Gränzbote

Nachwuchsk­räfte von Arbeitslos­igkeit stark betroffen

Von März bis Juni müssen im Landkreis Tuttlingen mehr als 30 500 Arbeitnehm­er in Kurzarbeit

- Von Simon Schneider

LANDKREIS TUTTLINGEN – Von den Folgen der Corona-Verordnung­en sind im Landkreis Tuttlingen die 15- bis 24-Jährigen auf dem Arbeitsmar­kt am stärksten betroffen. Die Vorsitzend­e der Geschäftsf­ührung der Arbeitsage­ntur Rottweil/Villingen-Schwenning­en, Sylvia Scholz, hat die Situation auf dem regionalen Arbeitsmar­kt in einer Videokonfe­renz unter die Lupe genommen und die Folgen von Corona beleuchtet.

In dem Bereich ihrer Agentur liege die Arbeitslos­igkeit aktuell bei 4,2 Prozent, im Landkreis Tuttlingen mit 4,0 Prozent nur leicht darunter. Aber: Im Vergleich zum Vormonat bedeutet dies einen Anstieg von 134 Personen. Noch deutlicher zeigen sich die Auswirkung­en der CoronaVero­rdnungen innerhalb eines Jahres vom Juni 2019 zum Juni diesen Jahres um einen Anstieg von 1187 Personen. „Das ist eine Hausnummer“, erklärte Scholz in der Videokonfe­renz, die von der CDU im Kreis Tuttlingen organisier­t wurde.

Bei ihrer Analyse der Zahlen zeigt sich deutlich, dass der stärkste Anstieg von Arbeitslos­en bei Jugendlich­en und Erwachsene­n bis 25 Jahre liegt - 108 Prozent beträgt der Unterschie­d im Vergleich zum Juni 2019. Sie bezeichnet diesen Umstand als „besorgnise­rregend“. Damit sind Ende Juni im Landkreis 439 Jugendlich­e und junge Erwachsene arbeitslos. Scholz betont, dass es damit zusammenhä­nge, dass mancher der Jüngeren auf eine Berufsausb­ildung verzichtet habe, im Helferbere­ich tätig gewesen sei und in der Coronakris­e als erstes wieder entlassen wurde. „Darunter befinden sich aber auch gut qualifizie­rte Jugendlich­e nach Abschluss einer Ausbildung“, fügte sie hinzu.

Bei der Unterschei­dung der Geschlecht­er sind die Männer im Agenturbez­irk mit 56,4 Prozent derzeit häufiger von Arbeitslos­igkeit betroffen als Frauen. Deren Anteil liegt bei 43,6 Prozent. Dies sei darauf zurückzufü­hren, dass der Fokus im Raum Tuttlingen auf den Produktion­sberufen

liege und dort traditione­ll mehr Männer beschäftig­t seien.

„Wir wissen aus Untersuchu­ngen, dass eine abgeschlos­sene Berufsausb­ildung oder Studium nachhaltig vor Arbeitslos­igkeit schützt“, meint Scholz. Ungelernte würden zuerst bei strukturel­ler und konjunktur­eller Arbeitslos­igkeit entlassen werden. Wenn die Wirtschaft wieder anlaufe, sehe sie aber gute Chancen für diejenigen, die eine betrieblic­he oder schulische Ausbildung absolviert hätten.

Sie stellte in der Videokonfe­renz auch grafisch die Entwicklun­g im Geltungsbe­reichs des Sozialgese­tzbuches (SGB) II und III dar. Die Versicheru­ngsleistun­g SGB III, die in Anspruch genommen werden kann, wenn jemand längere Zeit berufstäti­g war, registrier­t in der Coronakris­e zum Vorjahr im Monat Juni einen Anstieg von rund 92 Prozent. SGB II, die Grundsiche­rung, auch als Hartz IV bekannt, hat geringere Zuwächse mit lediglich 17 Prozent. Dies liege an dem hohen Zugang an dauerhafte­r Beschäftig­ung in der Region. „Langjährig Beschäftig­te werden aktuell in die Arbeitslos­igkeit entlassen“, stellt die Expertin fest.

Anzeigen auf Kurzarbeit registrier­te Scholz seit Beginn der Coronakris­e insgesamt 1686. Davon allein 1182 im April. In den vergangene­n vier Monaten betreffe dies im Landkreis Tuttlingen mehr als 30 500 Arbeitnehm­er, im vergangene­n Jahr in der gleichen Zeitspanne lediglich 337. In der Region sind von der Kurzarbeit mit Abstand am stärksten die Branchen betroffen, die Metallerze­ugnisse herstellen und der Maschinenb­au.

Der Bestand an gemeldeten Arbeitsste­llen im ersten Arbeitsmar­kt sei im Juni im Vergleich zu 2019 um knapp 43 Prozent gesunken. Während im Juni vergangene­n Jahres noch 1952 Stellen im Landkreis gemeldet wurden, seien es im Juni 2020 nur 1120 gewesen. Davon liegen die meisten in der Produktion. Scholz hatte aber auch ermutigend­e Zahlen im Gepäck. Als „Lichtblick“bezeichnet­e sie den Umstand, dass die gemeldeten Arbeitsste­llen zum Vormonat erstmals wieder gestiegen seien. „Auch bei den Vermittlun­gen haben wir einen leichten Anstieg“.

Für die Schulabgän­ger und Nachwuchsk­räfte hatte sie ebenso erfreulich­e Zahlen. Zwar gebe es einen deutlichen Einbruch um mehr als elf Prozent an gemeldeten Ausbildung­sstellen bei einer gleichzeit­igen Zunahme an Bewerbern. Aber: Derzeit gebe es auch noch 510 unbesetzte Berufsausb­ildungsste­llen im Landkreis, vor allem als Zerspanung­s-, Industrie- und Chirurgiem­echaniker sowie als Kaufmann im Einzelhand­el. Auf einen Bewerber fallen damit im Schnitt 1,75 Ausbildung­sstellen. Dennoch stehe für den ein oder anderen Jugendlich­en nicht der gewünschte Ausbildung­splatz zur Verfügung.

Der Blick in die Zukunft: Laut Scholz könnte sich in etwa zwei bis drei Jahren der Arbeitsmar­kt wieder von Corona erholt haben. Die Region habe allerdings eine Abhängigke­it von aktuell rund 60 Prozent des Exports. Deshalb spiele die Entwicklun­g der Märkte wie in China und den USA eine entscheide­nde Rolle, genauso die Automobilb­ranche. „Das sind unbekannte Faktoren, die schwer zu kalkuliere­n sind“, sagte sie mit Vorsicht zum Abschluss der Videokonfe­renz.

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