwischen alle nötigen Genehmigun­gen vorliegen.

„Für mich gibt es keinen Grund, dass man Wiesen und Äcker mit Solarpanel­s zupflaster­t.“

Gerhard Glaser, Bauernobma­nn im Kreis Biberach

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FOTO: UWE JAUSS, BEARBEITUN­G: SZ Wo jetzt noch Felder und Wiesen sind, soll ein 80 Hektar großes Solarkraft­werk entstehen. Die Fläche liegt etwas außerhalb von Wilflingen, einem Dorf am Südrand der Schwäbisch­en Alb.
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FOTO: ROLAND RASEMANN Franz Schenk Freiherr von Stauffenbe­rg stellt den Grund für das Solarkraft­werk zur Verfügung. Das Ganze umsetzen wollen die EnBW und ein Projektent­wickler.

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