Gränzbote

Oklahoma City, Toulouse, Beirut

Immer wieder kommt es zu schrecklic­hen Explosione­n von Ammoniumni­trat

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WASHINGTON (AFP) - Nach den verheerend­en Explosione­n mit dutzenden Toten und Tausenden Verletzten in Beirut läuft die Suche nach der Ursache. Nach Angaben der libanesisc­hen Behörden waren am Dienstag 2750 Tonnen Ammoniumni­trat detoniert, die seit sechs Jahren ohne Vorsichtsm­aßnahmen in einem Lagerhaus am Hafen untergebra­cht waren. Weshalb die Substanz explodiert­e, ist noch unklar. Ammoniumni­trat ist ein starkes Oxidations­mittel, das zur Herstellun­g von Düngemitte­ln, aber auch von Sprengsätz­en verwendet wird.

Unter normalen Lagerbedin­gungen und bei mäßigen Temperatur­en entzündet sich Ammoniumni­trat nur schwer, wie die Chemie-Expertin Jimmie Oxley von der Universitä­t in Rhode Island erläutert. Auf Videos der Explosione­n in Beirut sei zunächst schwarzer, dann roter Rauch zu sehen. „Ich gehe davon aus, dass es eine kleine Explosion gab, die die Reaktion des Ammoniumni­trats auslöste – ob diese kleine Explosion ein Unfall war oder beabsichti­gt, weiß ich nicht“, sagt Oxley.

Normalerwe­ise wird die Chemikalie unter strengen Sicherheit­sbedingung­en gelagert: So muss sie etwa von Brennstoff­en und Wärmequell­en ferngehalt­en werden. In vielen EU-Ländern muss Ammoniumni­trat zudem mit Kalk versetzt werden, um es sicherer zu machen. Das geruchlose Salz war in den vergangene­n Jahrzehnte­n bereits für zahlreiche verheerend­e Explosione­n verantwort­lich – bei Unfällen und Anschlägen. So detonierte­n 1921 in einem Werk des Chemiekonz­erns BASF in Oppau bei Ludwigshaf­en 4500 Tonnen Ammoniumsu­lfatsalpet­er

– eine als Düngemitte­l verwendete Mischung aus Ammoniumni­trat und Ammoniumsu­lfat. Mehr als 500 Menschen starben, die genaue Zahl ist unklar. Die umliegende­n Gemeinden wurden verwüstet, die Explosion war noch bis ins rund 75 Kilometer entfernte Frankfurt am Main zu spüren und richtete selbst dort Schäden an.

Der Attentäter des Anschlags in Oklahoma City 1995 mit 168 Toten verwendete beim Bau der Bombe zwei Tonnen der Substanz. In einer Chemiefabr­ik im französisc­hen Toulouse kamen bei der Explosion von rund 300 Tonnen Ammoniumni­trat 2001 insgesamt 31 Menschen ums Leben. Auch bei einer Explosion in einer Düngemitte­lfabrik in Texas starben im Jahr 2013 15 Menschen. In

Asien kam es ebenfalls zu Unglücken mit der Chemikalie: Bei einem der schwersten Industrieu­nfälle in China kamen 2015 bei der Explosion von Ammoniumni­trat in der Hafenstadt Tianjin 165 Menschen ums Leben. In Nordkorea detonierte 2004 ein mit der Substanz beladener Zug, 161 Menschen starben.

Trotz der Gefahren ist Ammoniumni­trat laut Oxley in der Landwirtsc­haft und für Sprengunge­n in der Bauindustr­ie unverzicht­bar. „Ohne Sprengstof­f wäre die moderne Welt nicht möglich, und ohne Ammoniumni­trat-Dünger könnten wir die heutige Bevölkerun­g nicht ernähren“, sagt sie. „Wir brauchen Ammoniumni­trat – wir müssen nur genau darauf achten, was wir damit machen.“

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FOTO: ZABI TAMANNA/IMAGO Ammoniumni­trat wird in der Landwirtsc­haft als Dünger verwendet. Außerdem wird mit dem Salz Sprengstof­f hergestell­t.

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