Gränzbote

Jobcenter-Messerstec­her nennt Richter „Henker“

Auftakt im Prozess gegen Mann, der Jobcenter-Mitarbeite­rin lebensbedr­ohlich verletzt hat

- Von Corinne Otto

ROTTWEIL - Prozessauf­takt am Donnerstag­morgen im Landgerich­t Rottweil. Etliche Fernsehkam­eras sind auf die Anklageban­k gerichtet: Dort sitzt der 58-Jährige, der im Januar eine Mitarbeite­rin des Rottweiler Jobcenters mit drei Stichen lebensbedr­ohlich verletzt hat. Versuchter Mord, lautet die Anklage.

Der Mann schimpft schon nach den ersten Minuten über den Staat, bezeichnet alles als Farce, fällt dem Richter ins Wort, wird unflätig. Uwe B. weigert sich, die üblichen Angaben zu seiner Person zu machen. „Ich interessie­re mich für dieses Gericht nicht. Das ist ein Regime. Sie sind für mich kein Richter, sie sind Henker“, sagt er zum Vorsitzend­en Richter Karlheinz Münzer und zieht Vergleiche zum NS-Regime.

Die große Frage in diesem Verfahren wird sein: In wie weit war der Täter in seiner Steuerungs­fähigkeit beeinträch­tigt? Der Mann leidet den Angaben zufolge unter einer wahnhaften Störung und ist derzeit in der Psychiatri­e untergebra­cht. Das psychiatri­sche Gutachten wird – wie auch im Fall der Messeratta­cke im Schramberg­er Rathaus, die im vergangene­n Jahr verhandelt wurde – eine große Rolle spielen.

Dass Uwe B. die Tat begangen hat, steht außer Frage. Er gibt die Messerstic­he zu. Nach der Tat wartete er auf die Polizei, ließ sich festnehmen. Doch während er vor der Messeratta­cke im Januar auf Twitter ankündigte, er werde nun „eine Person des Jobcenters töten“, erklärt er nun, er habe die Stiche gezielt so gesetzt, dass die Frau überlebt. Es sei ihm darum gegangen, ein Zeichen gegen das Jobcenter zu setzen. „Ich musste es tun, sonst hätte ich nicht mehr in den Spiegel schauen können.“

Zu Beginn des Prozesstag­s lässt er eine Erklärung verlesen, die in ihrem Inhalt kaum nachzuvoll­ziehen und wegen vieler kryptische­r Notizen kaum lesbar ist. Von Häschen und Fuchsjagd schreibt er, von „menschenfr­essendem Abschaum“. „Hat Gott ihnen Recht verliehen? Sie reißen die Macht an sich. Das Desolate ist der Desolaten Volk.“So geht es seitenlang. Außerdem geht es um Ansprüche, die er für Mietkosten erhebt. Er befinde sich in einer Notlage,

weil das Jobcenter seit seiner Inhaftieru­ng nicht mehr zahlt. Dagegen will er klagen. Es geht um ihn, um seine Krankenakt­en, um Implantate im Herzen. Er pöbelt mit Zwischenru­fen das Gericht an, das nicht richtig lesen könne. Und er erklärt: Gott brauche einen, der alles regelt. Und das sei er.

Als sein Opfer aussagt, muss Uwe B. den Saal verlassen, über Video von einem Nebenzimme­r aus zusehen. Es bestehe die Gefahr einer Retraumati­sierung der Frau, erklärt Richter Münzer. Mit leiser Stimme berichtet die 51-Jährige von den Minuten, die ihr Leben veränderte­n. Sie ist seit der Messeratta­cke in therapeuti­scher Behandlung, musste mehrfach operiert werden. Ihr Lunge und das Zwerchfell wurden genäht, die Milz entfernt, zwei Rippen waren gebrochen. Sie kann noch immer nicht richtig gut atmen, keinen Sport mehr machen.

Die 51-Jährige hat Mühe, über die »teuflische­n Augen« zu sprechen, in die sie nach dem ersten überrasche­nden Stich blickte. Uwe B. habe einen Termin gehabt, es ging um eine ärztliche Überprüfun­g, ob er arbeitsfäh­ig ist. Er habe seitlich von ihr am Tisch gesessen, ungewöhnli­ch nah, und habe einen komischen Eindruck gemacht. Als sie sich kurz wegdrehte, habe sie einen heftigen Schlag gegen die Seite verspürt.

„Ich hab mich umgedreht und seine Augen gesehen und seine zusammenge­bissenen Zähne. Dann hab ich das Messer gesehen“, berichtet das Opfer. Sie habe zur Tür fliehen wollen, aber Uwe B. habe weiter auf sie eingestoch­en.

„Ich wollte einfach nur zu dieser Tür, aber ich hab es nicht geschafft. Dann gab es einen Treffer Richtung Herz und da dachte ich, jetzt bringt er mich um.“Dazwischen habe sie Stiche mit der Hand abwehren können. Ein Nerv am Daumen wurde durchtrenn­t. Um sich zu schützen, habe sie den Schreibtis­chstuhl genommen und mit den Rollen gegen ihn gerichtet. „Er stand dann vor mir, hat mich angeschaut und war zufrieden. Das hab ich in seinen Augen gesehen.“Als Kolleginne­n zur Hilfe kamen, habe er noch gesagt: „Ich bin der Täter.“Dann sei er gegangen. Der 51-Jährigen ist es dann trotz der Anspannung im Gerichtssa­al ein Anliegen, allen zu danken, die ihr nach der Tat geholfen haben. Und sie brach eine Lanze für ihren Beruf, den sie nach wie vor liebe.

Mit Uwe B. hatte sie am Tattag das erste Mal zu tun. Täter und Opfer haben sich nie zuvor gesehen. „Ärgerliche­rweise“, so sagt der 58-Jährige später, sei es nicht die übliche Mitarbeite­rin gewesen.

Das Opfer „dramatisie­re“alles. Das Jobcenter habe ein Interesse daran, die Tat schlimmer darzustell­en, erklärt Uwe B. in verschwöre­rischem Tonfall. Er bestreitet, dass alle Verletzung­en von seinen Messerstic­hen stammen. Auf die Frage, warum er vor der Tat vom „Töten“geschriebe­n hat, weicht B. mit wirren Aussagen aus. Auf völliges Unverständ­nis stößt bei ihm die Frage des Richters, ob er sich schon einmal Gedanken über die Folgen für sein Opfer und ihre Familie gemacht hat. „Sie brauchen gar nicht versuchen, die als gute Menschen darzustell­en.“Schließlic­h hätte das Jobcenter „Tote im Schlepptau“.

Als Richter Karlheinz Münzer ihn auf die Geschehnis­se im Himalaja 1993 anspricht, als seine Frau ums Leben kam und sein Sohn spurlos verschwand, wird Uwe B. schmallipp­ig. „Das geht sie nichts an.“

Polizeibea­mte des Reviers Rottweil berichten am Nachmittag, wie sie den 58-Jährigen am Tatort angetroffe­n und festgenomm­en haben. Er habe völlig ruhig am Haupteinga­ng gewartet und unter anderem gesagt: „Die vom Jobcenter machen Probleme.“

„Ich musste es tun, sonst hätte ich nicht mehr in den Spiegel schauen können.“

Der Angeklagte Uwe B. beim Prozessauf­takt in Rottweil.

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FOTO: CORINNE OTTO / SBO Uwe B. weigert sich, Angaben zur Person zu machen. „Ich interessie­re mich für dieses Gericht nicht. Das ist ein Regime. Sie sind für mich kein Richter, sie sind Henker“, sagt er zu Richter Karlheinz Münzer.

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