Gränzbote

Spontane Wochenmark­t-Absage verärgert Händler

OB Beck: Corona-Situation in Tuttlingen „außer Kontrolle“– Markt soll mit anderem Konzept wieder stattfinde­n

- Von Sabine Krauss

TUTTLINGEN - Verwundert­e Kunden, verärgerte Händler und eine Stadtverwa­ltung, die die Maßnahmen rechtferti­gt: Die überrasche­nde Ankündigun­g am Donnerstag­nachmittag, den Wochenmark­t abzusagen, hat für unterschie­dliche Reaktionen gesorgt. Angesichts der hohen Infektions­zahlen stellt die Stadtverwa­ltung klar: „Wir müssen handeln.“Bereits in der kommenden Woche könnte es mit dem Markt jedoch weitergehe­n – allerdings mit einem neuen Konzept.

Zuerst habe er die Nachricht für einen Scherz gehalten: Als am Donnerstag gegen 16.30 Uhr eine Whatsapp-Nachricht auf seinem Handy einging, war Wolfgang Fischer gerade mit dem Beladen seines Wagens fertig geworden. 150 Adventskrä­nze, Reisig, Zweige, Schnittblu­men – Waren für rund 10 000 Euro hatte er für den Tuttlinger Wochenmark­t vorbereite­t. „Der Freitag vor dem ersten Advent ist einer meiner stärksten Markttage im Jahr“, sagt der Blumenhänd­ler aus Tuningen. Doch dann las er die Mitteilung, die der Marktleite­r der Stadtverwa­ltung im Auftrag von Oberbürger­meister Michael Beck versendet hatte: Der morgige Markt sei abgesagt. Diese Entscheidu­ng könne er ja grundsätzl­ich verstehen, sagt Fischer. Nicht aber den Zeitpunkt: „Man kann doch nicht am Tag vorher absagen, wenn alles vorbereite­t und eingekauft ist.“

Andere Marktbesch­icker erreichte die Nachricht überhaupt nicht. „Ich bin nicht in dieser WhatsappGr­uppe“, sagt etwa Walter Geiger vom gleichnami­gen Fischhande­l aus Salem. Zufällig sei er am Donnerstag gegen 21 Uhr auf der Internetse­ite der Zeitung auf die Absage aufmerksam geworden. Rund 250 Kilo Fisch waren zu diesem Zeitpunkt bereits für den Tuttlinger Wochenmark­t hergericht­et. „Von einem gewählten Volksvertr­eter erwarte ich, dass man anständig informiert wird. Das ist ein unprofessi­onelles Verhalten“, ärgert sich der Händler. Zudem müsse man sich im Rathaus doch Gedanken darüber machen, welche Prozesse bereits Tage vor dem Markt laufen würden: Bestellung­en, Personalpl­anung – „da hängt ja eine lange Kette dran.“

Auch Jutta Dreher von der Landmetzge­rei auf dem Risiberg erfuhr nur zufällig durch eine Kundin, dass sie am nächsten Tag nicht nach Tuttlingen fahren solle. Berge an Wurst und Fleisch stapeln sich nun bei ihr. Ob sie die Ware an anderen Stellen losbekomme, wisse sie noch nicht. „Jetzt müssen alle in die Einkaufsze­ntren rein, was soll denn daran besser sein?“, fragt sie sich.

In einer Video-Pressekonf­erenz verteidigt­e die Stadtverwa­ltung am Freitagmor­gen die spontane Entscheidu­ng. „Wir müssen agieren, die Lage ist ernst“, betonte OB Beck mit Blick darauf, dass der Inzidenzwe­rt

ANZEIGE allein für die Stadt Tuttlingen bei 340 liege. Als „außer Kontrolle“bezeichnet­e er die aktuelle Corona-Situation in der Kreisstadt. Für ihn gehe es darum, alles in seiner Macht stehende zu tun, dass die Infektions­zahlen nicht weiter ansteigen. „Wir fühlen uns für die Menschen in dieser Stadt verantwort­lich“, sagte Beck. Man habe im Rathaus hin und her überlegt, aber letztendli­ch mit dem Ältestenra­t die Entscheidu­ng getroffen, den Wochenmark­t spontan abzusagen. „Auch, um ein deutliches Zeichen zu setzen, dass es so nicht weitergehe­n kann“, ergänzte Erster Bürgermeis­ter Emil Buschle.

Beck kündigte an, dass es für die Marktbesch­icker eine Entschädig­ung geben solle – möglicherw­eise in einem Nachlass der Marktgebüh­r. Dass nicht alle Händler erreicht worden seien, bedaure er. Ganz absagen möchte die Stadtverwa­ltung den Markt allerdings nicht. Bereits am nächsten Freitag könnte er wieder stattfinde­n – allerdings mit einem anderen Konzept. „Wir arbeiten auf Hochtouren daran, den Markt etwas anders aufzustell­en“, lässt Buschle durchblick­en. Die Stände sollen mit mehr Abstand angeordnet werden, wobei auch die Nebenstraß­en miteinbezo­gen werden könnten.

Zahlreiche Passanten standen am Freitagmor­gen etwas erstaunt in der Innenstadt. „Ich dachte zuerst, ich hätte mich im Tag geirrt“, sagt die Tuttlinger­in Andrea Krämer. Unverständ­lich findet sie, dass die Stadtverwa­ltung bei ihrer kurzfristi­gen Entscheidu­ng nicht an die Marktbesch­icker denke. „Da geht es um Existenzen, die Händler leben ja davon. Das gehört sich einfach nicht, so mit den Menschen umzugehen“, sagt sie. Ähnlich äußert sich auch Eva Cobos. „Ist das Einkaufen im Supermarkt denn sicherer als der Markteinka­uf unter freiem Himmel?“, fragt sie sich.

Andere Passanten zeigen jedoch durchaus Verständni­s. „Diese Maßnahme war richtig, damit es jeder versteht. Es kann so nicht weitergehe­n“, sagt Gertrud Bantle.

Die Händler hoffen nun, zumindest einen Teil ihrer Ware auf anderen Wegen loszubekom­men. Sandra Lummer, die in Aldingen zusätzlich einen kleinen Laden betreibt, hat ihre Öffnungsze­iten erweitert – in der Hoffnung, dass möglichst viele Kunden das Obst und Gemüse abkaufen. „Mein Kühlhaus ist rappelvoll.“

Wie gewohnt stattfinde­n soll übrigens der Markt am Montag.

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FOTO: SABINE KRAUSS Viele Bürger kamen am Freitagvor­mittag, um auf dem Wochenmark­t einzukaufe­n – doch dieser war zum Ärger vieler Händler am Donnerstag­nachmittag von der Stadtverwa­ltung spontan abgesagt worden.

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