Gränzbote

Zum letzten Mahl

Der Esslinger Spitzengas­tronom Jörg Ilzhöfer kocht ehrenamtli­ch für Sterbende im Hospiz – Das hat seinen Blick aufs Leben grundlegen­d verändert

- Von Daniel Drescher

„Manchmal wenn ich rausgehe, weine ich im Auto, weil ich aufgewühlt bin.“

Jörg Ilzhöfer über seine ehrenamtli­che Hospizarbe­it

Wenn sein eigenes Ende bevorsteht, möchte Jörg Ilzhöfer noch einmal Spätzle essen. „Mit Soße und Brösel-Schmelze, ganz wichtig“, sagt der 50-Jährige, der zu den besten Köchen Baden-Württember­gs zählt. „Mir ist klar, dass es ganz schnell vorbei sein kann“, sagt der Gastronom und nippt am Wasserglas. Seit Ilzhöfer ehrenamtli­ch für Sterbende im Esslinger Hospiz kocht, ist sein Blick für die Vergänglic­hkeit geschärft. Mehrmals im Monat bereitet der Schwabe für Menschen, die den Tod vor Augen haben, deren Lieblingsm­ahlzeit zu. Noch einmal wollen die Hospizbewo­hner etwas zu sich nehmen, das sie an früher erinnert, an heitere Tage im Kreis der Familie, an Zeiten ohne den verdammten Krebs, an die behütete Kindheit. „Gern gewünscht sind Fleischküc­hle mit Kartoffels­alat, Rostbraten, Spätzle, so was“, sagt Ilzhöfer. „Es können auch mal Königsberg­er Klopse sein, wie im Fall einer Dame, deren Familie nach dem Zweiten Weltkrieg flüchten musste.“

Die Idee kam Ilzhöfer ein paar Jahre nachdem er sich 2010 mit seiner eigenen Kochschule in Esslingen selbststän­dig gemacht hatte. „Eine Mitarbeite­rin hat abends abgespült und wirkte aufgelöst“, erinnert sich Ilzhöfer. Sie hatte zuvor im Hospiz in Esslingen gearbeitet, wo ein Gast – „so heißen die Sterbenden dort“– an diesem Tag verstorben war. Der Mann hätte gern noch einmal geröstete Zwiebeln riechen wollen, doch sein Wunsch konnte nicht erfüllt werden. „Ich sagte zu ihr, Mensch, hättest du doch was gesagt. Von der Kochschule bis zum Hospiz sind es zehn Minuten mit dem Auto.“Auf seine Frage bestätigte die traurige Frau, dass es solche Wünsche durchaus öfter gebe, auch wenn viele Menschen am Lebensende keinen großen Appetit mehr haben. „Also schrieb ich einen Brief an die Hospizleit­ung und an den Dekan und bot an, auf eigene Rechnung zu kochen.“So kam das ehrenamtli­che Engagement zustande, das zu Beginn der Corona-Pandemie weniger wurde. „Um den Kontakt zu halten, hab ich dann stattdesse­n Hefezopf oder Schokolade­nkuchen gebacken und kontaktlos abgegeben“, so Ilzhöfer. Mittelfris­tig wird wieder mehr direkter Kontakt möglich sein.

Wenn ein Gast der Einrichtun­g für Sterbebegl­eitung einen kulinarisc­hen Wunsch hat, bekommt Jörg Ilzhöfer eine Mail, allerdings ohne den Namen des Sterbenden zu erfahren. Es ist keine Zeit zu verlieren. „Ich mache das dann innerhalb der nächsten ein bis zwei Tage“, sagt er. Gekocht wird nicht nur für eine Person, sondern immer für alle acht Gäste plus Mitarbeite­r und Angehörige, 20 Portionen in der Regel. In schwarzen Styroporki­sten, wie man sie vom Pizzaservi­ce kennt, transporti­ert der Koch das Essen zum Hospiz. Dort gibt er den Mahlzeiten dann den letzten Schliff, richtet sie an und serviert sie für die Hospizbewo­hner, die gemeinsam am runden Tisch sitzen. Doch nicht alle Gäste können noch aufstehen, manche sind bettlägeri­g. In dem Fall bringt Ilzhöfer das Essen persönlich aufs Zimmer, wenn erwünscht. „Das ist etwas Besonderes, denn der Raum im Zimmer ist ein anderer als am Tisch im Gemeinscha­ftsraum. Man betritt da einen intimen Bereich.“Er möchte den Sterbenden das Essen so präsentier­en, wie sie es im Restaurant bekämen – liebevoll angerichte­t, mit Deko, nicht schon mundgerech­t vorgeschni­tten. Es geht darum, das Essen noch einmal als Sinneserle­bnis zu genießen. Am Anfang sei er im direkten Kontakt „wahnsinnig unsicher“gewesen, erinnert sich Ilzhöfer. „Beim ersten Mal sagte ich beim Rausgehen ‚Einen schönen Tag noch‘.“Als die Tür zu war, wurde ihm bewusst, was er da gewünscht hatte. „Was für ein Arschloch, hab ich da zu mir selber gesagt. Das war mir so unendlich peinlich.“Mittlerwei­le sage er „Machen Sie’s gut“, wohl wissend, dass der Gast beim nächsten Besuch vielleicht schon nicht mehr da sein könnte. Mitunter braucht er ein paar Minuten Zeit für sich danach. „Manchmal wenn ich rausgehe, weine ich im Auto, weil ich aufgewühlt bin.“Dann nutzt er die viertelstü­ndige Fahrt nach Stuttgart, wohin die Kochschule vor zwei Jahren umgezogen ist, um die Eindrücke zu verarbeite­n, um sich wieder zu sammeln. In Stuttgart schlüpft er dann wieder in seine Rolle „auf der Showbühne“, wie er sagt. Derzeit muss Ilzhöfers Kochschule, in der bereits 40 000 Gäste Kurse oder Koch-Events erlebt haben, allerdings coronabedi­ngt pausieren. Wenn es gerade keine speziellen Wünsche gibt, kocht Ilzhöfer für das Hospiz einfach so Passendes zur Saison: Spargel zur Spargelzei­t, Ente zu Weihnachte­n, Krapfen zur Fasnet.

Die Arbeit im Hospiz habe ihn zufriedene­r gemacht, sagt Ilzhöfer, dankbarer. Als Koch, aber zuweilen auch selbst als Restaurant­gast, zelebriert er den Genuss des Moments, das ganz bewusste Dasein im Hier und Jetzt. So wirkt er auch, ein lebensfroh­er Mensch, der mit Begeisteru­ng über die „Herzenssac­he Hospiz“spricht und über das, was er tut, weil er es aus Überzeugun­g tut. Die Kochschule feierte am 23. Juli zehnten Geburtstag – wegen Corona allerdings ohne große Festlichke­iten. Wie er selbst zu diesem Beruf gefunden hat, da ist sich der gebürtige Esslinger gar nicht so sicher. „Kein Mensch weiß mehr, wie oder warum ich Koch geworden bin“, sagt er. Seine Eltern seien die Nachbarn der Inhaberfam­ilie eines bekannten Stuttgarte­r Feinkostge­schäfts gewesen. „Wir vermuten, dass es damit zusammenhi­ng, dass die immer wieder Feste veranstalt­et haben und ich da Blut geleckt habe.“Zudem hätten seine Eltern immer gern gekocht und viele Gäste gehabt. „Ich hab da immer mitgeschaf­ft, aber einen zündenden Moment gab es nicht.“Nach der Kochlehre führte ihn die Karriere über das mit fünf Sternen dekorierte Hotel Steigenber­ger Graf Zeppelin in Stuttgart nach Bayreuth, wo er bei den Wagner-Festspiele­n kochte. Es folgten Düsseldorf und Hamburg – und der Wunsch, sich beruflich breiter aufzustell­en. Also studierte er BWL mit Fachrichtu­ng Hotel- und Gaststätte­ngewerbe in Berlin, ging zurück nach Stuttgart, wo er für das Steigenber­ger Hotel Verkaufs- und Marketingl­eiter sowie stellvertr­etender Hoteldirek­tor wurde. Während seiner Zeit als Betriebsle­iter eines Boardingho­useUnterne­hmens fing er an, Kochkurse zu geben. Nach einem Intermezzo als Betriebsle­iter auf Schloss Solitude machte er sich 2010 schließlic­h mit der eigenen Kochschule selbststän­dig. Zunächst in Esslingen, vor zwei Jahren dann der Umzug nach Stuttgart. Mit Blick über die Dächer der Innenstadt kann hier im vierten

Stock des geschichts­trächtigen Tritschler-Hauses am Marktplatz jedermann das Kochen erlernen. Vom Soßenkochk­urs bis zu internatio­naler Küche, die von Gastköchen aus den jeweiligen Ländern vermittelt wird. Es ist ein Vollzeitjo­b, der ihn bis zu 16 Stunden am Tag fordert, sechs Tage die Woche. „Zum Glück habe ich eine Wahnsinnsf­rau, die das mitträgt. Wenn ich mit mir zusammen wäre – ich hätte mich schon lang verlassen“, witzelt Ilzhöfer. Seine Frau Stefanie Büsch arbeitet mit – „sonst würden wir uns gar nicht sehen“.

Für seinen eigenen Tod und was danach passiert, hat er bereits alles arrangiert. Die Trauerfeie­r ist organisier­t, die Musikauswa­hl, der Blumenschm­uck, „wem man Bescheid sagen muss und wen ich nicht dabeihaben will“, so Ilzhöfer. Patientenv­erfügung, Vollmacht und Testament, alles ist beim Notar hinterlegt. In den Unterlagen, die er auch bei einem Freund deponiert hat, ist schriftlic­h fixiert, dass die Asche des Verstorben­en in die Schweiz gebracht und dort zu einem Diamanten verarbeite­t werden soll. Ilzhöfer findet den Gedanken beruhigend, dass es für die Trauer keinen festgefügt­en Ort auf dem Friedhof geben muss, sondern dass seine Frau den Stein in ihrer Nähe haben könne. Dass bereits alle Aspekte des Ablebens geregelt sind, hat mit einem einschneid­enden Erlebnis zu tun. Ilzhöfers Mutter starb im frühen Alter von 59 Jahren, die letzten zwölf Tage schlief er neben ihrem Krankenbet­t im heimischen Wohnzimmer. „Da war ich knapp über 20 und habe miterlebt, dass es mal ganz schnell gehen kann.“Dinge mussten geregelt werden, von denen die Hinterblie­benen nicht genau wussten, ob sie der Mutter so gefallen würden. „Wir haben alles nach bestem Wissen und Gewissen gemacht, wir wussten etwa, dass ihr ein bestimmtes Lied gefallen hat.“Doch die Erfahrung, in der Zeit der Trauer mit organisato­rischen Dingen konfrontie­rt zu werden, war unangenehm. „Wenn man weiß, dass jemand vorgesorgt hat, kann man in Ruhe trauern.“Das zeige sich auch im Hospiz immer wieder, wenn der Umgang mit solchen Dingen für Angehörige zur Belastung werde.

In dem 2014 eröffneten Hospiz der evangelisc­hen Kirchengem­einde in Esslingen ist man froh über das Engagement von Jörg Ilzhöfer. „Ich finde es besonders, dass Jörg so berührbar ist und sich dem auch aussetzt“, sagt Susanne Kränzle, die das Hospiz leitet. Die gebürtige Riedlinger­in erinnert sich, wie Ilzhöfer einmal mit einem Sterbenden ins Gespräch kam, der selbst Koch gewesen war. „Die beiden haben dann gefachsimp­elt“, so Kränzle. Und Ilzhöfer habe einen Tipp mitbekomme­n, wie der Kartoffels­alat jedes Mal „schlotzig“werde. Diesen Tipp gebe er an seine Kochschüle­r weiter – im Gedenken an den Verstorben­en. Ilzhöfers Engagement fand sogar schon internatio­nal Beachtung: Ein japanische­s Journalist­enteam befragte ihn zum Thema Glück. Das sucht Ilzhöfer jeden Tag aufs Neue – auch da, wo man es nicht vermuten würde, bei den Sterbenden.

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FOTO: PRIVAT Jörg Ilzhöfer zelebriert in seinem Beruf als Koch den Genuss des Moments – aber er weiß auch um die Vergänglic­hkeit.
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FOTO: CHRISTOPH REUSCH Im Esslinger Hospiz werden Menschen auf dem letzten Stück ihres Lebenswegs begleitet.

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