Das Virus wirft Evobus aus der Bahn
Der Busbauer aus Neu-Ulm schickt Mitarbeiter erneut in Kurzarbeit – Einbruch der Verkaufszahlen um 40 Prozent
ULM - Anfang Mai hat Evobus seine Werke schrittweise wieder hochgefahren. Nun führt das Werk in NeuUlm die Kurzarbeit wieder ein: tageweise für die Monate August und September. Davor sind die Mitarbeiter nach Informationen unserer Redaktion wie schon vor der ersten Kurzarbeitsphase im April angehalten, Urlaub und Überstunden abzubauen. In der Zwischenzeit haben die Beschäftigten fast ausschließlich bestehende Aufträge abgearbeitet die hingen vor allem mit neuen Brandschutznormen zusammen. „Es kamen nicht viele Aufträge rein, das waren Einzelfälle“, sagte Evobus-Chef Till Oberwörder über die Zahlen der drei zurückliegenden Monate.
In der Belegschaft kursieren Sorgen: „Die Stimmung ist äußerst angespannt“, beschrieb Hansjörg Müller, Betriebsratschef im Neu-Ulmer Werk. „Wir wissen nicht, wie wir den Kollegen die Angst nehmen können“, ergänzte sein Stellvertreter Ralf Witte.
Die Corona-Krise hat die Busbauer voll erwischt. Im Werk in Mannheim, wo Linienbusse gefertigt werden, ist die Auftragslage nach Angaben Oberwörders stabil. Das Werk in Neu-Ulm aber ist auf Reisebusse spezialisiert und spürt die weltweit große Not der
Kunden. Indien, Brasilien und Mexiko sind drei der wichtigsten Exportländer für die Bussparte des DaimlerKonzerns. Die Länder wurden hart von der Corona-Pandemie getroffen, sie führten weitreichende Beschränkungen ein. In Mexiko führte die Krise bei den von Evobus verkauften Bussen und Fahrgestellen zu einem Rückgang von 64 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. In Brasilien ging die Zahl der verkauften Einheiten um 66 Prozent zurück, in Indien sogar um 90 Prozent. Die Lage in Deutschland (minus 36 Prozent) und in der Europäischen Union insgesamt (minus 57 Prozent)
ist da noch vergleichsweise gut. Insgesamt hat Evobus im ersten Halbjahr 8194 Einheiten verkauft und damit nur etwa 40 Prozent der Vorjahreszahlen. Damals waren es 13961 Einheiten. Im zweiten Quartal ist der Rückgang besonders deutlich: minus 63 Prozent. „Covid-19 hat zu Buche geschlagen“, kommentierte Till Oberwörder.
Eine Prognose wollte der Vorsitzende der Geschäftsführung von Evobus nicht abgeben. Niemand wisse, wie sich die Lage entwickle. Klar sei nur, dass es schwierig bleiben werde. Oberwörder lobte die millionenschweren staatlichen Rettungspakete für Busunternehmen. Auch Evobus, sagte er, wolle den Firmen helfen. Zum einen mit Finanzierungsangeboten und zum anderen mit nachrüstbaren Schutzangeboten: Plexiglastüren, die die Fahrer komplett abschirmen, aber auch aktive Luftfilter für die Klimaanlagen, Stoffe mit keimabweisenden Eigenschaften und mehr. „Unsere Aufgabe ist es, den Fahrgästen die Angst zu nehmen“, erklärte Till Oberwörder.
Auch aus Sicht der Betriebsräte ist das entscheidend: In den vergangenen Monaten seien die Reisebusse bei den Zulassungsstellen abgemeldet worden, da habe niemand Bedarf an neuen Fahrzeugen. Die Busunternehmen müssten überleben, sagt Hansjörg Müller. Die Neu-Ulmer Reisebus-Produktion hänge davon ab, genauso wie viele Stellen im Tourismus. „Die Politik muss alle Hebel in Bewegung setzen“, fordert der Betriebsratschef. Aber auch die Geschäftsführung von Evobus sei gefragt: „Es kann nicht sein, dass Neu-Ulm ohne Arbeit ist und die anderen Werke laufen über.“Der Standort solle neue Aufgaben übertragen bekommen etwa aus Mannheim, Frankreich oder der Türkei.
Spartenchef Oberwörder hat zumindest kleine positive Signale wahrgenommen: Einige Touristikunternehmen überlegen demnach, Kataloge für Busreisen in der Wintersaison aufzulegen. „Wir sind etwas zuversichtlich, dass das Reisebussegment nach der Krise wieder an Fahrt aufnehmen wird“, sagte Oberwörder. Vorerst fahre Evobus auf kurze Sicht.
Die Kurzarbeit ist für August und September vereinbart. Beschäftigte in der Produktion bleiben an zwei Tagen pro Woche zu Hause, Mitarbeiter in der Verwaltung an einem. Zuletzt berichtete das Manager Magazin, der Daimler-Konzern plane einen Abbau von 30 000 Stellen. Betreffen die Pläne auch die Daimler-Tochter Evobus?
Leiter Till Oberwörder sprach am Donnerstag von einem rigiden Sparkurs. „Wir sehen uns regelmäßig an, wo wir stehen“, sagte er. Alle zwei oder drei Wochen beleuchte man die Lage neu. Die Betriebsräte haben angesichts der wirtschaftlichen Lage ein mulmiges Gefühl. Ein Abbau der – inklusive Lehrstellen – rund 3800 Jobs sei keine Lösung. Nach der Krise werde man die Fachkräfte wieder brauchen. „Diese Arbeit lernt man nicht einfach so und ganz schnell, das lebt von der Erfahrung“, sagt Müller. Seine Prognose für den Rest des Jahres und für 2021 ist düster, auch ohne eine mögliche zweite Welle.