Infektion und Herkunft: „Das ist sehr vereinfacht und pauschalisiert“
Zum Artikel „Kontrollen sollen zweite Welle brechen“, der am Donnerstag erschienen ist, hat die Redaktion folgender Leserbrief erreicht:
Ich gehe mal davon aus, dass die Verteilung der Corona-Infizierten auf Bevölkerungsgruppen und Wohngebiete den Tuttlinger Gesundheitsbehörden und auch Herrn OB Beck schon längst bekannt sind. Nun wird ein Teil dieser Zahlen im gestrigen Artikel im Gränzbote genannt: nämlich die Verbindung von Infektion und Herkunft. Und das doch sehr vereinfacht und pauschalisiert: Unsere türkischstämmige Mitbevölkerung sei schuld an den hohen Infektionszahlen, weil sie weniger vorsichtig seien, den Infektionsschutz nicht begriffen, ihn vielleicht sogar ablehnen. Ich nehme an, dass dieses Corona-Vorurteil nicht empirisch belegt ist, dass keiner diese Menschen befragt hat. Dennoch hat man schnell einen beziehungsweise viele Schuldige gefunden.
Scheinbar hat in dieser Pandemie keiner Lust, nach den Gründen für die Gründe zu fragen. Auch in Tuttlingen nicht. Man ist damit beschäftigt, gefühlt täglich neue Maßnahmen zu finden, die in der Bevölkerung immer weniger Zustimmung und Verständnis finden.
Und das, obwohl inzwischen wohl hinreichend untersucht wurde, wie das Virus ins Land kam und sich ausgebreitet hat. Zusätzlich wurde in vielen Studien untersucht, wer letztendlich tatsächlich erkrankt, schwer erkrankt und auch verstirbt. Das hat mit Einkommen zu tun und damit zwangsläufig mit Platz, der einer Person zuhause zur Verfügung steht, um sich und andere durch Distanz vor Ansteckung zu schützen. Forscher nennen diese Lebensumstände „kontaminationsfördernd“.
Es ist ebenfalls bekannt, dass Migrationshintergrund und ökonomische Lage zusammen hängen. Es war auch vor Corona schon so, dass Gesundheit viel mit der finanziellen Situation einer Person zu tun hat. Wer in schwierigen finanziellen Verhältnissen lebt, der hat eines: nämlich Stress. Dauerstress. Und Dauerstress ist, neben engen Wohnungen, ein wesentliches Ansteckungsrisiko. Vereinfacht gesagt, ist der Körper unter Dauerstress für Viren leichter zugänglich. Egal ob Kontakte zurückgefahren werden und Kenntnisse der Hygiene- und Abstandsregeln vorhanden sind! All das ist nichts Neues, Covid-19 ist einfach ein weiterer Beleg dafür. Ändern an den Gründen für die Gründe wird sich dadurch aber rein gar nichts. Leider.
Sabine Weiß, Tuttlingen