Unklare Gefechtslage
Im Vergabekrimi um das neue Sturmgewehr der Bundeswehr könnte das Beschaffungsamt den Waffenbauer Heckler & Koch benachteiligt haben
- Im Sport nennen Fans eine Partie mit so einem Ausgang Jahrhundertspiel. Der Kleine, der Außenseiter, der Underdog besiegt den vermeintlich übermächtigen und dominanten Platzhirsch. Kontrahenten im Kampf um den so prestigeträchtigen Auftrag zur Herstellung des neuen Gewehrs der Bundeswehr sind der FC Bayern München im Bau von Handfeuerwaffen, das Unternehmen Heckler & Koch (H&K) aus Oberndorf am Neckar, und die kleine Firma C. G. Haenel aus Suhl in Thüringen.
Auf der einen Seite der weltbekannte Waffenhersteller aus dem Neckartal – Traditionsausrüster der Bundeswehr, Umsatz mehr als 230 Millionen Euro, 900 Mitarbeiter davon rund 80 Waffenentwickler – und auf der anderen Seite ein Hersteller mit rund zwölf Angestellten, einem Jahresumsatz von etwas mehr als sieben Millionen Euro und keiner eigenen Produktion. Der Zuschlag für die Herstellung von 120 000 Sturmgewehren an C. G. Haenel war Mitte September eine Sensation.
Eine Sensation, die am Stammsitz von Heckler & Koch zuerst für Überraschung, dann für Stirnrunzeln und am Ende für Misstrauen gesorgt hat. „Wir hatten nicht damit gerechnet, dass Haenel der Ausrüster wird, und haben uns die Siegerwaffe am Abend erst einmal auf deren Homepage angeschaut“, erzählt H&K-Chef Bodo Koch am Donnerstagabend im Stuttgarter Wirtschaftspresseclub. Neben der Enttäuschung wächst in dem Manager in diesen Stunden ein Verdacht – der Verdacht, dass der Konkurrent aus Thüringen sich Tricks für sein Siegergewehr bei Konkurrenten abgeschaut haben könnte – vor allem beim Hauptrivalen aus Oberndorf.
Es ist besonders eine Eigenschaft, die Koch auffällt – die Art und Weise, wie man bei Haenel sicherstellt, dass das Gewehr auch funktioniert, wenn Kampfschwimmer aus dem Wasser auftauchen und sofort schießen müssen. „Wir haben uns gefragt, wie sie das Wasser aus dem Kolbenraum bekommen, ohne unsere Patente zu verletzen“, sagt Koch. Das Fazit, das Heckler & Koch zieht, ist eindeutig. „Wir gehen davon aus, dass unsere Rechte verletzt wurden.“Das Unternehmen beschwert sich – und am 9. Oktober kommt Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) in Berlin zu einem ganz ähnlichen Schluss wie H&K-Chef Bodo Koch in Oberndorf. Aufgrund der Beschwerde hat die für die Vergabe zuständige Behörde „erstmalig nachprüfbar von einer möglichen Patentrechtsverletzung durch die Firma C. G. Haenel Kenntnis erlangt“, erklärt ein Sprecher des Verteidigungsministeriums auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“. Die Folge: Die Ministerin
stoppt den Vergabeprozess. Der Sensationssieg des Underdog aus Suhl doch nur ein Foulspiel? Eine Wendung, die Bodo Koch sportlich kommentiert: „Wir scheuen keinen Wettbewerb, wenn er fair ist.“Daran, dass die Vergabe fair abgelaufen ist, gibt es allerdings erhebliche Zweifel. Vor allem:Im Verteidigungsausschuss des Bundestages mehren sich die Stimmen, dass nicht nur der eine der beiden Kontrahenten die Fairness hintenangestellt hat, um den Auftrag für sich zu gewinnen, sondern dass auch der Schiedsrichter, das Bundesbeschaffungsamt der Bundeswehr, nicht als neutrale Instanz, sondern als Lobbyist einer Seite fungierte.
H&K-Chef Koch sagt dazu beim Wirtschaftspresseclub nichts, kein Wort. Wenige Augenblicke zuvor hatte der Manager, der sich um Transparenz bemüht, seit er 2018 im Neckartal die Verantwortung übernommen hat, noch betont offen gesprochen, sich kritischen Fragen gestellt und die Produkte und die Strategie seines Unternehmens
verteidigt. „Wir sind ein Waffenbauer und müssen nach moralisch-ethischen Kriterien handeln. Wir verkaufen ambivalente Produkte, die, wenn sie in guten Händen sind, Menschen schützen“, sagt er am Donnerstagabend. Die Antworten auf Fragen nach dem Beschaffungsamt und dem Vergabeprozess für das Sturmgewehr klingen dagegen anders. „Wir sind nach der Abgabe des finalen Angebots nicht noch einmal gefragt worden“, erklärt Koch zugeknöpft. „Ob Haenel nachträglich noch mal gefragt worden ist und den Preis nachträglich verändern durfte, weiß ich nicht.“
Doch genau der Verdacht steht im Raum – es wäre ein eklatanter Verstoß gegen das Vergaberecht und eine Blamage für das Verteidigungsministerium von Annegret Kramp-Karrenbauer. „Wir brauchen jetzt sehr schnell Klarheit darüber, was geschehen ist. Die Frage ist: Hat es mit Haenel Nachverhandlungen gegeben – und was waren dann die Gründe
für die Nachverhandlungen. War das Motiv, dass ein Wettbewerber bevorzugt werden sollte?“, sagt Tobias Lindner der „Schwäbischen Zeitung“. Der Bundestagsabgeordnete der Grünen aus der Pfalz ist Obmann im Verteidigungsausschuss. „Wir haben verlässliche Hinweise, dass die möglichen Patentrechtsverletzungen nur die halbe Wahrheit sind und als Grund vorgeschoben werden.“
Schon die Ausschreibung für den Auftrag wies nach Auffassung von Experten für Vergaberecht Merkwürdigkeiten auf. Warum hat das Beschaffungsamt die Modalitäten so gewählt, dass auch eine so kleine Firma wie Haenel sich an der Vergabe beteiligen kann? Eine Firma, die Verluste schreibt, für die letzten Endes die Vereinigten Arabischen Emirate gerade stehen: Haenel gehört über den Jagdwaffenhersteller Merkel zum staatlichen Edge-Konzern des arabischen Staates. Das Verteidigungsministerium schweigt zu den Vorgängen und der Frage, ob das Beschaffungsamt Haenel im Vergabeprozess bevorzugt hat. Man könne sich nicht „zu Details des Vergabeverfahrens und Angelegenheiten Dritter“äußern, sagte ein Sprecher. Untersucht werden die Vorgänge allerdings: Die Verteidigungsministerin hat nach Informationen der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“vor gut einer Woche angeordnet, den Vorwurf regelwidriger Nachverhandlungen beim Sturmgewehr zu prüfen.
Diese interne Prüfung wird nächste Woche zum Thema einer öffentlichen Diskussion. Dann nämlich befragt der Verteidigungsausschuss die Ministerin zu dem Fall. „Wir müssen die Lage rechtlich bewerten: Ist das Vergabeverfahren so sehr beschädigt, dass diese Fehler nicht mehr geheilt werden können?“, sagt Obmann Lindner. Klar ist schon jetzt: Angenehm wird die Fragerunde für Kramp-Karrenbauer wohl nicht.
Bodo Koch wird die Befragung verfolgen. Ganz aufgegeben hat der H&K-Chef die Hoffnung, dass sein Unternehmen bei dem Auftrag doch noch zum Zug kommt, nicht. „Wir sind der Ausrüster für die Bundeswehr für Handfeuerwaffen in ganz großen Bereichen und wollen es natürlich aus Prestigegründen auch bleiben“, sagt Koch. „Deswegen ist uns dieser Auftrag so wichtig.“
Und was sagt der Sensationssieger aus Suhl, der Underdog im Zwielicht? Haenel schweigt und reagiert nicht auf Fragen der „Schwäbischen Zeitung“. Auf der Homepage findet sich aber noch die Stellungnahme zum Überraschungscoup: Nach einem mehrjährigen anspruchsvollen Auswahlverfahren setzte sich das Haenel MK 556 in der Ausschreibung um das neue Sturmgewehr für die Bundeswehr gegen namhafte nationale und internationale Konkurrenz durch.