Hochzeitstauben sind umstritten
Der romantische Trend macht Tierschützern Sorge – Tierschutzverein kümmert sich um Tauben
SPAICHINGEN - Weiße Tauben steigen in den Himmel auf – ein unvergesslicher symbolischer Moment bei so mancher Hochzeit. Der Trend zu den Hochzeitstauben ist nicht unumstritten. Jedoch kann die steigende Zahl von Tauben, um die sich der Spaichinger Verein „Menschen für Tiere“in letzter Zeit kümmern muss, nicht nur auf diesen Trend zurückzuführen sein. Zumal es wegen Corona derzeit keine großen Hochzeiten gibt.
Ab und zu wünscht sich ein Hochzeitspaar, nach dem Standesamt oder der Kirche ein weißes Taubenpaar aufsteigen zu lassen, das die Liebe der beiden Neuvermählten symbolisieren soll, weiß Mehmet Kalayci, der in Spaichingen eine Werbe- und Hochzeitsagentur betreibt. Er kennt den Trend, seit er vor zehn Jahren seine Agentur am Marktplatz eröffnet hat. In „normalen“Jahren organisiert er rund 25 bis 50 große Hochzeiten, und rund zwei Mal im Jahr, so schätzt er, wünscht sich ein Brautpaar dabei die romantische Zeremonie mit den aufsteigenden weißen Tauben.
Im Moment hat der Hochzeitsplaner allerdings ganz andere Sorgen: Wegen Corona sind die großen Hochzeiten, für die er für März bis Ende Juli bereits Aufträge hatte, abgesagt oder in kleinem Kreis gefeiert worden, so dass er mit seinem Unternehmen derzeit vor massiven Existenzsorgen steht. „Türkische Hochzeiten fallen ja immer etwas größer aus“, so Kalayci, und momentan ließen die meisten Gemeinden keine Feiern mit mehr als 100 Gästen zu – obwohl die aktuelle Corona-Verordnung
des Landes seit 1. August (bis einschließlich 31. Oktober 2020) Veranstaltungen mit bis zu 500 Teilnehmenden – bei entsprechendem Hygienekonzept – wieder erlaubt.
Der Trend der weißen Tauben bei Hochzeiten – so sie denn stattfinden – sei kulturübergreifend, so Mehmet Kalayci, egal ob bei deutschen, türkischen oder russischen Hochzeiten.
Die Gelehrten der Antike und des Mittelalters glaubten, dass die Taube keine Gallenblase habe. Das bedeutete nach der damaligen Lehre von den vier Körpersäften, die das Temperament bestimmen, (siehe auch Info-Kasten), dass Tauben frei von allem Bitteren und Bösen seien. So wurden sie zum Symbol der Unschuld, des Friedens und der Liebe.
Wenn sich ein Hochzeitspaar Tauben wünscht, arbeitet Mehmet Kalayci mit dem Eheepaar Uwe und Bärbel Dietzel aus Radolfzell-Böhringen zusammen, die Hochzeitstauben trainieren und vermieten. Schon der Vater von Uwe Dietzel hat Brieftauben gezüchtet. Als dann die Tochter der Dietzels vor zwölf Jahre geheiratet hat, so erzählt Bärbel Dietzel, wünschte sie sich ein Taubenpaar als Maskottchen für ihre Hochzeit. So wurden die Dietzels auf den Trend aufmerksam und haben sich seitdem auf Hochzeitstauben spezialisiert.
Die Heimkehr in den heimatlichen Schlag muss den Tauben dabei systematisch antrainiert werden, in dem sie langsam und schrittweise erst am Gartentor rausgelassen werden, dann fünf Kilometer entfernt, dann zehn und so weiter. Saison für den Taubenflug ist von März bis Oktober; danach sind die Tiere in der
Mauser und fliegen keine Strecken mehr, und im Winter erholen sie sich im Schlag, wo sie auch vor Wanderfalke und Habicht sicher sind.
Bei einer Hochzeit reisen die Dietzels mit zwei Käfigen an: In dem kleinen herzförmigen Käfig sitzt ein weißes Taubenpaar. Das Brautpaar darf dieses dann – wenn es will – auch selber in die Hand nehmen und in die Luft steigen lassen. Doch „die Taube ist ein Schwarmtier“, betont Bärbel Dietzel. Deshalb werden in einem zweiten Käfig noch einmal rund zehn Tauben gleichzeitig oder kurz danach herausgelassen, um sich mit den beiden Hochzeitstauben zum Schwarm zu vereinen – in dem die Tiere sich sicherer fühlen. „Die Tiere drehen dann ein paar Runden“, so Bärbel Dietzel, „und fliegen dann zurück zur Heimat.“
Die Dietzels lassen ihre Hochzeitstauben in einem Umkreis von höchstens 60 Kilometern fliegen. Spaichingen und Böhringen sind rund 40 Kilometer Luftlinie voneinander entfernt. Gut 90 Prozent der
Tauben fänden wieder sicher nach Hause zurück, so Bärbel Dietzel. Der Rest falle häufig Greifvögeln zum Opfer.
Allerdings berichtet Ludmilla Eferl, Vorsitzende des Vereins „Menschen für Tier“, dass sie in den letzten zwei Jahren allein drei Mal auf den Dreifaltigkeitsberg fahren musste, um Hochzeitstauben zu holen, die eben nicht heimgefunden hätten. „Einmal hat der Bräutigam die Taube geholt und zum Züchter zurückgebracht“, so Eferl. „So was braucht kein Mensch“, sagt Ludmilla Eferl, „heiraten kann man auch ohne Tauben“.
Auch die Tierschutzorganisation Peta warnt auf ihrer Internetseite: Ist der Orientierungssinn bei den jeweiligen Tauben zu schlecht ausgebildet, dann fänden sie häufig nicht zu ihrem Heimatschlag zurück. Im schlimmsten Fall verhungerten sie oder würden von Greifvögeln getötet.
Aber auch unabhängig von Hochzeitstrends sind Tauben in diesem Jahr offenbar ein besonderes Problem:
„Zur Zeit haben wir wirklich ein Taubenproblem“, so Ludmilla Eferl, „wir wissen langsam nicht wohin damit“. Mindestens sechs Zucht- und Ziertauben habe der Tierschutzverein allein in den vergangenen zwei Wochen aufnehmen müssen. „Wo die alle herkommen, weiß ich nicht“, so Eferl. Doch geht sie nicht davon aus, dass sie von ordentlichen Züchtern stammen. Denn heute könne man Tauben schon für fünf Euro im Internet bestellen. Nur einmal hat sie eine Telefonnummer am Ring gefunden, die zu einem Züchter aus Bayern gehörte, der das Tier dann auch abholte.
Aber auch eine Wildtaube haben Menschen für Tiere jüngst aufgenommen: Jemand war aufgefallen, dass beim Krankenhaus eine Taube zu Fuß unterwegs war, die offenbar bewegungsunfähig war. Ludmilla Eferl hat sie aufgenommen und aufgepäppelt. Sie hat sich gut erholt und konnte wieder fliegen gelassen werden. Ab und zu kommt sie noch zu Ludmilla Eferl zurück, um sich füttern zu lassen.