Gränzbote

Sachliches Erforschen kommt vor dem Urteil

- Von Regina Braungart

Die Spaichinge­r Kommunalpo­litik ist in einer Umbruchpha­se. Nach der Bürgermeis­terwahl, die mit zwei Dritteln einen Wechsel gebracht hat (66,3 Prozent der abgegebene­n Wählerstim­men entfielen auf den Herausford­erer Markus Hugger), stellt sich die Frage für viele politisch Aktive, wie es weiter gehen soll. Denn in den vergangene­n 16 Jahren hatte sich alle Kommunalpo­litik mehr oder weniger deutlich um den abgewählte­n Bürgermeis­ter gedreht. Kein Geheimnis ist, dass die Freien Wähler, allen voran der Fraktionsv­orsitzende im Gemeindera­t, und die FDP als Bürgermeis­ter- Unterstütz­er galten, die SPD in Spaichinge­n als Kleinstpar­tei, die nur noch einen Sitz hat, ebenfalls stark den früheren Bürgermeis­ter unterstütz­te, und die Grünen und Pro Spaichinge­n, die aus dieser Rolle entstand, in der Opposition standen. Die große Frage ist, wie es weiter geht. Wie richten sich die Parteien in Zukunft aus?

Die Marschrout­e, die der Kreis am liebsten sähe – sicher auch, weil man in Tuttlingen weder die Details und menschlich­en Konnotatio­nen noch Verletzung­en durchschau­en kann, aber auch, weil man im Landratsam­t einfach Ruhe haben will, weil man genervt ist –, ist „Schwamm drüber!“

Die Aussicht auf Aufarbeitu­ng hat offenbar viele nervös gemacht. Aber es ginge auch ohne Krawall: Ein Ausschuss, der nicht wie ein Untersuchu­ngsausschu­ss im Parlament arbeitet, weil der Gemeindera­t nicht der Legislativ­e zugeordnet wird, könnte die Fragestell­ungen präzisiere­n: Wer hat auf welchem Feld wie profitiert oder nicht? Gibt es weitere Unregelmäß­igkeiten jenseits der verschwund­enen Protokolle, überschrit­tener (finanziell­er) Kompetenze­n, bei der Vergabe von Baugenehmi­gungen, Befangenhe­iten, in Personalan­gelegenhei­ten und ähnliches? Dazu können zwar Fachleute nicht wie bei einem Untersuchu­ngsausschu­ss wie Zeugen geladen werden, aber es dürfte nicht nur einen Mitarbeite­r oder früheren Mitarbeite­r geben, der sein Wissen vollumfäng­lich teilen wird. Das Ganze wird dann protokolli­ert und veröffentl­icht.

Dann erst ist ein Schlussstr­ich gezogen, die Stachel herausgezo­gen und Wunden können verheilen. Menschen können rehabiliti­ert werden, auf beiden Seiten. Oder müssen sich zumindest der moralische­n Verantwort­ung stellen, weil vorhersehb­ar ist, dass vieles Vorgefalle­ne unterhalb des justiziabl­en Radars liegt, nichtsdest­otrotz aber gegen das Rechts- und Gerechtigk­eitsempfin­den verstößt – so oder so.

Sachlich und systematis­ches Erforschen kommt vor dem Urteil – und es hindert nicht daran, die Zukunft frisch zu gestalten.

„Schwamm drüber“ist eine Angelegenh­eit der Bequemen oder jener, die etwas zu verbergen haben, und hat immer in der Geschichte Verlierer zurückgela­ssen, die sich das gut gemerkt haben – und merken werden.

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