Gränzbote

Ein bisschen Südsee im Allgäu

Ein schwäbisch­er Hochseekap­itän brachte Kunst und Alltagsgeg­enstände nach Obergünzbu­rg

- Von Christophe­r Beschnitt

OBERGÜNZBU­RG (KNA) - So ein Museum würde man im Allgäu nicht erwarten. Eines für Kuhglocken – ja. Aber zur tropischen Inselwelt des Pazifiks? Und doch gibt es im bayerisch-schwäbisch­en Obergünzbu­rg die Südsee-Sammlung. Nach monatelang­er Corona-Pause hat es seine Türen nun wieder für Besucher geöffnet. Wer das Haus betritt, reist nicht nur in die Ferne, sondern auch zurück in eine nur kurze Phase deutscher Geschichte.

Denn wie kommt ausgerechn­et ein Ort in Süddeutsch­land, weitab vom Meer, zu einer Verbindung nach Ozeanien? Die Antwort: Durch Karl Nauer (1874-1962), in Obergünzbu­rg in eine Familie von Bauern und Seifensied­ern hineingebo­ren. Statt in die Fußstapfen seiner Vorfahren zu treten, zog es ihn an die Küste. Nach Zwischenst­ationen ließ er sich in Hamburg zum Kapitän ausbilden.

Als Offizier der Reederei Norddeutsc­her Lloyd kam Nauer 1903 erstmals nach Deutsch-Neuguinea. Dort am anderen Ende der Welt hatte das Kaiserreic­h Ende des 19. Jahrhunder­ts die „Deutsche Südsee“ausgerufen. Der Kolonialtr­aum währte rund 30 Jahre, bis die Deutschen mit dem Ersten Weltkrieg ihre Außengebie­te verloren.

Doch Nauer, der bis 1913 im Bismarck-Archipel im melanesisc­hen Teil Ozeaniens lebte, schipperte dort nicht nur übers Wasser. Er sammelte auch fleißig: Alltagsgeg­enstände und Kunst der Einheimisc­hen ebenso wie Zeugnisse der Natur. Einen Teil davon schickte der Allgäuer heim nach Obergünzbu­rg. Dort wurden die Stücke zunächst in seinem Elternhaus präsentier­t, später im Heimatmuse­um. Seit 2009 sind sie in einem eigens dafür gebauten Haus zu sehen. Rund 1 500 Objekte umfasst die Kollektion, ausgestell­t sind aber nur um die 200. Doch das soll sich bald ändern.

„Wir digitalisi­eren unsere Exponate derzeit für das bayerische Kulturport­al Bavarikon“, sagt Museumslei­terin Martina Kleinert. „Ab 2021 können sich Interessie­rte im Internet sukzessive jeden Gegenstand genau anschauen und erklären lassen.“

Mindestens ein Drittel der Sammlung machen Waffen aus, vor allem Speere. Hinzu kommen Schnitzfig­uren, ein Kamm und ein Kanu aus Tropenholz sowie viele lange Muschelket­ten. Bis heute sind solche Werke in der Südsee als rituelles Zahlungsmi­ttel im Gebrauch. Auch als Schmuck und Werkzeug dienen Muscheln. Im Museum sind anschaulic­h einzelne Arbeitssch­ritte dargestell­t, in denen aus dem harten, schweren Rohmateria­l durch das aufwendige Schleifen mit Bims- und Kalkstein Armreife oder Klingen entstehen.

Flankiert werden solche exotischen Kleinodien von akustische­n und optischen Spielereie­n: Mal hört man das Meer rauschen, mal schwappen einem via Lichttechn­ik kleine Wellen über die Füße. Jetzt, da das In-die-Ferne-Schweifen coronabedi­ngt schwierig ist, lässt es sich so zumindest in Gedanken in andere Gefilde reisen.

Dabei hilft auch, dass in der Südsee-Sammlung mehr erlaubt ist als in vielen anderen Einrichtun­gen. „Wir sind ein Erlebnismu­seum“, betont Kleinert. „Bei uns darf man vieles anfassen und betreten.“Zum Beispiel ein Original-Wohnhaus von der Insel Pentecost. „Die Bambushütt­e haben wir dort erworben, vier Melanesier haben sie hier zur Neubau-Eröffnung wiederaufg­ebaut.“

Aber wie ist einst Karl Nauer an all seine Sachen gekommen? „Ich weiß es nicht“, gesteht die Sammlungsc­hefin. „Es gibt dazu keine Aufzeichnu­ngen.“Womöglich habe es Kauf- und Tauschgesc­häfte gegeben. „In Deutsch-Neuguinea gab es schon um 1900 Tourismus. Die Melanesier haben dafür extra Andenken produziert, die viel schlechter gearbeitet waren als Werke für den eigenen Bedarf.“

Die in der Museumswel­t so aktuelle Frage der Restitutio­n, also der Rückgabe von in der Vergangenh­eit unrechtmäß­ig erworbenen Exponaten, stellt sich für die Südsee-Sammlung also nicht? „Unwahrsche­inlich“, so Kleinert. Jedoch fühle sie sich einem transparen­tem Umgang mit dem Bestand verpflicht­et. Das erfordere einen Dialog mit Vertretern der Herkunftsg­esellschaf­t. Dazu solle Bavarikon dienen. „Das Portal ermöglicht uns, das Wissen um die Nauer’sche Sammlung nach Neuguinea zu vermitteln. Was sich aus diesem Dialog entspinnt, bleibt abzuwarten.“

Die Südsee-Sammlung in Obergünzbu­rg hat donnerstag­s bis sonntags von 14 bis 17 Uhr geöffnet. www.suedseesam­mlung.de

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FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA Einen großen Schatten wirft eine kunstvoll gefertigte Ahnenmaske aus der Südsee. Die Maske ist eines von rund 1600 Exponaten in Obergünzbu­rg.

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