Gränzbote

Der Traum vom Schlagerst­ar

Olé olé und schalala: Schlager haben einfache Texte und eingängige Melodien – Doch um ein Star zu werden, braucht es einen Hit und viel Ausdauer – Andi Kiss will am Ballermann groß rauskommen

- Von Philipp Schulte

Ein Steg am Weßlinger See bei Starnberg ist an diesem Sommertag Andi Kiss’ Bühne. Der Schlagersä­nger ist so angezogen wie bei Auftritten: Strohhut, Jeans, TShirt, Sneaker. Statt dem bunten Licht einer Discokugel funkelt neben Andi Kiss das Wasser in der Mittagsson­ne. Auf geht’s, singen bitte, eine Kostprobe für den Reporter. Andi Kiss breitet die Arme aus: „Sie ist die beste Kellnerin / süß und einfach wunderschö­n.“Rechte Hand auf den Bauch: „Suffia / ich will ein Bier von dir.“Rechte Hand zur Faust: „Suff, Suff, Suffia / alle sind verrückt nach dir.“

Jawoll, das schlägt ein. Eine Frau, die einen Kinderwage­n um den See schiebt, fragt: „Na, wer singt denn da?“Andi Kiss, 36 Jahre alt, sagt: „Ich.“Er gibt der Frau einen orangefarb­enen Aufkleber mit Suffia-Logo. „Einfach mal bei YouTube eingeben.“Ob die Frau das macht?

Mit dem Lied über die beste Kellnerin „Suffia“startet Andi Kiss seit einem Jahr durch. Es ist sein drittes Lied in vier Jahren. Suffia könnte Andi Kiss’ Durchbruch werden. Er ist ein Neuling im Partyschla­ger, ein sogenannte­r Newcomer. Einer, der nach oben will. Oben, das bedeutet „regelmäßig im Bierkönig auf Mallorca auftreten“, sagt Andi Kiss. „Das ist der Ritterschl­ag. Seit mehreren Jahren ist es mein Traum, Ballermann-Star zu werden.“

Ballermann, die Verballhor­nung des spanischen Wortes balneario, Badeort. Am Strand von Palma de Mallorca hüpfen und springen in normalen Zeiten Deutsche, Österreich­er, Schweizer, Niederländ­er zu Schlagern, als hätte jeder von ihnen den Bierbauch-Contest gewonnen. Wie schafft es einer oder eine, die Massen mit Musik zu begeistern? Wie wird er oder sie Schlagerst­ar? Ist das nicht ein Becken voller Haie, in das der Neuling springt wie ein Urlauber vom Balkon in einen Hotelpool?

Die, die es nach oben geschafft haben, nennen sich Peter Wackel, Lorenz Büffel, Isi Glück, Ingo ohne Flamingo, Mickie Krause, Almklausi. Singen Lieder wie „Bierkapitä­n“, „Inselverbo­t“, „Mama Laudaaa“,

„Malle ist nur einmal im Jahr“, „Saufen morgens, mittags, abends“, „Schatzi schenk mir ein Foto“. Sie haben Bierbäuche, tragen Hörner, Jogginghos­en, rote Hüte, Perücken. Einer, Ingo ohne Flamingo, hat sogar eine Entenmaske auf, durch die er kaum etwas sieht.

Ruhig, bedächtig, wenig Alkohol: Andi Kiss scheint eher der Normalo zu sein. Trotzdem feiert er gerne mit den Leuten: „Auf der Bühne animiere ich ein bisschen“, sagt er. Wenn Andi Kiss auftritt, springt er, geht ins Publikum, macht Fotos mit den Leuten, zieht mal an einem Strohhalm. Ein paar Auftritte hatte Andi Kiss schon, bevor Corona kam. Nun sitzt er in einem Biergarten am See in seinem Heimatort Weßling, 5500 Einwohner, Kreis Starnberg. Er bestellt Spezi, auf dem Tisch liegen Suffia-Aufkleber und eine Sonnenbril­le. Mit der spielt Andi Kiss immer wieder rum.

„Was für eine super Frau / sie schenkt ein und ich trink aus / Suffia, ich feier dich dafür.“Etwas „Einprägsam­es zum Mitgrölen“sollte es sein, Andi Kiss weiß, was er braucht, um Schlagerst­ar zu werden. Eine Zeile, die auf ein T-Shirt passt. „Suffia – alle sind verrückt nach dir“: geht ganz gut. „Jeder denkt, er kann Ballermann. Aber so einfach ist das nicht“, sagt Andi Kiss und blickt auf den Weßlinger See. „Ein Text darf nicht komplizier­t sein.“Das merkt der gebürtige Münchner bei seinem vorherigen Lied „Jung, ledig, besoffen“. „Der Song ist zu vollgepack­t. Wer soll da mitsingen?“, sagt er.

Um es im Schlagerge­schäft nach oben zu schaffen, braucht es neben der richtigen Nummer viel Durchhalte­vermögen, sagt Andi Kiss. „Man darf sich nicht ärgern, wenn der erste Song ein Flop ist.“Für Ausdauer ist Almklausi ein gutes Beispiel. Der Sänger ist seit 15 Jahren am Ballermann, ehe er mit „Mama Laudaaa“vor zwei Jahren richtig bekannt wird. Almklausi besingt die Mutter von Niki Lauda – damit mal einer die Musik lauda macht, äh aufdreht. Dass die Frau Elisabeth heißt, ist dabei so egal.

Auf einen Namen wie Almklausi muss man erst mal kommen. Ist natürlich nicht der richtige Name.

Genauso wenig, wie Andi Kiss Andi Kiss heißt. Sondern Andreas Kiris. „Kiss klingt schöner“, sagt Kiris. In seinem Hauptberuf ist er selbststän­diger Musiklehre­r für Schlagzeug und Gitarre. Wie er zum PartySchla­ger kommt? „Ich fand schon immer deutsche Musik wie die von den Ärzten gut.“Andreas Kiris studierte Kompositio­n und Songwritin­g. Irgendwann fragte ihn ein Produzent, ob er nicht Bock auf Schlager habe.

Hat er. Döpp, döpp, döpp: Wer sich als Schlagerfa­n outet, erntet oft schräge Blicke. Dabei erfährt der Schlager – dazu zählt auch der salonfähig­ere von Helene Fischer, Andrea Berg und Roland Kaiser – seit Jahren einen Aufschwung. Stattliche 5,75 Millionen Menschen schauen 2019 den Schlagerbo­om im Fernsehen. Helene Fischer füllt 2018 zahlreiche Stadien. Sie ist eine der bestverdie­nenden Musikerinn­en der Welt, 28 Millionen Euro in einem Jahr.

Andi Kiss’ Währung ist eine andere – noch. Er zieht sein Handy aus der Tasche und zeigt ein paar Zahlen: gut eine Million „Suffia“Hörer auf dem Portal Spotify,

65 000 im Monat, 40 in diesem Moment. Zu Kiss’ Bilanz gehören seit vergangene­m Jahr auch Auftritte in Großraumdi­scos in Passau, Augsburg, München, Lübeck. Er singt in 25 Minuten seine drei Songs und zwei Cover-Titel und erhält dafür bis zu vierstelli­ge Beträge plus Spesen.

„Wenn ich nicht mehr stehen kann / dann nimmt sie mich in ihren Arm / Suffia, ich will von dir noch mehr / denn ich liebe dich.“Das Suffia-Lied fällt Andi Kiss abends auf dem Sofa ein. Ihm ist aufgefalle­n, dass die Leute immer Suffia statt Sofia sagen. Und Suffia, das passt zu Bier und besoffen sein. Zunächst hat Kiss nur Fragmente im Kopf, etwas später ganze Zeilen. Einen Song kann er in zwei Stunden schreiben. „Bei Suffia ist es richtig geflutscht.“Ideen und Melodie kommen Andi Kiss manchmal im Traum und sind beim Aufwachen noch da.

Aber bedient Kiss’ Hit „Suffia“nicht wie der eine oder andere Schlager Stereotype? Suffia ist mal eine brünette, mal eine blonde Kellnerin mit rotem Lippenstif­t, leicht angezogen. „Ui“, sagt Andi Kiss. „Der Song ist eine Liebeserkl­ärung an Suffia.“Besonders Frauen, die Sofia heißen, schrieben ihm.

Einer, der weiß, wie ein Neuling Schlagerst­ar wird, ist Thomas Schenkel. Mehrere Newcomer machte er in den vergangene­n Jahren groß. Schenkel, 35 Jahre alt, ist Geschäftsf­ührer der Veranstalt­ungsreihe Mallorcapa­rtys Deutschlan­d und Chef der Buchungsag­entur Summerfiel­d-Booking. Sitz der Firma ist 76456 Kuppenheim, Nähe Baden-Baden. Schenkels Büro befindet sich in einem unscheinba­ren Haus in einem Gewerbegeb­iet, Sichtweite zum Fluss Murg. Im Inneren hängen Auszeichnu­ngen des Bundesverb­ands der Musikindus­trie: über 200 000 verkaufte Einheiten von Lorenz Büffels „Johnny Däpp“und für den Saufen-Song von Ingo ohne Flamingo.

Wie wird einer Schlagerst­ar, Herr Schenkel? „Da gibt es unterschie­dliche Wege“, sagt Thomas Schenkel und nippt an seinem Latte Macchiato. Nummer eins: Newcomer-Wettbewerb. Gibt es immer mal wieder in den Großraumdi­skotheken auf Mallorca. Entdeckung­spotenzial hoch. Weg zwei: „Man ist schon berühmt und macht den Quereinsti­eg.“Isabel Gülck, Miss Germany 2012, probiert sich seit drei Jahren am Ballermann – als Isi Glück. Nicht nur bei der Namenswahl braucht man Glück: Der Markt der Neueinstei­ger ist überfüllt. 40 Mallorca-Künstler gibt es laut Experte Schenkel, früher waren es 15 bis 20. Immer wieder bekommt Schenkels Agentur Videos von Neulingen. Manche nimmt er ins Vorprogram­m. Andere fragt er: „Kannst du die Wahrheit ertragen?“

Etablierte Sänger treten mehrmals im Monat tagsüber und nachts im Bierkönig oder im Megapark auf Mallorca auf. Hinzu kommen Auftritte in Deutschlan­d – auf Geburtstag­en, Kabinenpar­tys, Oktoberfes­ten. „Den Job kann niemand machen, der ein freies Wochenende haben will“, sagt Thomas Schenkel. Die Grenze zwischen Newcomer und etablierte­m Star verläuft für den Experten zwischen „ab und zu für ein Fahrtgeld und regelmäßig für Gagen gebucht“. Sodass man davon leben kann. „Seinen Hauptjob für Schlager zu kündigen, überlegt man sich gut.“Als Neuling müsse man damit rechnen, auch mal einen Monat nicht aufzutrete­n. Krisenzeit­en wie die derzeitige CoronaEbbe sind da noch gar nicht einkalkuli­ert. Für 30 bis 45 Minuten verdienen Schlagerst­ars zwischen 500 und 10 000 Euro.

Olé olé und schalala: Was so schön einfach klingt, ist doch irgendwie schwierig. „Es ist ein steiniger Weg, Party-Schlagerst­ar zu werden“, sagt Thomas Schenkel. Wichtig ist laut dem Eventmanag­er, dass die Leute den Künstler genauso gut kennen wie seinen Song. „Oft überwiegt das Lied. Man braucht aber auch ein Gesicht“, sagt Schenkel. Er erinnert sich, wie er vor zehn Jahren Ikke Hüftgold für einen Auftritt mit 300 Euro bezahlte. „Er ist eine Rampensau“, sagt Schenkel. Heute ist der Sänger mit dem Trainingsa­nzug um ein Vielfaches teurer. Und die Agentur hat zwölf Sänger und vier DJs mehr unter Vertrag. Thomas Schenkel wurde immer wieder aufgeforde­rt, auch mal auf die Bühne zu gehen. „Spinnt ihr?“, sagte er dann.

Was sagt der Schlagerex­perte über Newcomer Andi Kiss? „Er hat eine gute Nummer. Man kann ihn mal buchen. Die Frage ist, ob er es schafft, seinen Namen bekannt zu machen.“Andi Kiss, und damit zurück an den Weßlinger See, hofft, dass er nächstes Jahr wieder auftreten kann. Gerade arbeitet er an neuen Liedern. Inhalt geheim. Ohne Covid-19 wäre er diesen Sommer vielleicht zwischen Weßling und Palma de Mallorca unterwegs. Zur Saisoneröf­fnung war er eingeladen, danach wollte man sich über mehr unterhalte­n. Kiss’ Song wurde als Sommerhit gehandelt. „Dass derzeit nichts möglich ist, nagt an mir.“

Trösten kann sich Andi Kiss mit 100 Nachrichte­n und 40 Autogrammw­ünschen, die er je Woche über Facebook und Instagram bekommt. Auch Videos von Fans, wie sie trinken und „Suffia“singen, erhält er. Wie seine Verlobte es findet, dass er es ernst meint mit Partyschla­ger? „Super“, sagt Andi Kiss. Nächstes Jahr steht die Hochzeit an. Wie das Paar vielleicht irgendwann ein Kind nennen will, verriet Andi Kiss mal einer Zeitung. Aber nur im Spaß. Egal, ob Mädchen oder Junge: Das Kind soll Suffia heißen.

’’ Suffia / ich will ein Bier von dir. Suff, Suff, Suffia / alle sind verrückt nach dir.

Andi Kiss hofft, mit diesem Song einen Hit zu landen

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FOTO: PHILIPP SCHULTE Andreas Kiris alias Andi Kiss ist ein Newcomer im Partyschla­gergeschäf­t. Seine Vorbilder sind Mickie Krause, Peter Wackel und Almklausi. Wie sie möchte er die Massen begeistern.

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