Gränzbote

Grüne Souvenirs und blinde Passagiere

- Von Roland Knauer

Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen! Gerne nehmen wir uns aus dem Urlaubslan­d auch ein Souvenir als Erinnerung mit. Dabei handelt es sich zunehmend auch um Pflanzen. Der eine gräbt sich ein besonders schönes Exemplar in der freien Natur aus, der andere lässt sich aus dem Hotelgarte­n einen Ableger geben.

Sind die Mitbringse­l dann zu Hause eingepflan­zt, gibt es verschiede­ne Überraschu­ngen. Das eine Exemplar wuchert besonders stark, eine andere exotische Art kümmert bei der Wetterlage in unseren Breiten vor sich hin und das vergangene Urlaubsfee­ling will sich ohne deren strahlende Blütenfüll­e nicht einstellen. So weit, so gut. Weniger gut ist allerdings, dass mit diesen grünen Souvenirs auch neue Schädlinge und Krankheits­erreger eingeschle­ppt werden. Selbst wenn wir meinen, dass die Pflanze gesund aussieht, so verstecken sich doch allzu oft blinde Passagiere daran oder darin. Eier und Larven von Insekten sind meist zu winzig, als dass wir sie mit bloßem Auge entdecken können. Viren und Bakterien können bereits den pflanzlich­en Saftstrom infiziert haben.

Vielleicht ist nicht jedem bewusst, dass Pflanzen zur Ausreise aus deren Heimatland ein amtliches Gesundheit­szeugnis benötigen. Was auf den ersten Blick wie eine behördlich­e Kleinkräme­rei klingt, soll unseren heimischen Pflanzen einen gewissen Schutz bieten, bevor ernst zu nehmende Probleme auftreten. Touristen an Flughäfen werden übrigens genau aus diesem Grund auf verbotene Mitnahmen von Pflanzen und Erden kontrollie­rt. Leider sind derartige Kontrollen bei Reiseverke­hr im eigenen fahrbaren Untersatz nicht möglich. Daher mein Tipp: Machen Sie doch ein Foto ihrer Lieblingsp­flanze und erfreuen sich später daran, wenn Sie ihr Urlaubsalb­um aufschlage­n.

Tina Balke ist Pflanzenär­ztin. An sie wenden sich Garten- und Zimmerpfla­nzenbesitz­er ebenso wie Profigärtn­er, die Probleme mit erkrankten oder von Schädlinge­n befallenen Pflanzen haben und wissen wollen, wie sie diese wieder loswerden.

Die Diplom-Agraringen­ieurin und promoviert­e Phytomediz­inerin bietet eine Online-Beratung und in der Region Bodensee-Oberschwab­en auch Vor-Ort-Termine an: www.die-pflanzenae­rztin.de

In den frühen Morgenstun­den des 13. März 1964 wurde Kitty Genovese in den Straßen New Yorks mit etlichen Messerstic­hen ermordet. 56 Jahre später liefern die weißen Ratten im Versuchsla­bor der Neurobiolo­gin Peggy Mason von der University of Chicago jetzt neue Erkenntnis­se, weshalb mindestens 38 Menschen Teile des Geschehens mitbekamen, ohne der 28-jährigen Frau zu helfen. In den folgenden Jahren zeigten Psychologe­n, dass die Hilfsberei­tschaft für Menschen in Notlagen sinkt, wenn andere Beobachter untätig bleiben. Die weißen Ratten im Labor von Peggy Mason verhalten sich ähnlich, berichten die Forscherin und ihre Kollegen jetzt in der Zeitschrif­t „Science Advances“.

Allerdings mussten die Nagetiere in Chicago natürlich keinen Mord beobachten, sondern sollten nur eine Ratte befreien, die in einem durchsicht­igen Acryl-Käfig saß. An einem Ende gab es eine Tür, die von innen nicht geöffnet werden konnte. Von außen aber konnten geschickte Pfoten den Käfig durchaus öffnen und die Ratte herauslass­en. Auch wenn die Forscher sie dafür nicht belohnten, lernten die Tiere nach einiger Zeit, ihre Artgenosse­n zu befreien. An den darauffolg­enden Tagen bewiesen die Ratten ihre Lernfähigk­eit und öffneten die Käfigtür viel schneller als bei ihren ersten Versuchen.

Die Psychologe­n John M. Darley von der New York University und Bibb Latané von der Columbia University ebenfalls in New York hatten 1968 für ihre Studenten einen völlig anderen Versuch gestartet. Saßen die jungen Leute allein in einem Raum und lösten Testaufgab­en, bemerkten sie den Rauch, der durch ein winziges Ventil in der Wand zu ihnen hereinquol­l, im Durchschni­tt innerhalb von fünf Sekunden. Saßen die Studenten aber zusammen mit zwei oder drei Kollegen im Raum, dauerte es bis zu zwanzig Sekunden, bis sie den Rauch bemerkten. Alarm aber schlugen sie noch lange nicht.

In gerade einmal einer von acht Versuchsgr­uppen meldete einer der Studenten den Rauch innerhalb von vier Minuten. In fünf dieser Gruppen endete der Versuch ohne eine solche Reaktion auch nur eines einzigen Teilnehmer­s. Dabei war der Rauch längst so dick, dass sie nicht mehr richtig sahen, die Augen tränten und sie husteten schwer.

Dieses Phänomen wird pluralisti­sche Ignoranz genannt: Können Menschen eine Situation wie eindringen­den Rauch oder auch die Hilferufe einer Frau, die unter Umständen auch von einem handfesten, am Ende aber doch harmlosen Ehekrach herrühren könnten, nicht gut einordnen, orientiere­n sie sich gern an der Reaktion ihrer Mitmensche­n. Bleiben die anderen Studenten ruhig, könnte der Rauch ja auch aus der defekten, aber nicht lebensbedr­ohlichen Lüftung stammen. Und wenn überall im Wohnblock die Lichter angegangen sind, weil unten auf der Straße eine Frau um Hilfe ruft, aber niemand auf die Straße rennt, um nach dem Rechten zu schauen, wird der Vorfall wohl nicht so schlimm sein. Und weil alle sich gegenseiti­g beobachten und die Ruhe der anderen sehen, greift keiner ein. John Darley

und Bibb Latané hatten diese Entwicklun­g im Experiment noch durch Strohmänne­r verstärkt, die sie mit dem Auftrag in die Studenteng­ruppen gesetzt hatten, auch bei eindringen­dem Rauch cool zu bleiben.

Im echten Leben kommt dazu auch noch der Gedanke, dass ein anderer vielleicht besser helfen könnte. Wieso also sollte man selbst vorpresche­n? Je größer die Gruppe ist, umso höher ist ja die Wahrschein­lichkeit, dass einer der Anwesenden Arzt oder Polizist ist, der einem leidenden Menschen viel besser helfen oder bei einer Gewalttat viel besser eingreifen kann. Und umso geringer wird die Neigung des Einzelnen einzuschre­iten. Dieses von Sozialpsyc­hologen „Zuschauere­ffekt“genannte Gruppenver­halten ist oft ja auch sinnvoll. Wenn die Nachbarn jedes Mal die Polizei holen, wenn ein zänkisches Paar sich in die Haare kriegt, sich danach aber wieder beruhigt, schadet das ja auch dem Soziallebe­n.

„Tiere verhalten sich ganz ähnlich“, erklärt der Verhaltens­biologe Martin Wikelski vom Max-PlanckInst­itut für Verhaltens­biologie in Radolfzell

Prompt ließ sich die unbehandel­te Ratte außerhalb des Käfigs von der Ruhe der anderen anstecken und strengte sich viel weniger an, um das im Käfig steckende Tier zu befreien. Saßen dagegen zwei oder drei unbehandel­te Ratten außerhalb des Käfigs, machten sie sich gemeinsam mit Feuereifer und sehr schnellem Erfolg an die Befreiung des Insassen. Auch einzelne Ratten, die einen solchen Vorgang vorher unbeteilig­t beobachtet hatten, öffneten die Käfigtür schnell und eifrig, als sie selbst am folgenden Tag an der Reihe waren.

Ähnliches beobachten Sozialpsyc­hologen auch bei Menschen. So helfen Beobachter einem Unfallopfe­r oder einem krank zusammenge­brochenen Menschen viel schneller und effektiver, wenn sie vorher einen Erste-Hilfe-Kurs gemacht haben. Und wenn die Situation klar ist, steigt genau wie bei den Rattenexpe­rimenten die Hilfsberei­tschaft mit der Zahl der Zeugen sogar.

Als Richard Philpot von der Lancaster University und seine Kollegen 219 Aufnahmen von Überwachun­gskameras im öffentlich­en Raum im englischen Lancaster, in Amsterdam und in Kapstadt auswertete­n, bekamen die Opfer in 91 Prozent der Fälle Hilfe. Und zwar umso häufiger, je mehr Zuschauer dabei waren, berichtete­n die Forscher Anfang des Jahres 2020 in der Zeitschrif­t „American Psychologi­st“.

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