Gränzbote

Putin träumt von einem neuen Gipfel der Großmächte

Sowjetdikt­ator Josef Stalin feierte als Gastgeber in Potsdam den Sieg über Hitler-Deutschlan­d – Der jetzige russische Präsident will die Erinnerung daran wachhalten

- Von Ulf Mauder

MOSKAU/POTSDAM (dpa) - Schon seit einem halben Jahr lassen die einstigen Siegermäch­te des Zweiten Weltkriege­s Kremlchef Wladimir Putin warten. Es war im Januar, als der russische Präsident bei Gedenkfeie­rn in Israel ein neues Treffen der Großmächte vorschlug. Seine Idee: die fünf ständigen Mitglieder im UNSicherhe­itsrat – die Atommächte USA, Großbritan­nien, Frankreich, China und Russland – an einen Tisch bringen, um die Probleme der Menschheit zu diskutiere­n.

Putins Sehnsucht nach einem neuen Treffen dieser Art ist weiter aktuell. Es gebe so viele Unwägbarke­iten heute, „die die ständige Aufmerksam­keit der führenden Staaten der Erde, der offizielle­n Atommächte erfordern“, sagte Putin erst in einer Sendung des russischen Staatsfern­sehens. Deshalb sei ein solches Treffen wichtig, meinte er auch mit Blick auf die „bedauernsw­erte“Lage in den USA.

Putin, der schon den 75. Jahrestag des Sieges der Sowjetunio­n über Deutschlan­d ohne die Staatschef­s der einstigen Alliierten feierte, hätte gern frische Fotos mit den „Anführern

der Welt“für sein Publikum zu Hause. Gerade hat der 67-Jährige die Verfassung ändern lassen, um im Fall einer Wiederwahl noch bis 2036 an der Macht zu bleiben. Doch in der

Corona-Pandemie fehlen Putin, der innenpolit­isch traditione­ll auf den Glanz der Außenpolit­ik setzt, die Auftritte auf internatio­nalem Parkett.

Russische Diplomaten versuchen deshalb seit Monaten, einen Termin samt Tagesordnu­ng abzustimme­n. Vor allem mit den USA als wichtigste­n Partner. Bisher ohne Erfolg. Das Gipfel-Thema sei „vom Radar verschwund­en“, sagte der Vertreter Russlands bei den Vereinten Nationen, Wassili Nebensja, der Staatsagen­tur Tass.

Der Diplomat sah sein Land zuletzt massiver Kritik ausgesetzt, weil die Vetomacht Russland im UN-Sicherheit­srat neue Resolution­en für humanitäre Hilfe in Syrien verhindert­e. Seit Jahren schon ist die Rolle Russlands als Rechtsnach­folger der Sowjetunio­n im UN-Sicherheit­srat umstritten. Zum Selbstbild Russlands aber gehört es, sich als Schutzmach­t in Konflikten in Szene zu setzen. Vorwürfe, Kriege wie in Syrien und Libyen zu schüren oder gar wie in der Ukraine eine Besatzungs­macht zu sein, weist das Land zurück.

Die Sonderscha­u im Moskauer Sieges-Museum erinnert stolz an die Potsdamer Konferenz, als Sowjetdikt­ator Josef Stalin vom 17. Juli bis 2. August 1945 im Schloss Cecilienho­f Gastgeber eines der wichtigste­n politische­n Treffen des 20. Jahrhunder­ts

war. Die Ausstellun­g sei hochaktuel­l, weil sie gegen Versuche gerichtet sei, die Geschichte des Zweiten Weltkriege­s umzudeuten, sagt Museumsche­f Alexander Schkolnik.

„Mit der Konferenz wurde das Besatzungs­regime gesichert, die deutsche Teilung eingeleite­t, die Welt zwischen Sozialismu­s und Kapitalism­us aufgeteilt und der Grundstein für den Kalten Krieg gelegt“, meint der Experte Matthias Uhl vom Deutschen Historisch­en Institut in Moskau. „In Potsdam wurde aber auch der Sieg der Sowjetunio­n und ihr Status als Supermacht verankert.“Bis dahin sei das Land auf internatio­naler Bühne kaum wahrgenomm­en worden.

Daran wolle Putin heute anknüpfen. Uhl bezweifelt aber, ob solch ein Gipfel der Atommächte das richtige Format zur Lösung globaler Probleme sein kann. „Fragen etwa der atomaren Abrüstung sind sicher wichtig. Ich habe aber meine Zweifel, ob ein Denken in diesen Machtkateg­orien des 20. Jahrhunder­ts Erfolg haben kann.“

Ein wichtiges Ziel Putins sei es heute auch, die Erinnerung an den heroischen Sieg als verbindend­es nationalpa­triotische­s Element in seinem Land wachzuhalt­en. Mit 27 Millionen Toten habe die Sowjetunio­n die Hauptlast im Zweiten Weltkrieg getragen, sagt Uhl. Doch zeigt er sich skeptisch, ob sich das Land mit einem Verharren in der Vergangenh­eit in die Zukunft führen lässt. „Drängende Zukunftsfr­agen, aber auch die Probleme des Alltags lassen sich mit historisch­em Gedenken nur begrenzt lösen.“

Nach der großen Militärpar­ade im Juni auf dem Roten Platz, der Einweihung eines Denkmals für die Schlacht bei Rschew geht der Erinnerung­sreigen an das Ende des Zweiten Weltkriege­s auch in den kommenden Monaten weiter. Russland, das sagte Putin bei den Veranstalt­ungen zuletzt immer wieder, habe die Pflicht, die vielen Opfer und die heute noch lebenden Kriegsvete­ranen zu ehren.

Niemand habe das Recht, die Verdienste der Roten Armee bei der Befreiung Europas vom Hitler-Faschismus zu verhöhnen. In einem großen Geschichts­aufsatz schrieb Putin im Juni, es sei feige und ekelhaft, wenn heute die zu Ehren der Kämpfer gegen den Nationalso­zialismus errichtete­n Denkmäler in Osteuropa abgerissen würden.

 ?? FOTO: ALEXANDER ZEMLIANICH­ENKO7DPA ?? Russische Soldaten marschiere­n bei der Militärpar­ade zum 75. Jahrestag des Sieges der Sowjetunio­n über Deutschlan­d zum Roten Platz. Präsident Putin will solche Inszenieru­ngen als verbindend­es nationalpa­triotische­s Element in seinem Land nutzen.
FOTO: ALEXANDER ZEMLIANICH­ENKO7DPA Russische Soldaten marschiere­n bei der Militärpar­ade zum 75. Jahrestag des Sieges der Sowjetunio­n über Deutschlan­d zum Roten Platz. Präsident Putin will solche Inszenieru­ngen als verbindend­es nationalpa­triotische­s Element in seinem Land nutzen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany