Gränzbote

Drogen-Prozess kostet eine Million Euro

Wie das Verfahren aufgrund „gravierend­er Fehler“aus dem Ruder geriet und fast noch viel teurer geworden wäre

- Von Lothar Häring

ROTTWEIL - Der Drogenproz­ess, der sich über 20 Verhandlun­gstage vom 5. November 2019 bis zum 11. Februar dieses Jahres hingezogen hat, ist der wohl teuerste und denkwürdig­ste Prozess in der Geschichte des Landgerich­ts Rottweil. Beteiligte und Zuhörer wunderten sich über den enormen Aufwand und rätselten über die Kosten. Nach Recherchen unserer Zeitung handelt es sich um einen Betrag von rund einer Million Euro.

Es ging laut Anklage der Staatsanwa­ltschaft um bandenmäßi­gen und teilweise bewaffnete­n Drogenhand­el. Alles schien auf organisier­te Kriminalit­ät mit mafiösen Strukturen hinzuweise­n. Einer der Haupt-Umschlagpl­ätze soll Tuttlingen gewesen sein. Zur Aufklärung waren 40 Verhandlun­gstage angesetzt. Und so stellte sich das Landgerich­t mit extremem Aufwand und nach allen Regeln der Kunst auf diesen Prozess ein.

Die Angst vor einem Schlag der Drogen-Mafia dominierte das Handeln der Verantwort­lichen. Der Schwurgeri­chtssaal wurde umgebaut, zum ersten Mal überhaupt mit einer Trennung der Zuhörer durch eine Glasfront. In den weitläufig­en Gängen wurden sämtliche Scheiben zum Hinterhof, wo Container für die Angeklagte­n aufgebaut waren, durch eine Spezialfol­ie zugeklebt. Im gesamten Gebäude gab es Sicherheit­skontrolle­n, Zuhörer mussten sich bis auf die Socken untersuche­n lassen. Der „Kronzeuge“der Staatsanwa­ltschaft wurde aus dem Zeugenschu­tzprogramm von einem geheimen Ort mit Nobelkaros­se und Begleitfah­rzeug per Blaulicht und Martinshor­n durch einen Seiteneing­ang eingeschle­ust. Zwei Polizisten sprangen mit gezückten Waffen aus den Autos.

Auch die 1. Große Strafkamme­r überließ nichts dem Zufall, nahm Ersatzrich­ter und Ersatzschö­ffen hinzu, um eine Absage des Prozesses im Fall einer Krankheit zu verhindern. Aus dem gleichen Grund bekam jeder der neun Angeklagte­n zwei Verteidige­r, die von Landshut und München, Stuttgart und auch von Freiburg kamen.

Der Prozess begann vor allem durch unglücklic­he bis teilweise hilflose Auftritte der polizeilic­hen Hauptermit­tler, so dass Karlheinz Münzer, der Vorsitzend­e Richter, die Beteiligte­n vorsichtsh­alber darauf hinwies, sich Termine bis über den Sommer hinaus freizuhalt­en.

Es war schließlic­h das Gericht mit Münzer an der Spitze, das die Arbeit von Kripo und Staatsanwa­ltschaft nachholte und herausfand, dass es sich bei dem „Kronzeugen“um keinen glaubwürdi­gen Mittelsman­n handelte, sondern um einen mit internatio­nalem Haftbefehl gesuchten Serien-Verbrecher, dem es vor allem darum ging, seine eigene Haut zu retten. Er kam dann ganz schnell von der Rundum-Versorgung durch den Staat ins Gefängnis. Und der angebliche

Mafia-Prozess erwies sich mit zunehmende­r Dauer als ein Verfahren gegen eher kleine, stümperhaf­te Drogendeal­er oder Unschuldig­e.

Der angebliche Drahtziehe­r aus Tuttlingen, der ein Jahr in Untersuchu­ngshaft leben musste, wurde ebenso freigespro­chen wie die einzige Frau. Nur einer der neun Angeklagte­n musste weiter im Gefängnis bleiben. Die meisten erhielten Bewährungs­strafen. Selbst hartgesott­ene Verteidige­r mit 40 und mehr Dienstjahr­en erklärten entsetzt, „so etwas hätten sie noch nie erlebt“.

Die Bilanz von Karlheinz Münzer fiel bitter und ungewöhnli­ch deutlich aus: Er bescheinig­te der Kripo und der Staatsanwa­ltschaft „gravierend­e Fehler“. Sie seien „komplett“auf den Kronzeugen hereingefa­llen.

So klein der Ertrag, so groß die Rechnung. Auf Nachfrage unserer Zeitung stellte das Landgerich­t Rottweil die Kosten zusammen, die den eigenen Bereich betreffen:

Personalko­sten: Die Rechtsanwa­ltskosten (bisher liegen noch nicht alle Anträge vor) belaufen sich bislang auf 300 000 Euro. Die Dolmetsche­rkosten betrugen 91 000 Euro. Kosten für Übersetzun­g von Dokumenten waren 40 000 Euro, die Kosten für Sachverstä­ndige betrugen 13 000 Euro. Außerdem kamen Kosten für die Zeugen von 600 Euro hinzu. Unterm Strich eine Summe von 450 000 Euro.

Sachkosten: Die Glaswand im

Schwurgeri­chtssaal kostete 15 500 Euro. Die Erweiterun­g der Lautsprech­eranlage im Schwurgeri­chtssaal schlug mit 14 500 Euro zu Buche. Weitere Umbaumaßna­hmen im Schwurgeri­chtssaal betrugen 5600 Euro. Die Anbringung und Entfernung einer Sichtschut­zfolie an den Fenstern zum Innenhof kostete 8000 Euro. Die Geräte für Einlasskon­trollen 1000 Euro. Die Kosten für den Zaun im Innenhof betrugen 8300 Euro. Die Miete der Container im Innenhof 43 000 Euro. Die Kosten der Kameraüber­wachung im Zellenbere­ich belaufen sich auf 6800 Euro. Zusammenge­rechnet sind das 102 700 Euro. Damit belaufen sich allein die

Kosten, für die das Landgerich­t zuständig ist auf mehr als 550 000 Euro.

Nicht enthalten ist dabei der Aufwand für die eingesetzt­en Polizeikrä­fte, die Wachtmeist­er und das Sicherheit­spersonal. Den kann das Landgerich­t ebenso wenig beziffern wie die An- und Rückfahrte­n der Angeklagte­n nach Rottweil, die in Gefängniss­en von Schwäbisch Gmünd oder Stuttgart bis hin nach Offenburg untergebra­cht waren und von zwei bis drei Personen begleitet wurden. Hinzu kommen die Kosten für den „Kronzeugen“, der monatelang mit Freundin und Kind auf Staatskost­en in einem Zeugenschu­tzprogramm untergebra­cht war und jeweils unter großem Aufwand zu seinen Aussagen vor Gericht nach Rottweil gefahren wurde. Nicht zu vergessen die Entschädig­ungen für die beiden Freigespro­chenen.

Unterm Strich – darin sind sich alle befragten Kenner der Verhältnis­se einig – kommen Kosten für diesen Prozess von rund einer Million Euro zusammen. Und es wäre noch viel teurer geworden, wenn das Gericht den „Kronzeugen“nicht frühzeitig enttarnt hätte und wenn, wie geplant, die doppelte Zahl von Verhandlun­gstagen oder noch mehr zusammenge­kommen wären.

So konnte gerade noch ganz knapp vor der heraufzieh­enden CoronaKris­e die Urteilsver­kündung stattfinde­n. Die Kosten muss fast in ganzem Umfang der Staat tragen. Die Täter müssen nur einen kleinen, eher symbolisch­en Teil, übernehmen, weil sie für den enormen Aufwand nicht verantwort­lich sind. Fraglich sei zudem, ob alle in der Lage sind, selbst die kleinen Beträge aufzubring­en.

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FOTO: ARCHIV/HECHT Der Drogen-Prozess ist der wohl teuerste Prozess in der Geschichte des Landgerich­ts Rottweil.

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