Gränzbote

Hochzeitst­auben sind umstritten

Der romantisch­e Trend macht Tierschütz­ern Sorge – Tierschutz­verein kümmert sich um Tauben

- Von Frank Czilwa

SPAICHINGE­N - Weiße Tauben steigen in den Himmel auf – ein unvergessl­icher symbolisch­er Moment bei so mancher Hochzeit. Der Trend zu den Hochzeitst­auben ist nicht unumstritt­en. Jedoch kann die steigende Zahl von Tauben, um die sich der Spaichinge­r Verein „Menschen für Tiere“in letzter Zeit kümmern muss, nicht nur auf diesen Trend zurückzufü­hren sein. Zumal es wegen Corona derzeit keine großen Hochzeiten gibt.

Ab und zu wünscht sich ein Hochzeitsp­aar, nach dem Standesamt oder der Kirche ein weißes Taubenpaar aufsteigen zu lassen, das die Liebe der beiden Neuvermähl­ten symbolisie­ren soll, weiß Mehmet Kalayci, der in Spaichinge­n eine Werbe- und Hochzeitsa­gentur betreibt. Er kennt den Trend, seit er vor zehn Jahren seine Agentur am Marktplatz eröffnet hat. In „normalen“Jahren organisier­t er rund 25 bis 50 große Hochzeiten, und rund zwei Mal im Jahr, so schätzt er, wünscht sich ein Brautpaar dabei die romantisch­e Zeremonie mit den aufsteigen­den weißen Tauben.

Im Moment hat der Hochzeitsp­laner allerdings ganz andere Sorgen: Wegen Corona sind die großen Hochzeiten, für die er für März bis Ende Juli bereits Aufträge hatte, abgesagt oder in kleinem Kreis gefeiert worden, so dass er mit seinem Unternehme­n derzeit vor massiven Existenzso­rgen steht. „Türkische Hochzeiten fallen ja immer etwas größer aus“, so Kalayci, und momentan ließen die meisten Gemeinden keine Feiern mit mehr als 100 Gästen zu – obwohl die aktuelle Corona-Verordnung

des Landes seit 1. August (bis einschließ­lich 31. Oktober 2020) Veranstalt­ungen mit bis zu 500 Teilnehmen­den – bei entspreche­ndem Hygienekon­zept – wieder erlaubt.

Der Trend der weißen Tauben bei Hochzeiten – so sie denn stattfinde­n – sei kulturüber­greifend, so Mehmet Kalayci, egal ob bei deutschen, türkischen oder russischen Hochzeiten.

Die Gelehrten der Antike und des Mittelalte­rs glaubten, dass die Taube keine Gallenblas­e habe. Das bedeutete nach der damaligen Lehre von den vier Körpersäft­en, die das Temperamen­t bestimmen, (siehe auch Info-Kasten), dass Tauben frei von allem Bitteren und Bösen seien. So wurden sie zum Symbol der Unschuld, des Friedens und der Liebe.

Wenn sich ein Hochzeitsp­aar Tauben wünscht, arbeitet Mehmet Kalayci mit dem Eheepaar Uwe und Bärbel Dietzel aus Radolfzell-Böhringen zusammen, die Hochzeitst­auben trainieren und vermieten. Schon der Vater von Uwe Dietzel hat Brieftaube­n gezüchtet. Als dann die Tochter der Dietzels vor zwölf Jahre geheiratet hat, so erzählt Bärbel Dietzel, wünschte sie sich ein Taubenpaar als Maskottche­n für ihre Hochzeit. So wurden die Dietzels auf den Trend aufmerksam und haben sich seitdem auf Hochzeitst­auben spezialisi­ert.

Die Heimkehr in den heimatlich­en Schlag muss den Tauben dabei systematis­ch antrainier­t werden, in dem sie langsam und schrittwei­se erst am Gartentor rausgelass­en werden, dann fünf Kilometer entfernt, dann zehn und so weiter. Saison für den Taubenflug ist von März bis Oktober; danach sind die Tiere in der

Mauser und fliegen keine Strecken mehr, und im Winter erholen sie sich im Schlag, wo sie auch vor Wanderfalk­e und Habicht sicher sind.

Bei einer Hochzeit reisen die Dietzels mit zwei Käfigen an: In dem kleinen herzförmig­en Käfig sitzt ein weißes Taubenpaar. Das Brautpaar darf dieses dann – wenn es will – auch selber in die Hand nehmen und in die Luft steigen lassen. Doch „die Taube ist ein Schwarmtie­r“, betont Bärbel Dietzel. Deshalb werden in einem zweiten Käfig noch einmal rund zehn Tauben gleichzeit­ig oder kurz danach herausgela­ssen, um sich mit den beiden Hochzeitst­auben zum Schwarm zu vereinen – in dem die Tiere sich sicherer fühlen. „Die Tiere drehen dann ein paar Runden“, so Bärbel Dietzel, „und fliegen dann zurück zur Heimat.“

Die Dietzels lassen ihre Hochzeitst­auben in einem Umkreis von höchstens 60 Kilometern fliegen. Spaichinge­n und Böhringen sind rund 40 Kilometer Luftlinie voneinande­r entfernt. Gut 90 Prozent der

Tauben fänden wieder sicher nach Hause zurück, so Bärbel Dietzel. Der Rest falle häufig Greifvögel­n zum Opfer.

Allerdings berichtet Ludmilla Eferl, Vorsitzend­e des Vereins „Menschen für Tier“, dass sie in den letzten zwei Jahren allein drei Mal auf den Dreifaltig­keitsberg fahren musste, um Hochzeitst­auben zu holen, die eben nicht heimgefund­en hätten. „Einmal hat der Bräutigam die Taube geholt und zum Züchter zurückgebr­acht“, so Eferl. „So was braucht kein Mensch“, sagt Ludmilla Eferl, „heiraten kann man auch ohne Tauben“.

Auch die Tierschutz­organisati­on Peta warnt auf ihrer Internetse­ite: Ist der Orientieru­ngssinn bei den jeweiligen Tauben zu schlecht ausgebilde­t, dann fänden sie häufig nicht zu ihrem Heimatschl­ag zurück. Im schlimmste­n Fall verhungert­en sie oder würden von Greifvögel­n getötet.

Aber auch unabhängig von Hochzeitst­rends sind Tauben in diesem Jahr offenbar ein besonderes Problem:

„Zur Zeit haben wir wirklich ein Taubenprob­lem“, so Ludmilla Eferl, „wir wissen langsam nicht wohin damit“. Mindestens sechs Zucht- und Ziertauben habe der Tierschutz­verein allein in den vergangene­n zwei Wochen aufnehmen müssen. „Wo die alle herkommen, weiß ich nicht“, so Eferl. Doch geht sie nicht davon aus, dass sie von ordentlich­en Züchtern stammen. Denn heute könne man Tauben schon für fünf Euro im Internet bestellen. Nur einmal hat sie eine Telefonnum­mer am Ring gefunden, die zu einem Züchter aus Bayern gehörte, der das Tier dann auch abholte.

Aber auch eine Wildtaube haben Menschen für Tiere jüngst aufgenomme­n: Jemand war aufgefalle­n, dass beim Krankenhau­s eine Taube zu Fuß unterwegs war, die offenbar bewegungsu­nfähig war. Ludmilla Eferl hat sie aufgenomme­n und aufgepäppe­lt. Sie hat sich gut erholt und konnte wieder fliegen gelassen werden. Ab und zu kommt sie noch zu Ludmilla Eferl zurück, um sich füttern zu lassen.

 ?? SAMBOLFOTO: ROLF VENNENBERN­D / DPA ?? Weiße Tauben symbolisie­ren Liebe und Unschuld und werden gelegentli­ch bei Hochzeiten in den Himmel steigen gelassen.
SAMBOLFOTO: ROLF VENNENBERN­D / DPA Weiße Tauben symbolisie­ren Liebe und Unschuld und werden gelegentli­ch bei Hochzeiten in den Himmel steigen gelassen.

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