Die Zweifel überwiegen
Politiker und Ärzte sind skeptisch, ob Mitte September wieder Fans ins Stadion dürfen
FRANKFURT (dpa/SID/sz) - Die Deutsche Fußball Liga hat ihre Hausaufgaben gemacht, auch die Bundesregierung verteilte am Mittwoch ein vorsichtiges Lob. Doch die Rückkehr der Fans in die Stadien bleibt ein Streitthema mit vielen Beteiligten und ungewissem Ausgang. Es komme „entscheidend darauf an“, wie die am Dienstag von den 36 Clubs mehr vereinheitlichten Regelungen gemeinsam mit den Behörden vor Ort umgesetzt werden, sagte ein Sprecher des Gesundheitsministeriums. Die Signale aus den Ländern sind angesichts der steigenden Corona-Fallzahlen aber alles andere als eindeutig.
„Auf dem Papier lässt sich vieles darstellen“, sagte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). „Ob das dann auch in der Praxis so durchzuhalten ist, wird erst noch sehr genau zu prüfen sein, auch wenn ich mir es als Fußballfan wünschen würde.“Die Gesundheitsminister der Länder wollen am Montag weiter über das DFL-Konzept beraten, Entscheidungen sind eher nicht zu erwarten.
Die DFL-Mitgliederversammlung hatte am Dienstag mehrheitlich, aber nicht einstimmig für den Fall der FanRückkehr ein Alkoholverbot sowie
die Streichung der Stehplätze bis 31. Oktober beschlossen. Bis Jahresende sollen zudem keine Gästetickets verteilt werden und Maßnahmen getroffen werden, die eine Nachverfolgung von Infektionsketten möglich macht. Am ehesten scheint das über personalisierte Tickets zu realisieren sein.
„Ich bitte wirklich darum, dass man diese Debatten nicht zu einer Grundsatzdiskussion macht, über die Bedeutung von Stehplätzen oder Fans im Allgemeinen“, sagte DFL-Geschäftsführer Christian Seifert. „Es geht aktuell wirklich nicht im deutschen Fußball an sich um selbstverständliche Grundsätze, sondern es geht immer noch darum, einem Infektionsgeschehen Rechnung zu tragen, das man nicht unterschätzen darf.“
Ein Sprecher des Innen- und Sportministeriums
bezeichnete die DFLVereinbarung als „begrüßenswerten Schritt“. Priorität hätten Wirtschaftsleben und Bildungseinrichtungen, betonte die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer, „erst daran anknüpfend gilt es natürlich, den Freizeitsektor zu betrachten“.
In der Bundesliga und 2. Liga soll am dritten September-Wochenende wieder gespielt werden, im DFB-Pokal bereits vom 11. bis zum 13. September. Der ab der 3. Liga und für den Pokal zuständige Deutsche FußballBund bietet zur Unterstützung ein Tool der Manchester Metropolitan University zur Kapazitätsberechnung an. „Das Tool hilft, Stadien unter Berücksichtigung der durch Covid-19 notwendigen Abstandsregeln neu zu beurteilen“, teilte der Verband mit.
Dass schon zum Saisonstart wieder Zuschauer zugelassen sind, scheint fraglich. „Ich stehe dem Vorschlag der DFL Spiele wieder vor Zuschauern zu veranstalten, sehr skeptisch gegenüber“, sagte Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD), der wegen der Polizeikosten-Debatte im Streit mit der DFL liegt. „Niemand kann im Augenblick absehen, wo wir im September stehen werden und mit welchen Herausforderungen wir umzugehen haben werden.“Seifert hatte betont, dass der Fußball keinesfalls Forderungen stellen, sondern nur für den Fall der Fälle bestens vorbereitet sein will.
Aus Sicht des Mediziners Michael Geißler ist eine größere Zahl von Zuschauern in den Stadien unrealistisch. „Wenn man sich die Fallzahlen ansieht, ist ein mit 15 000 bis 20 000 Zuschauern gefülltes Stadion völlig illusorisch“, sagte der Chefarzt des Klinikums Esslingen, Sohn des früheren CDU-Politikers Heiner Geißler, Stuttgarter Medien. Er könne sich nicht vorstellen, dass die Politik es erlaube, dass alle Vereine auf einmal mit 10 000 oder mehr Zuschauern starten. „In den Stadien haben sie kaum Wind, wenn da ein infizierter Gast hustet oder niest, sind zwei Meter Abstand nicht genug“, sagte er. Als sinnvoll betrachte er Pilotprojekte mit vielleicht 1000, 2000 oder 5000 Zuschauern. „Realistisch betrachtet werden Großveranstaltungen bis weit ins kommende Jahr nicht funktionieren –unabhängig
davon, ob es im neuen Jahr einen Impfstoff geben wird.“
Aus den eigenen Reihen meldeten sich nach der Versammlung allerdings unter anderen Eintracht Frankfurt und vor allem Union Berlin mit Kritik. „Da wir mit dem Vorgehen grundsätzlich nicht einverstanden sind und zudem die Anträge zu Gästefans, Stehplätzen und Alkoholausschank für unausgewogen im Hinblick auf unsere allgemeine gesellschaftliche Verantwortung, aber auch auf unsere spezielle Verantwortung für Fußballanhänger halten, haben wir bei diesen drei Anträgen mit Nein gestimmt“, erklärte Berlins Club-Präsident Dirk Zingler. Die Eintracht stimmte gegen das Alkoholverbot.
Den Fan-Vereinigungen fehlen in der Rückkehr-Debatte Entscheidungen zur Zukunft des Fußballs. „Aus unserer Sicht fehlt ein glaubhafter Grundsatzbeschluss, mit dem die Richtung vorgegeben wird“, kritisierte „Unser Fußball“-Sprecher Manuel Gaber. „Uns ist wichtig, dass der Reformprozess von jenen gestaltet wird, die auch Interesse haben, im Fußball wirklich etwas zu verändern.
„Ich stehe dem Vorschlag der DFL, Spiele wieder vor Zuschauern zu veranstalten, sehr skeptisch gegenüber.“
Bremens Innensenator Ulrich Mäurer