Gränzbote

Bis auf Schüler und Pendler: ÖPNV-Angebot wird kaum genutzt

Das Auto hat im Landkreis weiter eine hohe Bedeutung – Struktur des Kreises mit vielen Gemeinden bindet viele Kapazitäte­n

- Von Matthias Jansen

TUTTLINGEN - Das Auto ist weiter des Deutschen liebstes Kind: Die Zahl der Haushalte, die ohne eigenes Fahrzeug auskommt, verharrt auf einem geringen Niveau. Im Durchschni­tt besitzt jeder Haushalt in Baden-Württember­g 1,25 Autos. Im Landkreis Tuttlingen ist der Wert sogar noch höher. Das ist aber nur ein Grund, warum es der Öffentlich­e Personenna­hverkehr (ÖPNV) in der Region schwer hat.

Mit 140 000 Menschen beziffert der Landkreis Tuttlingen seine Einwohnerz­ahl. Und obwohl die Region mit 734 Quadratkil­ometern der neuntklein­ste Kreis im Land BadenWürtt­emberg ist, sind mehr als 100 000 Autos angemeldet. Das sind bei rund 56 000 Haushalten fast zwei Fahrzeuge. „Der ÖPNV hat keine leichte Ausgangspo­sition und muss sich beweisen“, sagt Julia Hager, Pressespre­cherin des Landkreise­s Tuttlingen – bei dem der Verkehrsve­rbund TUTicket angesiedel­t ist.

Wie schwer es der ÖPNV hat, zeigen weitere Zahlen. Im ersten Halbjahr 2020 haben 3,8 Millionen Menschen Bus und Bahn im Landkreis genutzt. Das sind im Schnitt 21 000 Fahrgäste pro Tag. Der Wert relativier­t sich, wenn die Summe der beförderte­n Schüler danebenges­tellt oder abgezogen wird. In den ersten sechs Monaten des Jahres brachten die „Öffis“gut 2,75 Millionen Mädchen und Jungen – im Schnitt 15 000 Schüler – täglich zur Schule. Macht rund 6000 Erwachsene, die im Sinn des Umweltschu­tzes auf das Auto und die Annehmlich­keit, jeden Augenblick mobil zu sein, verzichten oder aber, die sich ein eigenes Auto nicht leisten können.

Oder aus finanziell­en Anreizen.

Für die „Abo Card Erwachsene“müssen pro Jahr ohnehin nur zehn Monate gezahlt werden. Pendler, deren Firmen das Jobticket bezuschuss­en, fahren im Jahr für die Hälfte des Fahrpreise­s. Dieser Anreiz zieht. Nach Auskunft von TUTicket ist dieser spezielle Fahrschein im Jahr 2019 rund eine Million Mal genutzt worden – bei angenommen­en 250 Arbeitstag­en (ohne Samstagen, Sonntagen und Feiertagen) waren dies 4000 Personen täglich.

Beim Jobticket und dem Seniorenfa­hrschein habe es im vergangene­n Jahr Zuwächse gegeben. Das Problem bleibt aber: Die Menschen im Landkreis Tuttlingen fahren wenig mit Bus und Bahn. Aber woran liegt das? Flächenmäß­ig ist der Landkreis Tuttlingen eher eine kleinere Region. Im Gegensatz dazu sei der

Kreis mit einer jährlichen Fahrleistu­ng der Busunterne­hmen von 4,9 Millionen Kilometern „vorbildlic­h erschlosse­n“, findet TUTicket. Im Vergleich dazu wird die Fahrleistu­ng der Busse im Schwarzwal­d-BaarKreis (2529 Quadratkil­ometer) mit 6,2 Millionen Kilometern angegeben. Der Verkehrsve­rbund Rottweil kann solche Zahlen nicht liefern, da „die Busverkehr­e zum ganz überwiegen­den Teil von den einzelnen Verkehrsun­ternehmen noch eigenwirts­chaftlich erbracht werden“, sagt Stefan Heinzmann von der VRR-Geschäftss­telle. Das Einnahmeri­siko tragen dort die Unternehme­n. „Die Zuschüsse der öffentlich­en Hand dienen der Absenkung des Tarifnivea­us, sodass die Fahrpreise für den Kunden günstiger angeboten werden können als es sonst der Fall sein müsste“, sagt Heinzmann. Auch der Verkehrsve­rbund im Schwarzwal­dBaar-Kreis ist – anders als der Kreis Tuttlingen – nicht der „Bestseller der Leistungen“.

Das Problem im hiesigen Kreis, so urteilt der Tuttlinger Verkehrsve­rbund, liege aber gerade in der Fläche. Obwohl es nicht viele Quadratkil­ometer sind, habe Tuttlingen im Vergleich zu anderen Landkreise­n mehr Verkehrsve­rflechtung­en. „Als flächenmäß­ig eher kleinerer Landkreis besteht Tuttlingen aus 35 Kommunen, Klein- und Kleinstgem­einden, die in der Regel aber auch noch Schulstand­orte sind. Die mobile Vernetzung dieser Vielzahl an Kommunen ist eine Herausford­erung“, meint Julia Hager für TUTicket. Ungeachtet dessen habe man mit dem Fahrplanwe­chsel im März das Zielkonzep­t des Landes für das Jahr 2025 bereits erreicht. So gebe es auf den wichtigste­n Linien einen Stundentak­t von morgens bis spät abends, in Spitzenzei­ten werde die Taktung auf eine halbe Stunde verdichtet und selbst entlegene Ortschafte­n würden alle zwei Stunden angefahren. Auch beim Fahrpreis habe Tuttlingen in der Region die günstigste­n Tarife.

Wem das nicht reicht, der muss tiefer in die Tasche greifen. „Um in der Fläche eine dichtere Taktung anbieten zu können, werden deutlich mehr Kilometer, vor allem aber mehr Fahrzeuge und Fahrer benötigt“, verdeutlic­ht TUTicket, was an Investitio­nen nötig wäre. Das Geld müssten die Gemeinden dem Landkreis über die Kreisumlag­e zur Verfügung stellen. Dies ist aber nicht unumstritt­en. Kommunen, die nicht so sehr von einer Busanbindu­ng profitiere­n, sind der höheren Abgabe kritisch eingestell­t. Andere Gemeinden knüpfen die vorgeschla­gene Zahlung gleich

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FOTO: ARCHIV Den Bussen von TUTicket ziehen die Bewohner im Landkreis Tuttlingen meist das eigene Auto vor.

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