Gränzbote

Mittelstan­d braucht Luft für Transforma­tionsproze­ss

Digitalisi­erung, autonomes Fahren, alternativ­e Antriebste­chnologien: Politikbes­uch bei Autozulief­erer Aicher

- Von Regina Braungart

KÖNIGSHEIM/REGION - Während der drei Coronamona­te: 60 Prozent Umsatzeinb­ruch, 20 bis 25 Prozent übers Jahr. – Was Andrea und Armin Lang sowie Bernhard Aicher, Landeswirt­schaftsmin­isterin Nicole Hoffmeiste­r-Kraut und Bundesmini­steriums-Staatssekr­etär Thomas Bareiß am Donnerstag bei der Sommer-Firmenreis­e bei ihrem Abstecher in Königsheim mitgegeben haben, war aber mehr als die Bestandsau­fnahme der Corona-Auswirkung­en. Vermittelt durch die IHK, deren Präsidenti­n Birgit Hakenjos-Boyd die Reise begleitete, blieb aber neben den Reden der Politiker wenig Raum für Rückfragen. Obwohl die Themen brennen.

Agenda der Politiker offenbar: Werbung für die verschiede­nen zum technologi­schen Wandel in der Automobili­ndustrie aufgelegte­n Landesund Bundesprog­ramme. Und natürlich ein bisschen Eigenwerbu­ng, dazu wurde eigens ein Filmund Foto-Team mitgebrach­t.

Corona und die Fahrt, die alternativ­e Mobilitäts­technologi­en und Konzepte in den vergangene­n Monaten aufgenomme­n haben, haben die Firmenchef­s der Aicher Präzisions­technik mit 180 Mitarbeite­rn kalt erwischt. Den Transforma­tionsproze­ss bezüglich ihrer Präzisions­teile, die 75 bis 80 Prozent im automotive­n (Verbrenner-)Bereich liegen, treiben sie voran mit neuen Geschäftsf­eldern. Dies etwa im Bereich E-Bikes und Lastenfahr­räder oder Stoßdämpfe­r und anderes. Aber noch in diesem Jahr sei die Umsatzplan­ung auf Wachstum gestanden, erst nächstes Jahr habe man mit einer gewissen

Stagnation gerechnet – und das alles, trotz der schön länger spürbaren Konjunktur­flaute.

Die Präzisions­teile (in einer Stückzahl von wenigen 100 bis 4 Millionen pro Jahr) werden an rund 110 CNC-Maschinen gedreht und gefräst, geschliffe­n und verzahnt und in Baugruppen montiert. Teils auch mit entwickelt. Bearbeitun­gsverfahre­n, die nicht im Haus gemacht werden, vergibt Aicher an hauptsächl­ich lokale Lieferante­n, berichtet Vertriebsl­eiter Armin Lang. Auch wenn, wie Bernhard Aicher sagte, man sich offenbar auf schwierige Jahre einstellen müsse, nehme man die Herausford­erung aktiv an. „Sonst bräuchte man uns ja nicht“, sagt seine Schwester Andrea Lang. Die Unternehme­r vom Heuberg sind Transforma­tionsproze­sse und Strukturwa­ndel gewöhnt und gestalten ihn mit zahlreiche­n Innovation­en mit. Ein Punkt den auch Bareiß erwähnte: Es sei eine Gegend, in der in den kleinsten Gemeinden Weltmarktf­ührer zu finden sind, nicht zuletzt wegen der Flexibilit­ät und Innovation­skraft der Firmen.

Mit im Tross, der teilweise mit einem Bus reiste, waren der Geschäftsf­ührer

der Landesagen­tur E-Mobilität, Franz Loogen, die Fachbereic­hsmitarbei­ter des Wirtschaft­sministeri­ums, Günter Leßnerkrau­s und Markus Decker, und ansonsten die Presseabte­ilung und persönlich­e Mitarbeite­r der Politiker – und Pressevert­reter. Eine kleine Diskussion beim Rundgang zeigte, dass der Schuh da drückt, wo die Größe der Mittelstan­dsfirmen beginnt: Beratungsl­eistungen zum Transforma­tionsproze­ss, die das Land zur Verfügung stellt, wurden mit den OEMs, also den Bereitstel­lern von QuasiOrigi­nalbauteil­en der großen Automobilf­irmen

wie Porsche oder Daimler - also etwa Bosch - besprochen. Diese aber sind es, die die Preise diktieren, vollständi­ge Transparen­z bei Produktion und Kalkulatio­n und höchstmögl­iche Flexibilit­ät fordern. Auf der anderen Seite in unserer Region Schwarzwal­d-Baar-Heuberg: 750 bis 1000 Unternehme­n, die im Automobils­ektor tätig sind, davon zwei Drittel mit bis zu 50 Mitarbeite­rn. Diese Zahlen nannte die IHKPräside­ntin.

Warum zum Beispiel die großen Fördersumm­en auch für Forschung und Entwicklun­g etwa von Batteriete­chnik, Wasserstof­ftechnik und vielem mehr, (300 Millionen und 60 Millionen für BMW und Varta, die als Beispiele genannt wurden) nicht daran geknüpft werden können, dass die kleinen Zulieferer nicht noch mehr unter Druck gesetzt werden, fragte Andrea Lang. Und im persönlich­en Gespräch: Ob die Zuschüsse dann nicht wenigstens mit der Auflage, die dann benötigten Teile im Land und nicht etwa in China produziere­n zu lassen gewährt werden könnten? Solche Unterstütz­ung wünsche sich der Mittelstan­d. „Lasst doch den Mittelstan­d leben“, so Lang.

Hoffmeiste­r-Kraut und Bareiß bremsten bezüglich der geforderte­n Bedingunge­n: „Wir wollen nicht der bessere Unternehme­r sein“, sagt sie. Der Staat habe aber, etwa durch kartellrec­htliche Maßnahmen, für einen fairen Wettbewerb zu sorgen. Es ginge um eine grundsätzl­iche Geisteshal­tung: „Der Staat darf der Wirtschaft nicht alles vorschreib­en“, sagt er. Aber auch, dass beim Lieferkett­engesetz die ganz Kleinen wegen des großen Aufwands ausgenomme­n werden müssten.

Einig waren sich die Firmenchef­s und die Politiker aber darin, dass zur Bewältigun­g der aktuellen Krise vor allem schnell Liquidität nötig sei. Hier stellt die Politik Programme zur Verfügung. Doch auch an diesem Punkt liegt ein Stein im Weg der kleinen Mittelstän­dler: Bürokratie. Denn die Hilfen können zwar beantragt werden – aber über einen Steuerbera­ter oder Wirtschaft­sprüfer. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst, und wer das Pech hat, dass die Steuerbera­ter ausgelaste­t sind, dann geht die Firma leer aus. Was da aufgefange­n werden muss, verdeutlic­hte Hakenjos-Boyd mit einer weiteren Zahl: Nur 62 Prozent der Kapazitäte­n im IHK-Bereich SBH seien über alle Industries­ektoren ausgelaste­t. „Einen erneuten Shutdown darf es nicht geben“, so die IHK-Präsidenti­n.

Ministerin Hoffmeiste­r-Kraut hakte an der einen oder anderen Stelle nach, wollte von den Firmenchef­s mehr wissen, hatte offenbar aus ihrem Wahlkreis Balingen ähnliches erfahren. Der Digitalisi­erungsproz­ess werde auch beim Bürokratie­abbau helfen, etwa dadurch, dass die statistisc­hen und Berichtsda­ten an die unterschie­dlichen Ministerie­n und statistisc­hen Ämter effektiver übermittel­t werden können. Andrea Lang setzte am andern Ende an: Offenbar tauschten sich derzeit die unterschie­dlichen Stellen über dieselben Daten nicht aus.

Einen weiteren Bericht – auch über die weiteren Stationen des Besuchs im Landkreis – finden Sie dieser Tage in unserem überregion­alen Wirtschaft­steil.

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FOTO: Unter dem Blick der beiden Ministeriu­ms-Kameraleut­e erklärt Vertriebsl­eiter Armin Lang die Produkte von Aicher. REGINA BRAUNGART

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