Soforthilfe für den Libanon
Geberkonferenz sagt rund 250 Millionen Euro zu
BEIRUT/PARIS (AFP/dpa) - Nach der Explosionskatastrophe in Beirut haben die Teilnehmer einer internationalen Geberkonferenz dem Libanon insgesamt gut 250 Millionen Euro Soforthilfen zugesagt. Das teilte das französische Präsidialamt am Sonntagabend mit. Deutschland stellt nach den Worten von Außenminister Heiko Maas (SPD) 20 Millionen Euro zur Verfügung. Die Hilfsgelder sollen direkt an die Bevölkerung fließen. Die EU-Kommission sagte insgesamt 63 Millionen Euro zu. Insgesamt seien 252,7 Millionen zusammengekommen, davon stelle Frankreich 30 Millionen Euro zur Verfügung.
Im Libanon droht eine neue politische Zerreißprobe. Ministerpräsident Hassan Diab will dem Kabinett heute eine Neuwahl vorschlagen. Am Wochenende machten Tausende ihrem Zorn über die politische Elite bei teils gewaltsamen Protesten Luft.
LIMASSOL/BEIRUT - In der libanesischen Hauptstadt Beirut sind am vergangenen Wochenende fast alle Dämme gebrochen. Ohnmächtig vor Wut auf ihre von einer korrupten Politikerklasse gestützte Regierung gingen Zehntausende von Libanesen auf die Straße. Die Slogans und Aussagen der Menschen schockierten. Sie sind aber verständlich, wenn man sich die Monstrosität des den Herrschenden zur Last gelegten Verbrechens im Beiruter Hafen – mit fast 200 Toten und über 300 000 Obdachlosen – vor Augen führt.
„Meine Regierung hat mein Volk ermordet“, stand auf den Spruchbändern. „Rache, Rache, bis dieses Regime ein Ende findet und die Verantwortlichen hängen“, skandierten die Demonstranten. Sie sehen sich inzwischen „im Krieg mit ihrer Regierung“. „Das ist die Rückkehr der Revolution“, hallte es durch die mit Scherben übersäten Strassen am Beiruter Märtyrerplatz: „Entweder wir oder sie.“
Entsprechend entschlossen wurde in der Nacht zum Sonntag zur Sache gegangen. Unterstützt von offenbar „kampferprobten“jungen Libanesen stürmte eine Gruppe von pensionierten Soldaten und Offizieren das Beiruter Außenministerium. Aktenschränke wurden verwüstet, die Porträts von Staatspräsident Michel Aoun und anderer nationaler Würdenträger in Brand gesetzt. „Wir haben das Gebäude als Sitz unserer Revolution beschlagnahmt“, verkündete ein Sprecher der Demonstranten. Sie brachen in Jubel aus, als an der Fassade ein Transparent mit der Aufschrift „Beirut – Die Hauptstadt der Revolution“ausgerollt wurde.
Auch das Energieministerium und der Sitz der Bankenvereinigung wurden gestürmt. Mit einem Hagel von Gummigeschossen und Tränengasgranaten konnten die Protestierenden dagegen aus dem Parlament und vom Amtssitz von Premierminister Hassan Diab ferngehalten werden. Der weiß sich angesichts des wachsenden Drucks der Strasse nicht anders zu helfen, als Neuwahlen in zwei Monaten vorzuschlagen – was von der Protestbewegug umgehend zurückgewiesen wurde.
Denn die Wahlen, das ist aus ihrer Sicht klar, würden erneut vom System, das seine entlang konfessioneller Linien abgestützte Herrschaft über Jahrzehnte festzementiert hat, gewonnen werden. Für die in kleinen Graswurzelbewegungen organisierten Demonstranten käme ein Urnengang
dagegen zu früh. Sie wollen nach der Explosionskatastrophe vom Dienstagabend radikale Veränderungen. Eine erste Veränderung innerhalb der Regierung gab es bereits am Sonntag: Informationsministerin Manal Abdel Samad und Umweltminister Damianos Kattar gaben ihren Rücktritt bekannt.
Die Bruchlinien seien im Beiruter Hafen gezogen worden, sagte Medea Azoury, eine 46-jährige Demonstrantin vor Journalisten. „Genug ist genug“, rief die Frau verzweifelt: „Wir werden in diesem Land als Geiseln gehalten. Wir können kein Geld mehr von den Banken abheben und die Menschen sterben vor Hunger.“Die Ungeduld der Menschen ist begreiflich. Vor einem radikalen Wandel muss zunächst die Bewältigung der schweren humanitären Krise im Vordergrund stehen. Fast die Hälfte des Beiruter Stadtgebietes wurde durch die Detonation von 2750 Tonnen Ammoniumnitrat verwüstet, die Getreidespeicher im Beiruter Hafen zerstört. Für mehr als die Hälfte der zweieinhalb Millionen Einwohner der libanesischen Hauptstadt geht es inzwischen ums nackte Überleben. Darüber waren sich auch die Teilnehmer der Geberkonferenz für Libanon im Klaren, die gestern von UNO-Generalsekretär Guterres und Frankreichs Präsident Macron geleitet wurde. Der forderte in seiner Eröffnungsbotschaft die libanesische Politik erneut auf, mit umfassenden Reformen den Wiederaufbau des Landes zu unterstützen. Für Unbehagen bei den meisten Geberländern sorgt vor allem die Beteiligung der proiranischen Hisbollah an der noch amtierenden Beiruter Regierung, dessen Ende nach dem Rücktritt einiger Minister womöglich bevorsteht. Die Schiitenorganisation wird von der Hälfte der Libanesen als „Staat im Staate“wahrgenommen, der eine prowestliche Ausrichtung des Landes konsequent torpediert. Eine von Macron vorgeschlagene internationale Untersuchung der Beiruter Explosionskatastrophe hat HisbollahChef Nasrallah bereits abgelehnt. Die Überlebenshilfe der internationalen Staatengemeinschaft für Libanon dürfte sich daher zunächst auf Sachspenden beschränken. So will Frankreich in den kommenden Tagen 18 Tonnen Medikamente und 700 Tonnen Lebensmittel nach Beirut liefern. Kuwait, Saudi-Arabien, Iran und die Emirate hatten bereits in den letzten Tagen mehrere Grossraumflugzeuge mit Überlebenshilfe geschickt.