Briefmarken sammeln bildet und fasziniert
Mitglieder des Briefmarken- und Münzensammlervereins gestalten mit Leidenschaft Alben
TUTTLINGEN – Es sind viele Tausende: Der Tuttlinger Klaus Henze schätzt sogar: „20 000 reichen nicht“. Gemeint sind seine Briefmarken. Die Frage unserer neuen Serie „Gibt’s das noch?“kann er mit einem klaren „Ja“beantworten. Und auch die Jugendlichen Melina und Jan Reckermann können das bestätigen. Sind genauso vom Sammelfieber von Briefmarken gepackt und halten dieses Hobby am Leben.
Bei Henze zieht sich die Leidenschaft, Briefmarken zu sammeln, schon durch sein ganzes Leben. Der 78-Jährige erinnert sich an die Zeiten zurück, in denen er im Kindesalter zum Sammler wurde. „Zuerst waren es Bierdeckel“, sagte er im Gespräch mit unserer Zeitung. Die Bierdeckel nahmen ihm aber zu viel Platz weg. Deshalb fing er 1956 an, Briefmarken zu sammeln – damals ohne zu ahnen, dass sich dies zu seinem größten Hobby und zur Leidenschaft bis ins Rentenalter entwickelt. „In den Anfangszeiten ist es mir darum gegangen, mehr Briefmarken als mein Freund zu haben“, erklärte er. Die beiden Sammler duellierten sich zunächst auf Augenhöhe.
Erst als er von Hannover nach Wurmlingen umgezogen war und dort einen leidenschaftlichen Briefmarkensammler kennenlernte, intensivierte sich sein Hobby. „Ich habe bis dorthin immer nur die Briefmarken selbst gesammelt“, erinnerte er sich an die damalige Zeit. Er habe von dem Wurmlinger Bekannten viel gelernt, zum Beispiel: „Eine Briefmarke flüstert, ein Brief erzählt. Beides gehört zusammen“, sagt der 78Jährige. Seither konzentriert er sich nicht nur auf das Sammeln, sondern vor allem das Gestalten. Deshalb besitzt er nicht nur Sammelalben, sondern auch Exponate. So ragt über einem Exponat die Überschrift „Deutschland unter alliierter Besetzung“. Aber auch mit den unterschiedlichen Pilzen beschäftigte er sich und stellte sie aufwendig in einem Album zusammen.
Aktuell besitzt Henze unzählige Briefmarken, die er in viele Alben nach Themen sortiert hat, mit passenden Einleitungen und Erklärungen. Er verbringt dafür nahezu täglich mehrere Stunden in seinem Arbeitszimmer. Recherchiert im Internet, schreibt die Texte dazu und druckt sich die Blätter mit den Platzhaltern mit Hilfe eines Grafikprogramms aus, auf die feinsäuberlich mit Pinzette jede Briefmarke geordnet seinen Platz findet. „Früher hat man alles mit Schablone geschrieben“, vergleicht der Briefmarken-Experte die Zeiten von damals mit der Digitalisierung heutzutage. Egal wie, Henze ist über Jahrzehnte nicht mehr von seinem Hobby abzubringen – und dafür hat er einen Grund: „Briefmarken sammeln vergrößert das Allgemeinwissen, bildet und macht schlau“, ist er sich sicher. Genau das ist es, was ihn an diesem
Hobby fasziniere.
Diese Faszination teilt er auch mit der jüngeren Generation. Der 17-jährige Jan Reckermann und seine zwei Jahre jüngere Schwester Melina aus Wurmlingen sind ebenso von Briefmarken begeistert. Sie sind wie Henze Mitglieder des Briefmarken- und Münzensammlervereins in Tuttlingen. Rund 50 Alben hat allein Jan Reckermann. Doch die Anzahl an Briefmarken oder Alben steht bei den Geschwistern
nicht im Vordergrund.
Stolz schlägt Melina Reckermann eines ihrer Lieblingsalben auf – Schildkröten. Viele verschiedene Arten der Tiere sind darin zu finden. „Ein verstorbenes Vereinsmitglied hatte viele Briefmarken mit Schildkröten. Ich habe mir sie angesehen und war fasziniert davon. Allgemein interessieren mich Tiere und Biologie“, erklärte Melina mit funkelnden Augen. In Büchern und im Internet suchte sie Wissenswertes über die abgebildeten Arten heraus wie beispielsweise die europäische Sumpfschildkröte oder die Schmuckschildkröte. Gattung, Gewicht, Schlupfzeit und vieles mehr sind passend neben den dazugehörigen Briefmarken auf ihrer Albumseite zu finden. Die Briefmarken kommen dabei aus der ganzen Welt. Bulgarien, Österreich, Nigeria und auch die arabische Schrift findet sich darauf wieder.
Ihre Alben ähneln einer mühevoll zusammengetragenen Seminararbeit. Als nächstes möchte sie sich auf Pferde-Briefmarken konzentrieren. Mit ihren Freundinnen tauscht sie sich regelmäßig über ihr Hobby und ihre neuesten Motive aus. Somit dürfte das Briefmarkensammeln auch bei den heutigen Jugendlichen kein unbekanntes Hobby sein. Die Aussage von Henze, dass Briefmarken sammeln schlau mache, unterstreicht sie sofort – genauso ihr Bruder Jan.
Er ist seit rund acht Jahren von diesem Hobby begeistert. Angetan hat es ihm dabei unter anderem die Raumfahrt. Er steuert auf seinen Seiten gemeinsam mit Alexei Leonow und Waleri Kubassow die Raumkapsel Richtung Universum – und das ganz spezifisch verpackt im „ApolloSojus-Test-Projekt“von 1975. Auf seinen Briefmarken sind die Kosmonauten in ihren Anzügen zu sehen, die Raumkapseln und vieles mehr. Selbst ein von den Kosmonauten unterschriebener Brief mit entsprechender Briefmarke und Moskauer Stempel ist in seinem Album zu finden. Auch bei ihm sind in seinen Alben die Erklärungen inklusive und sehr detailreich. „Gerade in Geschichte verstehe ich durch das Briefmarkensammeln Zusammenhänge viel besser“, findet der 17-Jährige, der sein erstes Album mit „Der Traum vom Fliegen“betitelte. Somit stehen bei den Wurmlinger Geschwistern lange nicht nur die Briefmarken im Fokus, sondern das gesamte Drumherum.
Die Anzahl an Briefmarken rückt dabei in den Hintergrund. Und auch der Wert spiele keine Rolle. Henze stellt ohnehin fest: „Der Wert der Briefmarken ist sehr gefallen. Das Durchschnittsalter bei den Briefmarkenvereinen wird immer höher. Immer mehr Vereinskollegen versterben und es sind meist keine Nachkommen da, die dieses Hobby weiterführen“.
Neben dem Briefmarkentausch mit den Tuttlinger Vereinskollegen bedienen sie sich auch OnlineMarktplätzen wie Ebay, Messen und Tauschbörsen. Auch dort wird so manches passende und schöne Motiv gefunden. Henze legt auch allen vereinslosen Briefmarkensammlern in der Region ans Herz, beim Briefmarkenund Münzensammlerverein in Tuttlingen vorbeizuschauen und an den regelmäßigen Treffen teilzunehmen: „Durch den regen Austausch im Verein gewinnt jeder neue Eindrücke und schnappt Ideen auf. Die Sammler, die auf dieses wichtige Miteinander verzichten, verpassen viel, da jedes Vereinsmitglied unterschiedliche Erfahrungen gemacht hat, die vermittelt werden können“, gibt Henze zu bedenken, für den dieses Hobby zu „einem Stück Lebensinhalt“geworden ist.