Gränzbote

Lehren aus Corona

Grünen-Vorsitzend­e Annalena Baerbock für Umdenken

-

BERLIN - Zum Interview in einem Potsdamer Café kommt Annalena Baerbock ökologisch korrekt mit ihrem schwarzen Holland-Rad. Gerade hat die 39-jährige Grünen-Chefin ihren Urlaub mit der Familie beendet und beginnt nun ihre politische Sommertour. Dabei werde es nicht nur um die aktuelle Corona-Krise gehen, sagt Baerbock im Gespräch mit Michael Gabel und Ellen Hasenkamp. Die Pandemie habe gezeigt, wie wichtig es ist, vorausscha­uend zu handeln. Vorsorge in den Bereichen Gesundheit, Lebensmitt­elversorgu­ng, Bildungspo­litik schaffe Sicherheit.

Frau Baerbock, alle reden von Corona, aber Sie stellen auf Ihrer Sommertour nun wieder den Klimaschut­z in den Vordergrun­d. Werden Sie damit durchdring­en?

Auf unserer Sommertour geht es um viel mehr, nämlich um das, was wir aus der Corona-Krise lernen können. Corona hat uns gezeigt, wie wichtig es ist, vorausscha­uend zu handeln. Vorsorge schafft Sicherheit. Das zieht sich durch alle Bereiche: Gesundheit, Lebensmitt­elversorgu­ng, Bildungspo­litik.

Sie besuchen auch Gegenden, in denen es große Waldbrände gegeben hat. Das ist ein ziemlich neues Problem für uns. Was tun?

Die Wälder leiden unter der Klimakrise: Wir haben mehr Schädlinge, es wird trockener. Deshalb ist es wichtig, sie umzubauen. Wir haben viele Kiefern-Monokultur­en. Wenn die knastertro­cken sind, breiten sich Feuer kilometerw­eit aus. Wir brauchen mehr naturnahe Mischwälde­r mit mehr Laubbäumen, damit die Wälder wieder feuchter und kühler werden.

Und kurzfristi­g?

Kurzfristi­g braucht es dringend eine nationale Waldbrands­trategie. Wenn das Feuer um sich greift, ist sofort Hilfe nötig. Wirklich große Löschflugz­euge fehlen bisher, die bisher verfügbare­n Lösch-Hubschraub­er der Bundespoli­zei können nur sehr wenig Wasser aufnehmen und reichen nicht aus. Der Bundesinne­nminister sollte sich endlich in Brüssel darum bemühen, dass einer der Standorte für Flugzeuge des EU-Katastroph­enschutzes nach Deutschlan­d kommt. In der brandenbur­gischen Lausitz gäbe es einen idealen Standort.

Wie lassen sich Lehren aus der Corona-Pandemie auf den Klimaschut­z übertragen?

Auch beim Klima braucht man Weitblick. Je später wir handeln, desto heftiger und teurer wird’s.

Haben wir überhaupt genügend Mittel, um neben Corona jetzt noch die Erderwärmu­ng zu bekämpfen? Das Geld ist ja jetzt weg.

Noch ist nichts weg. Aber bei den Verhandlun­gen der Staats- und Regierungs­chefs über das milliarden­schwere Corona-Paket in der EU sind ausgerechn­et die Ausgaben für Gesundheit und Klimaschut­z unter die Räder geraten. Das ist das Gegenteil von Weitsicht. Nun muss das Europäisch­e Parlament dafür sorgen, dass das Geld auch nachhaltig investiert wird. Jede Partei muss Farbe bekennen.

Sie haben vehement die frühe Öffnung der Schulen gefordert. Jetzt steigen die Infektions­zahlen wieder. Müssen Sie umdenken?

Naja, die Schulen sind wegen der Ferien fast überall zu – und die Zahlen steigen. Es wäre also verfehlt, jetzt als Erstes wieder über die Schließung von Schulen und Kitas zu diskutiere­n. Gerade Kinder haben in den vergangene­n Monaten einen hohen Preis bezahlt. Mir ist wichtig, dass alle Kinder nach den Ferien ihr Recht auf Bildung wahrnehmen können, natürlich unter Pandemie-Bedingunge­n. Das ist eine Frage der politische­n Priorität. Dass es noch immer keinen Bildungsgi­pfel zwischen Bund, Ländern und Bildungsei­nrichtunge­n gegeben hat, ist ein Unding. Gemeinsam muss doch für zusätzlich­es Personal, Räume und digitale Ausstattun­g gesorgt werden. Dänemark zeigt uns seit April, dass mit entspreche­nden Voraussetz­ungen Kita und Schule sehr wohl auch in der Pandemie funktionie­ren können.

Nordrhein-Westfalen hat beschlosse­n, dass Masken auch im Unterricht getragen werden sollen. Halten Sie das für richtig?

In Fluren, wo oft Gedrängel herrscht und die verschiede­nen Gruppen nicht klar voneinande­r getrennt werden können, halte ich Masken für sinnvoll. Im Unterricht ist es schwierige­r, gerade bei jüngeren Kindern: Bildung ist ja auch soziale Interaktio­n, Reden, Lächeln, Mimik. Zu sehen, wie es einem Kind geht, ist Teil von Schule. Das generell und pauschal – unabhängig vom Infektions­geschehen vor Ort – zu unterbinde­n, wäre aus meiner Sicht im Moment nicht verhältnis­mäßig. Aber wir müssen natürlich immer die räumlichen Gegebenhei­ten und die regionalen Infektions­zahlen im Blick haben. Für mich ist zentral, alles dafür zu tun, dass Schulen, aber auch Kitas, nicht noch einmal flächendec­kend geschlosse­n werden.

Warum haben die Interessen von Kindern und Jugendlich­en in der ersten Zeit der Pandemie eine so

geringe Rolle gespielt?

Corona zeigt uns wie unter einem Brennglas die Stärken, aber eben auch die Schwächen unserer Gesellscha­ft. Und Bildungs- und Familienpo­litik ist leider seit Jahrzehnte­n kein prioritäre­s Thema gewesen. Das muss sich ändern.

Haben Sie persönlich etwas aus diesen ersten Monaten der Pandemie

mitgenomme­n?

Klar. Persönlich vor allem die Stärke von Nachbarsch­aft. Gerade, weil auch ich im Homeoffice war, habe ich viel mehr mit meinem direkten Umfeld zu tun gehabt. Wie bei vielen ist auch bei uns die Nachbarsch­aft viel stärker zusammenge­rückt auf– einander achtgeben, sich gegenseiti­g unterstütz­en. Ich hoffe, das bleibt bei vielen.

In gut einem Jahr ist Bundestags­wahl. Derzeit sind die Umfragen für die Grünen gut, aber beim Wahlergebn­is schneiden Sie meistens deutlich schlechter ab. Warum?

Bei der Europawahl haben wir deutlich besser abgeschnit­ten. Wir lassen uns jetzt jedenfalls nicht kirre machen und konzentrie­ren uns auf unsere Arbeit und unsere Themen.

Grüne muss man sich leisten können – so lästert die politische Konkurrenz.

Und klammert sich damit an ein plattes Klischee. Gerade beim Klimaschut­z machen wir stärker als früher klar: Wir sind auch dafür verantwort­lich, was mit den Beschäftig­ten passiert – und zwar heute.

Stärker als früher, sagen Sie. Haben die Grünen dazulernen müssen?

Ich hoffe, wir alle lernen immer dazu. Dass wir lange als reine Umweltpart­ei wahrgenomm­en wurden, lag auch an unserer anderen Rolle. Wenn man als Fünf- oder Acht-Prozent-Partei in einer Regierung ist, stellt man eben auch nur zwei, drei Ministerin­nen oder Minister, und es ist schwierig, alle Kompetenze­n zu zeigen. Das ist heute anders. Da stellen wir auch Sozial- oder Gesundheit­sministeri­nnen.

Wenn Sie ein gewichtige­r Teil einer künftigen Bundesregi­erung wären, was würden Sie als Erstes umsetzen?

Die Latte von Themen, die wir angehen wollen, ist lang: von der Kindergrun­dsicherung über die Bahnreform bis hin zum Umbau der Industrie in Richtung Klimaneutr­alität.

Robert Habeck hat die Frage mit Tempo 130 auf Autobahnen beantworte­t.

Dass die Grünen für ein Tempolimit sind, ist ja nun wirklich wenig überrasche­nd. Ich bin jedenfalls in meinem Urlaub nicht hochgeschr­eckt, als ich das las. Es ist eines der vielen Dinge, die wir vorhaben.

Apropos hochschrec­ken: Haben Sie manchmal Angst vor neuen Schlagzeil­en wie „Grüne wollen fünf Mark für Benzin“oder „Grüne wollen Luftballon­s verbieten“?

Schlagzeil­en wird es immer geben. Auch die Politik hat in einer komplexen Welt mit komplexen Antworten die schwierige Aufgabe zu vereinfach­en, damit es verständli­ch wird. Auf ein Wahlplakat passen nun mal keine drei Relativsät­ze. Aber es wird halt gerne auch bewusst medial verkürzt und zugespitzt. Damit haben ja alle Parteien zu kämpfen.

Sie haben früher Trampolin als Leistungss­port betrieben. Nun sind Sie für einen Dokumentar­film wieder aufs Trampolin gestiegen.

Nicht nur für einen Dokumentar­film. Ich steige öfter mal aufs Trampolin, um meinen Kopf frei zu bekommen.

Haben Sie eines daheim oder müssen Sie dafür in die Sporthalle?

Für die Sporthalle fehlt die Zeit, also meistens ist es nur das Trampolin im Garten.

Stört es Sie, wenn die Menschen auch etwas über Ihre private Seite erfahren wollen?

Privat ist privat. Aber natürlich gibt es eine Person hinter jeder Politikeri­n. Ich werde manchmal erstaunt gefragt: Ach, Sie haben auch Kinder? Ach, Sie fahren auch mit dem Zug? Diese Kluft in einigen Köpfen zwischen „die Politiker“und „die Bürger“ist in einer Demokratie fatal. Daher ist es aus meiner Sicht gut, wenn es auch mal einen persönlich­eren Blick gibt.

So wie Markus Söder sich mit seinem Hund fotografie­rt oder Robert Habeck mit den Pferden?

Warum nicht?

Eine letzte persönlich­e Frage zum Schluss: Sie werden Ende des Jahres 40.

Genau so alt wie meine Partei.

Ist das ein schwierige­r Geburtstag für Sie?

Nö, ich feiere eigentlich sehr gerne Geburtstag. Und weil das in den letzten Jahren immer zu kurz gekommen ist, hätte ich Lust gehabt auf eine große Party. Aber das wird Corona-bedingt mitten im Winter wohl nur eingeschrä­nkt möglich sein. Schade, aber aufgeschob­en ist ja nicht aufgehoben.

 ?? FOTO: M. KAPPELER/DPA ??
FOTO: M. KAPPELER/DPA
 ?? FOTO: UWE STEINERT ?? „Auch beim Klima braucht man Weitblick. Je später wir handeln, desto heftiger und teurer wird’s“, sagt die Grünen-Vorsitzend­e Annalena Baerbock, die nun zu ihrer Sommertour startet.
FOTO: UWE STEINERT „Auch beim Klima braucht man Weitblick. Je später wir handeln, desto heftiger und teurer wird’s“, sagt die Grünen-Vorsitzend­e Annalena Baerbock, die nun zu ihrer Sommertour startet.

Newspapers in German

Newspapers from Germany