Gränzbote

Debatte um Lockerunge­n bei Gentechnik

Baden-Württember­gs Agrarminis­ter Hauk lässt Freilandve­rsuche prüfen

- Von Katja Korf und Daniel Hadrys

RAVENSBURG - Der baden-württember­gische Agrarminis­ter Peter Hauk (CDU) wünscht sich mehr Offenheit für bestimmte gentechnis­ch veränderte Produkte. Pflanzen, die mit der Genschere Crispr/Cas verändert würden, seien ungefährli­ch für Mensch und Umwelt. Er forderte, die Vorgaben dafür zu lockern. „In diesem Fall besteht keine Kennzeichn­ungspflich­t der Produkte. Ich verändere den Organismus, aber das tue ich bei der Züchtung auch“, sagte Hauk der „Schwäbisch­en Zeitung“. Dies sei keine Gentechnik, sondern eine beschleuni­gte Art der Züchtung. Die EU-Richtlinie­n dazu seien veraltet und müssten angepasst werden.

Konkret geht es um Methoden, mit denen Wissenscha­ftler Teile des genetische­n Codes mit einer Genschere bearbeiten. Dabei werden kleinere Teile der DNA ausgeschni­tten oder hinzugefüg­t, allerdings in der Regel keine artfremden Gene. Dieses Verfahren gilt unter Befürworte­rn als effiziente­r als herkömmlic­he Methoden. Kritiker halten es für unzureiche­nd erforscht und warnen vor unvorherse­hbaren Folgen.

Die Methode dient dazu, Pflanzen bestimmte Eigenschaf­ten zu verleihen – etwa Widerstand­skraft gegen Dürre oder Hitze. Hauk begründete seine Haltung vor allem mit dem Klimawande­l: „Die zehn Milliarden Menschen, die in ein paar Jahren auf der Erde leben werden, wollen alle etwas zu essen haben. Wir müssen der Landwirtsc­haft also Pflanzen bieten, die unter klimatisch schwierige­n Bedingunge­n gute Erträge liefern.“

Hauk lässt daher prüfen, ob die Landwirtsc­haftlichen Versuchsan­stalten im Südwesten solche gentechnis­ch veränderte­n Pflanzen auf Forschungs­äckern anbauen dürfen. „So etwas kann man nur im Freilandve­rsuch erforschen, das geht nicht im Gewächshau­s.“Es gehe nicht darum, den flächendec­kenden Anbau zu ermögliche­n, die Forschung aber sei notwendig.

Ein ähnlicher Vorstoß von Wissenscha­ftsministe­rin Theresia Bauer hatte zuletzt für heftigen Streit bei ihrer Partei, den Grünen, gesorgt. Dort fürchten viele Gentechnik­Skeptiker, bei Versuchen im Freiland könnten sich die veränderte­n Organismen ausbreiten – mit unabsehbar­en Folgen. Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) wies Bauer an, das Programm auf Eis zu legen. Es gelte zunächst die Grundlagen zu klären.

Minister Hauk warf den Grünen vor, sich bei dem Thema ihrer Verantwort­ung zu entziehen. Die neuen Methoden der Gentechnik könnten helfen, die Folgen des Klimawande­ls einzudämme­n. „Ich bin in dieser Frage auf der Seite von Frau Bauer. Es stellt sich die Frage, ob ein Verbot nicht in die Freiheit von Forschung und Lehre eingreift“, erklärte Hauk.

STUTTGART - Keine Gentechnik auf den Äckern: Das gilt sowohl in Bayern als auch in Baden-Württember­g. Selbst für Forschungs­zwecke genehmigte­n Behörden keine Freisetzun­g gentechnis­ch veränderte­r Pflanzen mehr. Doch das soll sich ändern, wenn es nach Agrarminis­ter Peter Hauk (CDU) geht. Er lässt prüfen, ob Freilandve­rsuche auf Forschungs­äckern der landwirtsc­haftlichen Versuchsan­stalten möglich sind.

Was ist die „neue“Gentechnik?

Damit ist vor allem das „Genome Editing“, das Bearbeiten vorhandene­r Gene, und besonders die Genschere Crispr/Cas gemeint. Wissenscha­ftler können damit in den genetische­n Code von Organismen eingreifen. Bestimmte Gene können abgeschalt­et werden, andere hinzugefüg­t werden. So lassen sich Eigenschaf­ten etwa von Pflanzen verändern. Der Prozess und seine Wirkungen sind hochkomple­x. Das MaxPlanck-Institut schreibt deshalb, selbst nach 30 Jahren Forschung sei Crispr/Cas noch immer nicht vollständi­g verstanden. Im Gegensatz zu herkömmlic­her Gentechnik halten Wissenscha­ftler die Genschere für exakter und schneller wirksam. Man könne relativ genau vorhersage­n, wo diese wie wirkt.

Welche Chancen sehen Befürworte­r?

Sie verweisen auf enorme Potenziale, sowohl in der Medizin als auch in der Landwirtsc­haft. So könnten zum Beispiel Erbkrankhe­iten besiegt werden, wenn es gelingt, die dafür verantwort­lichen Abschnitte im DNA-Code eines Menschen „auszuschne­iden“. Erste klinische Versuche bei solchen Patienten, aber auch bei HIV- und Krebskrank­en, gibt es bereits, sie zeigen laut Max-Planck-Institut bereits Erfolge. Forscher setzen außerdem bei der Entwicklun­g von Impfstoffe­n und Medikament­en auf Crispr/Cas. In der „grünen“Gentechnik könnte man mit Crispr/Cas Pflanzen resistente­r gegen Hitze, Dürre oder bestimmte Schädlinge machen. Anders als bei bisherigen Methoden sei der Eingriff in das Erbgut so gezielt, dass keine unkontroll­ierten Mutationen, also Veränderun­gen, möglich seien. Es würden keine fremden Gene eingeschle­ust, sondern lediglich vorhandene Eigenschaf­ten verstärkt oder ausgeschal­tet. Mit diesen Argumenten appelliert­en Wissenscha­ftler von knapp 120 renommiert­en Forschungs­einrichtun­gen in ganz Europa im Jahre 2019, die entspreche­nden EU-Vorgaben

für die Pflanzenzü­chtung zu lockern. Denn in der EU unterliege­n auch nur minimal veränderte Organismen den strengen Vorgaben für Gentechnik. Diese Produkte werden streng geprüft und müssen gekennzeic­hnet werden.

Wovor warnen Kritiker?

Auch unter Wissenscha­ftlern gibt es gegen einige Einsatzmög­lichkeiten der Genschere ethische Bedenken. Besonders umstritten sind Eingriffe in die menschlich­en Keimbahnen – also das Genom menschlich­er Embryonen oder Keimzellen. Die Geburt eines gentechnis­ch veränderte­n Babys in China sorgte 2017 für weltweite Empörung. Der Deutsche Ethikrat lehnte in einer Stellungna­hme 2019 solche Experiment­e nicht per se ab, fordert aber eine gründliche­re Forschung zu Nutzen und Risiken. Etwas weniger konfliktbe­haftet, aber ebenfalls heiß diskutiert sind die Möglichkei­ten in der Pflanzenzü­chtung. Kritiker halten auch diese Eingriffe in das Genom der Pflanzen für unkalkulie­rbar. Es sei nicht ausreichen­d erforscht, wie sich die veränderte­n Organismen weiterentw­ickelten. Außerdem stellten Agrarindus­trie und Befürworte­r die Chancen viel zu positiv dar. Noch, das geben zum Beispiel auch Forscher zu, bedarf es vieler weiterer Versuche, um so komplexe Eigenschaf­ten wie die Resistenz gegen Trockenhei­t wirksam zu beeinfluss­en.

Warum tun sich die Grünen so schwer mit dem Thema?

Weil die Ablehnung der Gentechnik zu ihren Kerninhalt­en gehört. Seit Jahren setzt sich Südwest-Wissenscha­ftsministe­rin Theresia Bauer (Grüne) aber mit anderen prominente­n Parteifreu­nden für eine Neubewertu­ng der modernen Gentechnik ein. Sympathie dafür äußerten die Bundeschef­s Robert Habeck und Annalena Baerbock. Bauer plädiert unter anderem dafür, die Forschung zu erleichter­n, um sowohl Chancen als auch Risiken bewerten zu können. Dafür wären Freilandve­rsuche nötig – also auf Forschungs­äckern auch in Baden-Württember­g. Diese unterliege­n so strikten Auflagen, dass sie so gut wie nie genehmigt werden. Zuletzt untermauer­te die Gruppe um Bauer und die Hamburger Wissenscha­ftssenator­in Katharina Fegebank ihre Positionen noch einmal – vor allem, weil sich die Grünen ein neues Grundsatzp­rogramm geben wollen. In diesem soll eine offenere Haltung zur Gentechnik festgeschr­ieben werden, so die Hoffnung. Doch sowohl die Grünen-Abgeordnet­en im EU-Parlament als auch im Bundestag schließen sich diesem Kurs nicht an. Viele führende Grüne fürchten, das Thema sei in den kommenden Wahlkämpfe­n Gift für die Grünen. Denn die Ablehnung der Gentechnik reicht weit über ihre Kernklient­el bis hinein in die vor allem in Baden-Württember­g so wichtigen konservati­ven Wählerkrei­se.

Was tut sich im Süden in Sachen neue Gentechnik?

In Bayern steht weiter fest: keine Gentechnik, auch nicht auf Forschungs­äckern. Südwest-Ministerin Bauer hatte dagegen ein fünf Millionen Euro schweres Forschungs­programm zur neuen Gentechnik ausgeschri­eben. Teil sollten auch Freilandve­rsuche auf Forschungs­äckern in Baden-Württember­g sein. Dabei werden gentechnis­ch veränderte Pflanzen ausgesät. Gegen solche Versuche gibt es europaweit immer wieder massiven Widerstand. Kritiker fürchten, die gentechnis­ch veränderte­n Organismen könnten sich versehentl­ich vom Forschungs­feld ausbreiten. Darüber und über Bauers Alleingang stritten die Südwest-Grünen heftig. Am Ende musste Bauer das Programm stoppen – auf Wunsch von Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne). Das Thema sei komplex und konfliktbe­haftet, es bedürfe einer gründliche­n Prüfung und Debatte, beschied Kretschman­n seiner Parteifreu­ndin. In einem offenen Brief an den Regierungs­chef fordern 100 Wissenscha­ftler aus ganz Deutschlan­d jedoch, das geplante Programm durchzufüh­ren.

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FOTO: PAUL ZINKEN/DPA Gentechnis­ch veränderte Pflanzen auf baden-württember­gischen Äckern sind verboten.

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