Ein bisschen Südsee im Allgäu
Ein schwäbischer Hochseekapitän brachte Kunst und Alltagsgegenstände nach Obergünzburg
OBERGÜNZBURG (KNA) - So ein Museum würde man im Allgäu nicht erwarten. Eines für Kuhglocken – ja. Aber zur tropischen Inselwelt des Pazifiks? Und doch gibt es im bayerisch-schwäbischen Obergünzburg die Südsee-Sammlung. Nach monatelanger Corona-Pause hat es seine Türen nun wieder für Besucher geöffnet. Wer das Haus betritt, reist nicht nur in die Ferne, sondern auch zurück in eine nur kurze Phase deutscher Geschichte.
Denn wie kommt ausgerechnet ein Ort in Süddeutschland, weitab vom Meer, zu einer Verbindung nach Ozeanien? Die Antwort: Durch Karl Nauer (1874-1962), in Obergünzburg in eine Familie von Bauern und Seifensiedern hineingeboren. Statt in die Fußstapfen seiner Vorfahren zu treten, zog es ihn an die Küste. Nach Zwischenstationen ließ er sich in Hamburg zum Kapitän ausbilden.
Als Offizier der Reederei Norddeutscher Lloyd kam Nauer 1903 erstmals nach Deutsch-Neuguinea. Dort am anderen Ende der Welt hatte das Kaiserreich Ende des 19. Jahrhunderts die „Deutsche Südsee“ausgerufen. Der Kolonialtraum währte rund 30 Jahre, bis die Deutschen mit dem Ersten Weltkrieg ihre Außengebiete verloren.
Doch Nauer, der bis 1913 im Bismarck-Archipel im melanesischen Teil Ozeaniens lebte, schipperte dort nicht nur übers Wasser. Er sammelte auch fleißig: Alltagsgegenstände und Kunst der Einheimischen ebenso wie Zeugnisse der Natur. Einen Teil davon schickte der Allgäuer heim nach Obergünzburg. Dort wurden die Stücke zunächst in seinem Elternhaus präsentiert, später im Heimatmuseum. Seit 2009 sind sie in einem eigens dafür gebauten Haus zu sehen. Rund 1 500 Objekte umfasst die Kollektion, ausgestellt sind aber nur um die 200. Doch das soll sich bald ändern.
„Wir digitalisieren unsere Exponate derzeit für das bayerische Kulturportal Bavarikon“, sagt Museumsleiterin Martina Kleinert. „Ab 2021 können sich Interessierte im Internet sukzessive jeden Gegenstand genau anschauen und erklären lassen.“
Mindestens ein Drittel der Sammlung machen Waffen aus, vor allem Speere. Hinzu kommen Schnitzfiguren, ein Kamm und ein Kanu aus Tropenholz sowie viele lange Muschelketten. Bis heute sind solche Werke in der Südsee als rituelles Zahlungsmittel im Gebrauch. Auch als Schmuck und Werkzeug dienen Muscheln. Im Museum sind anschaulich einzelne Arbeitsschritte dargestellt, in denen aus dem harten, schweren Rohmaterial durch das aufwendige Schleifen mit Bims- und Kalkstein Armreife oder Klingen entstehen.
Flankiert werden solche exotischen Kleinodien von akustischen und optischen Spielereien: Mal hört man das Meer rauschen, mal schwappen einem via Lichttechnik kleine Wellen über die Füße. Jetzt, da das In-die-Ferne-Schweifen coronabedingt schwierig ist, lässt es sich so zumindest in Gedanken in andere Gefilde reisen.
Dabei hilft auch, dass in der Südsee-Sammlung mehr erlaubt ist als in vielen anderen Einrichtungen. „Wir sind ein Erlebnismuseum“, betont Kleinert. „Bei uns darf man vieles anfassen und betreten.“Zum Beispiel ein Original-Wohnhaus von der Insel Pentecost. „Die Bambushütte haben wir dort erworben, vier Melanesier haben sie hier zur Neubau-Eröffnung wiederaufgebaut.“
Aber wie ist einst Karl Nauer an all seine Sachen gekommen? „Ich weiß es nicht“, gesteht die Sammlungschefin. „Es gibt dazu keine Aufzeichnungen.“Womöglich habe es Kauf- und Tauschgeschäfte gegeben. „In Deutsch-Neuguinea gab es schon um 1900 Tourismus. Die Melanesier haben dafür extra Andenken produziert, die viel schlechter gearbeitet waren als Werke für den eigenen Bedarf.“
Die in der Museumswelt so aktuelle Frage der Restitution, also der Rückgabe von in der Vergangenheit unrechtmäßig erworbenen Exponaten, stellt sich für die Südsee-Sammlung also nicht? „Unwahrscheinlich“, so Kleinert. Jedoch fühle sie sich einem transparentem Umgang mit dem Bestand verpflichtet. Das erfordere einen Dialog mit Vertretern der Herkunftsgesellschaft. Dazu solle Bavarikon dienen. „Das Portal ermöglicht uns, das Wissen um die Nauer’sche Sammlung nach Neuguinea zu vermitteln. Was sich aus diesem Dialog entspinnt, bleibt abzuwarten.“
Die Südsee-Sammlung in Obergünzburg hat donnerstags bis sonntags von 14 bis 17 Uhr geöffnet. www.suedseesammlung.de