Das ewige Eis birgt böse Überraschungen
Mikroben können sehr lange tiefgefroren im Eis überleben – Wie gefährlich wird es für die Menschheit, wenn im Zuge des Klimawandels weltweit die Permafrostböden auftauen und Erreger freisetzen?
blieben. So gut, dass Forscher Erbinformationen der Spanischen Grippe aus ihr extrahieren konnten – der Krankheit, die der Welt vor gut 100 Jahren eine schlimme Pandemie bescherte.
Wie gefährlich können solche Viren aus dem Boden, die einst schon einmal kursierten, für heutige Menschen sein? „Von Viren geht keine größere Gefahr aus“, ist SchmidtChanasit überzeugt. Um Menschen krank zu machen, müsse die aufgenommene Virenlast groß sein. Zudem nehme die Infektiosität über die Jahre ab. Je länger ein mit Viren befallener Kadaver oder menschliche Überreste unter dem Eis liegen, desto weniger gefährlich sind die Erreger noch.
Zwar haben Forscher bei Bohrungen im Eis oder im Permafrostboden lebensfähige Viren gefunden. „Die wurden aber unter Laborbedingungen zum Leben erweckt“, erklärt Schmidt-Chanasit. Wenn das Eis in der Natur Viren freigibt, sind sie sogleich Umwelteinflüssen ausgesetzt und sterben schnell. Tiere müssten zum Beispiel unmittelbar mit einem aufgetauten und infizierten Kadaver in Kontakt kommen, um sich eventuell anstecken zu können.
Widerstandsfähiger sind Bakterien – und damit auch gefährlicher. „Anthrax-Sporen sind umweltstabil“, sagt Schmidt-Chanasit. Sie können im gefrorenen Boden lange überdauern und später wieder Tiere und
Die Gefahr ist durchaus reell.
Virologe Jonas Schmidt-Chanasit über Erreger, die wieder aktiv werden
Menschen krank machen. Bakterien, die Anthrax – auch Milzbrand genannt – verursachen, ließen auf der Jamal-Halbinsel schon ganze Rentierherden erkranken. In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Berichte von Rentiersterben. Viele
Tiere werden nun vorbeugend geimpft. Erst in diesem Frühjahr wieder.
Vor zwei Jahren entdeckten russische Biologen in Jakutien im Nordosten Sibiriens Mikroorganismen in Schichten, die sie auf ein Alter von mehr als drei Millionen Jahren schätzten. Den Wissenschaftlern zufolge besteht das größte Problem beim Auftauen der Permafrostböden darin, dass lange gefrorene und heutige Bakterien in Kontakt kommen und Erbgut austauschen könnten, wie die russische Staatsagentur Tass meldete. Dann könne es passieren, dass aus harmlosen Mikroben gefährliche Erreger werden.
Doch Viren und Bakterien werden im Zuge des Klimawandels nicht nur wegen tauenden Eises und tauender Böden zur Bedrohung für die Gesundheit. Zecken und Mücken etwa spielen in unseren Breiten zunehmend als Überträger von Infektionskrankheiten eine Rolle, die zuvor auf südliche Gefilde beschränkt waren. Ein Grund dafür ist, dass eingeschleppte Arten besser durch die milder gewordenen Winter kommen.
In Südfrankreich wurden im vergangenen Jahr Menschen mit dem Zika-Virus durch dort heimisch gewordene Tigermücken angesteckt – es war der erste solche Nachweis in Europa. Auch eine andere eingeschleppte Krankheit sorgt für Ausbrüche in Europa: das vereinzelt tödlich verlaufende West-Nil-Fieber. Ende September 2019 wurde der erste Fall einer in Deutschland erworbenen Infektion beim Menschen bekannt.
Die ursprünglich aus Afrika stammende Erkrankung war zuvor als Tierseuche vor allem bei Vögeln bekannt. Besorgniserregend ist: Das Virus kann von ganz normalen heimischen Stechmücken übertragen werden. Auch hier spielt der Klimawandel eine Rolle: Je wärmer es ist, umso schneller vermehrt sich Experten zufolge der Erreger in der Mücke – die Gefahr einer Übertragung wächst. Das West-Nil-Virus könnte daher künftig auch in Deutschland saisonale Erkrankungswellen verursachen.