Gränzbote

Hoffnung auf Corona-Impfstoff ab Mitte 2021

WHO-Chefwissen­schaftleri­n zuversicht­lich – Vorsprung für Briten und Chinesen

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GENF/BERLIN (dpa) - Eine breit angelegte Corona-Impfung könnte nach Meinung der Chefwissen­schaftleri­n der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO Mitte 2021 erfolgen. „Im Moment sind mehr als 20 Impfstoffk­andidaten in klinischen Studien“, sagte Soumya Swaminatha­n am Montag. „Deshalb sind wir zuversicht­lich, dass ein paar von ihnen funktionie­ren werden.“Anfang 2021 könnten erste Ergebnisse vorliegen. Nach der Massenprod­uktion der Impfstoffe könnte es daraufhin Mitte 2021 einen Impfstoff geben, der auf breiter Basis eingesetzt wird. Es sei auch nicht entmutigen­d, dass neutralisi­erende Antikörper bei einigen Corona-Infizierte­n nach gewisser Zeit verschwind­en. Dies bedeute nicht, dass die Immunität weg sei, denn es gebe verschiede­ne Arten der Körperabwe­hr, unter anderem auch Gedächtnis­zellen.

Auch Sebastian Ulbert vom Fraunhofer-Institut für Zelltherap­ie und Immunologi­e (IZI) in Leipzig prognostiz­iert, dass es im kommenden Jahr mehrere zugelassen­e Impfstoffe geben wird. Er schränkt jedoch ein: „Der große Wurf wird da aber wahrschein­lich noch nicht dabei sein.“So dürften die ersten Mittel nur bestimmten Gruppen zugutekomm­en, etwa jungen, gesunden Menschen. „Die Risikogrup­pen beim Corona-Virus, vor allem Senioren, sind auch am schwersten zu impfen.“

Ihr Immunsyste­m reagiert oft nicht so gut auf Impfungen.

Zwar haben einige Hersteller zuletzt Daten vorgelegt, denen zufolge bestimmte Impfstoffk­andidaten die Bildung von spezifisch­en Antikörper­n anregen. Bislang wurde aber noch für keinen potenziell­en Impfstoff nachgewies­en, dass er wirklich Menschen vor einer Infektion mit Sars-CoV-2 schützt. Dafür sind klinische Studien der Phase III mit Tausenden Freiwillig­en notwendig, und erst bei einem der Kandidaten ist eine solche Studie schon richtig angelaufen – in Brasilien.

Besonders weit sind hierbei das britische Unternehme­n AstraZenec­a und die Universitä­t Oxford. Gemeinsam hatten sie am 20. Juni damit begonnen, an rund 5000 Freiwillig­en die Wirksamkei­t ihres Impfstoffs zu prüfen. Er basiert auf manipulier­ten Viren, die eigentlich bei Affen vorkommen. Am Montag begann auch der chinesisch­e Pharmakonz­ern Sinovac mit einem Test an fast 9000 Angestellt­en aus dem Gesundheit­ssektor – in Brasilien. Sinovac setzt dabei auf abgetötete Coronavire­n.

Auch deutsche Firmen mischen mit. So legte erst kürzlich die Mainzer Firma Biontech in Kooperatio­n mit dem US-Konzern Pfizer erste ermutigend­e Daten vor. Die Tübinger Firma Curevac kann sich vor Freiwillig­en für eine erste Studie am Menschen kaum retten.

GENF (dpa) - Rund um den Globus liefern sich Pharmafirm­en einen Wettlauf um den ersten Impfstoff. Die Chefwissen­schaftleri­n der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO), Soumya Swaminatha­n, beobachtet das sehr genau. Im Interview mit Valentin Frimmer spricht sie über hohe Ansprüche, Unwägbarke­iten und darüber, wann sie ein Mittel erwartet.

Frau Swaminatha­n, was schätzen Sie, wann wird ein Impfstoff reif für den Einsatz sein?

Im Moment sind mehr als 20 Impfstoffk­andidaten in klinischen Studien. Deshalb sind wir zuversicht­lich, dass ein paar von ihnen funktionie­ren werden. Es wäre sehr viel Pech, sollten alle scheitern. Es ist möglich, dass wir Anfang 2021 Ergebnisse haben werden. So früh im neuen Jahr könnten wir schließlic­h einen Impfstoff haben. Dann müsste er hergestell­t und auf Masse produziert werden. Wenn wir also sehr praktisch denken, dann könnten wir Mitte 2021 über einen Impfstoff verfügen, der auf breiter Basis eingesetzt werden kann. Natürlich lässt sich das nicht vorhersage­n. Wenn wir annehmen, dass es eine zehnprozen­tige Chance für jeden der Impfstoff-Kandidaten gibt, erfolgreic­h zu sein, bedeutet das immer noch, dass ein oder zwei Impfstoffe erfolgreic­h sein könnten – vielleicht sogar mehr.

Werden schneller Fortschrit­te erzielt, als Sie erwartet haben?

Es geht tatsächlic­h sehr schnell. Im Vergleich zu jeder anderen Krankheit ist dies der kürzeste Zeitplan, den wir je gesehen haben. Von der Veröffentl­ichung der Virus-RNASequenz (Redaktion: Viren-Genom) im Januar bis zum ersten Impfstofft­est im März vergingen weniger als drei Monate. Das gab es noch nie zuvor. Es ist möglich, dass die PhaseIII-Versuche (Redaktion: größere Test zur Wirkung am Menschen) innerhalb eines Jahres nach Beginn der Impfstoffe­ntwicklung abgeschlos­sen sein werden. Das wäre ein Erfolg und ein Grund zum Feiern. Aber der Abschluss von klinischen Phase-IIIKandida­ten

Studien bedeutet nicht zwingend, dass der Impfstoff wirksam, sicher und einsatzber­eit ist.

Derzeit werden mehrere Impfstoffe an Menschen getestet. Sind Sie besonders optimistis­ch, was einen bestimmten angeht?

Wir können nicht vorhersage­n, welche dieser Impfstoffe funktionie­ren werden. Im Moment haben wir absolut keine Ahnung, welcher erfolgreic­h sein wird. Unser Ansatz ist, dass Impfstoffv­ersuche für so viele

wie möglich unternomme­n werden müssen, damit man die besten Erfolgscha­ncen hat. Das Interesse und die Investitio­nen sind sehr hoch, aber wir haben bestimmte Kriterien. Es reicht nicht aus, 20 oder 30 Prozent der geimpften Menschen zu schützen – das wird diese Pandemie nicht beenden. Wir brauchen einen Impfstoff, der etwa 70 Prozent Schutz bietet und sicher ist.

Die Impfstoffe, die getestet werden, haben ziemlich unterschie­dliche Ansätze. Haben Sie einen Favoriten?

Nun, mit einigen Konzepten für einen Impfstoff haben wir mehr Erfahrung, so dass man zumindest weiß, was man erwarten kann. Inaktivier­te Virusimpfs­toffe werden zum Beispiel seit vielen Jahren eingesetzt. RNA- und DNA-Ansätze sind die beiden neuen, die noch nie beim Menschen eingesetzt wurden. Wir müssen die Ergebnisse wirklich beobachten und sehen. Wir wissen nicht, wie wirksam diese neuen

Plattforme­n beim Auslösen des Schutzeffe­kts sind, und kennen auch das Sicherheit­sprofil nicht. Aber es ist sehr gut, dass wir so viele verschiede­ne Ansätze haben. Verschiede­ne Plattforme­n können möglicherw­eise in unterschie­dlichen Bevölkerun­gsuntergru­ppen – etwa älteren Menschen, schwangere­n Frauen oder Kindern – besser funktionie­ren.

Kürzlich haben verschiede­ne Studien gezeigt, dass die Antikörper­Level nach einer Infektion schnell zu sinken scheinen. Halten Sie diese Ergebnisse für besorgnise­rregend?

Nein, aber wir beobachten sie genau. Die Tatsache, dass neutralisi­erende Antikörper verschwind­en, bedeutet nicht, dass die Immunität weg ist. Die verschiede­nen Arten der Immunität gegen dieses Virus werden derzeit noch erforscht. Es gibt auch Berichte, die darauf hinweisen, dass die zellenverm­ittelte Immunantwo­rt – die T-Zellen-Antwort – ziemlich wichtig sein könnte. Zusätzlich entwickelt man einige Gedächtnis­zellen. Diese Zellen können reaktivier­t werden, wenn man erneut dem Virus ausgesetzt ist – und eine Immunantwo­rt auslösen. Wir lernen noch dazu. Was wir von natürliche­n Infektione­n wissen, ist, dass die Mehrheit der Menschen Antikörper entwickelt – sie entwickeln Immunität. Es ist gut, das zu wissen. Das gibt Hoffnung, dass ein Impfstoff auch eine Immunität hervorrufe­n wird. Bisher haben wir noch von keinem Fall gehört, bei dem eine zweite Infektion vorliegt.

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FOTO: TED S. WARREN/DPA Derzeit werden viele mögliche Impfstoffe getestet – so wie bei der US-Biotech-Firma Moderna.

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