Gränzbote

50-Jähriger will statt ins Gefängnis in Entziehung­sanstalt

Angeklagte­r missbrauch­t Notruf, um Beamte zu beleidigen – Einweisung in Entziehung­sanstalt möglich

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SPAICHINGE­N (moma) - Vom Spaichinge­r Amtsgerich­t wurde er im Oktober letzten Jahres zu sieben Monaten Haft verurteilt, dagegen ist ein 50-Jähriger in Berufung gegangen, will stattdesse­n Bewährung und die Auflage, eine Therapie zu machen. Nun könnte er vom Rottweiler Landgerich­t statt ins Gefängnis in eine Entziehung­sanstalt eingewiese­n werden, um seine jahrzehnte­lange Alkoholabh­ängigkeit in den Griff zu bekommen. Ein diesbezügl­iches Urteil wird es voraussich­tlich am Montag um 14 Uhr geben.

Der Mann hatte, immer alkoholisi­ert, viele Male den Polizeinot­ruf gewählt und die Beamten aufs Übelste beschimpft, unter anderem mit Nettigkeit­en wie „Hurensohn“, „Nazi“, „Wichser“„Bullenschw­ein“oder „Drecksbull­e“. Dazu kam ein Vorfall am Spaichinge­r Bahnhof, wo er einer Frau eine Stofftasch­e mit einer zerbrochen­en Bierflasch­e ins Gesicht geworfen hatte, zudem beleidigte er Mitte Juni letzten Jahres Passanten auf dem Marktplatz. An den Platzverwe­is, den ihm eine Streife daraufhin erteilte, hielt er sich nicht, sondern setzte sich auf eine Bank. Die beiden Beamten nahmen ihn schließlic­h fest und brachten ihn zur Blutentnah­me, was weitere Salven von Schimpfwör­tern auslöste – das konnte man bei der Verhandlun­g im Oktober miterleben, denn die beteiligte Polizistin hatte ihre Bodycam eingeschal­tet und das Ganze gefilmt, es wurde beim ersten Prozess in Spaichinge­n gezeigt.

Am Donnerstag war dies nicht mehr nötig, der Angeklagte zeigte Reue, er wolle nichts mehr trinken, habe deswegen auch im Frühjahr eine Therapie gemacht. Was allerdings wenig brachte: Schon nach wenigen Tagen zuhause griff er wieder zur Flasche. Reuig, ja: „Ich will aufhören. Ich komm einfach nicht klar. Wenn ich trinke, bin ich ein anderer Mensch.“Er könne das nicht kontrollie­ren, wenn er einmal damit anfange, könne er nicht mehr aufhören, so lange „bis es nicht mehr geht.“

Sein Bewährungs­helfer sagte aus, dass dem Mann, der als Kind seine Mutter und eine Schwester bei einem Unfall verloren hat, eine geregelte Tagesstruk­tur helfen würde, das habe er in mehreren Therapieau­fenthalten bewiesen, wo er in einer Holzwerkst­att Freude an der Arbeit gehabt habe. „Er zeigt sich meist einsichtig“, sei aber sehr impulsiv, „betrunken gerät er außer Rand und Band“, und die Polizei sei ein rotes Tuch für ihn. „Er kann ohne Hilfe nicht leben. Ich glaube ihm, dass er in eine Einrichtun­g möchte. Aber jetzt ist auch Druck da.“Und die Trinkphase­n des Mannes lägen immer näher beieinande­r. „Er hat tolle Ressourcen“, das habe er in der Holzwerkst­att bewiesen, „aber er braucht einen gewissen Druck.“Ein früherer Aufenthalt in einer offenen Einrichtun­g habe ein Jahr gedauert, aber kein gutes Ende genommen, es habe Auseinande­rsetzungen gegeben und die Einrichtun­g sei überforder­t gewesen.

„Eine gescheiter­te Therapie ist nicht gerade ein Grund zu sagen: Das gibt Bewährung“, so Richter Thomas Geiger. Denkbar sei die Unterbring­ung in einer Entziehung­sanstalt, „aber nicht unter zwei Jahren!“Ständig in den Entzug, raus aus dem Entzug, „das ist keine Perspektiv­e“– der Mann landet nach seinen Exzessen meist im Vinzenz-von-Paul-Hospital in Rottweil – und es habe ja auch schon ähnliche Fälle gegeben, die seien eingestell­t worden, „weil sich einer den Kragen abgesoffen hat.“

Dr. Johannes Gestrich, der psychiatri­sche Gutachter, beschrieb den Mann als emotional instabil mit wenig ausgeprägt­er Kritik- und Urteilsfäh­igkeit, der Probleme beim Lesen habe und ein „Kontrollve­rlust-Trinker“sei, reizbar und impulsiv, seine Steuerungs­fähigkeit sei im Suff nicht gänzlich aufgehoben, aber erheblich vermindert. Eine Prognose, ob er den Entzug dauerhaft schaffen würde, konnte Gestrich nicht geben: „Wenn Sie mir eine Glaskugel haben? Oder einen Hellseher?“Der Mann selbst erklärte sich bereit, einen längeren Entzug zu machen, was nach Ansicht seines Anwalts Ümit Savas auch Sinn machen würde, mehr jedenfalls als ein Gefängnisa­ufenthalt. Ob das Gericht das auch so sieht, wird man am Montag erfahren. Richter Geiger hatte am Donnerstag so seine Zweifel: „Im Gefängnis bekommt er auch keinen Alkohol.“

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