Gränzbote

„Jugend benötigt Räume“

Wolfgang Hauser vom Sozialdeze­rnat über die Vielfalt der Jugendräum­e im Kreis

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SPAICHINGE­N - Jüngst diskutiert­e der Gemeindera­t über das Wiedereinr­ichten eines Jugendhaus­es. Ein Thema dabei: Selbstverw­altete offene Jugendhäus­er sind passé. Aber wohin hat sich Jugendarbe­it entwickelt und für wen ist sie da? Regina Braungart hat Wolfgang Hauser, Stabsstell­e Sozialplan­ung, Jugendarbe­it, früher Kreisjugen­dreferent befragt.

Herr Hauser, welche Modelle gibt es eigentlich in unserer Region Spaichinge­n/Heuberg beziehungs­weise im Landkreis für Jugendräum­e?

Die letzte Erhebung, die wir gemacht haben, stammt von Ende 2018. Dabei sind wir im Kreis auf rund 60 Jugendräum­e gekommen, also eine sehr stattliche Zahl. Jugend benötigt Räume und so ist das ein Dauerthema. Es gibt nicht DEN Raum, sondern es gibt ganz viele individuel­le Modelle. Das ist immer abhängig von den Jugendlich­en, der Raumschaft, den Räumlichke­iten. Grundsätzl­ich gesagt, sind Räume schon lange keine Institutio­n mehr, sondern sie sind immer pädagogisc­her Zweck.

Inwiefern?

Es sind Lebensräum­e, Experiment­ierräume, Bildungsrä­ume und es sind immer auch Projekte von Jugendlich­en und von Cliquen. Ganz selten hat ein Raum über viele Jahrzehnte Bestand. Es gibt zwar ein paar bei uns, aber häufiger ist, dass die Räume eine Lebensdaue­r haben, die auch ähnlich wie Gruppenpha­sen sind. Also dass auch Räume eine spannende Startphase haben, und irgendwann verabschie­den sich dann diese Jugendlich­en, und die Räume müssen wieder neu erschlosse­n werden von neuen Jugendlich­en.

Aber wie sieht denn das Spektrum der Räume bei uns konkret aus?

Von den ganz institutio­nell organisier­ten ist zum Beispiel der Jugendhaus­verein Denkingen zu nennen. Ein eingetrage­ner Verein, der in der Vereinsgem­einschaft etabliert ist. Er wird über viele Generation­en von Generation zu Generation weiter gegeben. Diese Jugendlich­en brauchen ganz wenig Unterstütz­ung von der Kommune

oder vom Jugendrefe­rat. Sie treffen sich, bringen sich im Kinderferi­enprogramm ein, die Vorsitzend­en sind immer volljährig oder weit volljährig und ehemalige Vorsitzend­e sitzen im Gemeindera­t. Solche Modelle gibt es vorrangig im sehr ländlichen Bereich, im Raum Geisingen-Immendinge­n haben wir einige von dieser Art, es gibt sie aber auch auf dem Heuberg noch.

Und der andere Pol?

Der andere Pol sind Jugendszen­enCliquen oder Mädchenräu­me in einem beschützte­ren Bereich, vielleicht angesiedel­t an das Büro des Jugendrefe­rats. So wie in Spaichinge­n. Da und bei den Modellen wie in Denkingen würde man sich als außenstehe­nder Jugendlich­er nicht wohl fühlen, weil man da schon integriert und etabliert sein muss.Unser Ziel ist immer, eine Selbstverw­altung hinzubekom­men, denn es ist nicht Aufgabe der kommunalen Jugendarbe­it, für Jugendlich­e den Gastronom zu spielen.

Oder Programmvo­rgaben zu machen, das sie auch ablehnen würden. Das Ziel ist immer: so viel Beteiligun­g und Selbstverw­altung wie möglich. Aber wir wollen die Jugendlich­en auch nicht überforder­n.

Was heißt das?

Sie finden im Landkreis mehrere Jugendrefe­rate, die Räume anbieten, zum Beispiel auch in Gosheim, die nur dann offen sind, wenn ein Jugendrefe­rent dabei ist. Jugendlich­e wären überforder­t, wenn zum Beispiel über 18-Jährige reinkämen. Wie üben sie da etwa das Hausrecht aus?

Gibt es also dieses Modell des offenen, selbst verwaltete­n Jugendhaus­es nicht mehr? Oder gab es das eigentlich noch nie? Die Spaichinge­r Jugendrefe­rentin sagte, es sei immer eine Cliquensac­he und es sei immer so gewesen. Ist das generell so?

Im Landkreis Tuttlingen gab es das noch nie. Vor 30 Jahren, als

die Manz-Brüder noch in der Jugendarbe­it aktiv waren, gab es in Tuttlingen so etwas wie eine Art Jugendhaus für alle. Aber so etwas, also ein Haus, das von Jugendlich­en betrieben wird, die den Thekendien­st übernehmen und das für alle Jugendlich­en offen steht, das gibt es heute gar nicht mehr. Das ist in der pluralen Welt nicht mehr möglich. Es wäre, als ob man ein Vereinshau­s in Spaichinge­n bauen würde und alle Vereine müssten dort rein. Da sieht man schon, dass das nicht geht. Die Angler haben nichts mit den Tennisspie­lern zu tun und die Modelleise­nbahner nichts mit dem Fußball. Ähnlich ist es bei der Jugend auch. Dass es Cliquen und Cliquenräu­me gibt, ist aber für uns kein Manko, sondern einfach Realität: dass sich Jugendlich­e in Gruppen finden und dabei je nach

Bedarf Begleitung bekommen.

Wie viel ist dann bei solchen Treffpunkt­en Pädagogik und wie viel Party? Manchmal hat man den Eindruck, Jugendlich­e brauchen eigentlich nur einen geeigneten Platz zum Party machen und es ist egal, ob ein Jugendpfle­ger dabei ist oder nicht.

Ich glaube für Jugendlich­e lässt sich das schwer

trennen. Für Jugendlich­e gehört Party machen und sich ausprobier­en, Freundscha­ften, Partnersch­aften ausprobier­en zusammen. Es muss immer Spaß mit dabei sein. Es gibt kein Jugendhaus­angebot, bei dem man sagt, wir treffen uns zum Basteln. Das ist schon viele Jahrzehnte vorbei. Es fühlt sich immer wie chillen, Party, Spaß an. Das heißt aber nicht, dass ein Jugendrefe­rat eine tragende Rolle haben muss, wenn die Gemeinde solche Räume zur

Verfügung stellt. Etwa die aktuelle Diskussion in Spaichinge­n: Das sind Jugendlich­e, mit denen man Kontakt hält und das Angebot der Beteiligun­g macht, aber man überpädago­gisiert nicht.

Und ist es aber nicht auch so, dass dieses Party machen, das aus der Erwachsene­nperspekti­ve als reiner Zeitvertre­ib aussieht, mehr ist? Dass sich in diesem Konstrukt Party machen auch Jugendentw­icklung manifestie­rt?

Ja, es ist auch eine Aufgabe der kommunalen Jugendarbe­it, nämlich die Jugendlich­en in ihrer Freizeitge­staltung zu unterstütz­en. Das Bekenntnis zur Freizeit, auch das gehört zur Jugendarbe­it. Aber wir sehen es auch als Gestaltung­saufgabe, denn nicht jede Freizeitge­staltung ist auch sinnvoll. Wenn Jugendlich­e nur Drogen konsumiere­n oder sich nur gegenseiti­g abwerten, ist es nichts. Daher braucht es immer wieder Anregung für eine gute Freizeitge­staltung.

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