OB Beck warnt vor Ausgangssperre
Corona: Inzidenz-Wert steigt auf über 400 in der Stadt – Montagszahlen auffallend niedrig
Die Corona-Zahlen in der Stadt Tuttlingen steigen auf ein neues Rekordhoch.
TUTTLINGEN - Der Neuzugang der Corona-Infektionen in Tuttlingen hat einen neuen Rekordwert erreicht. Am Montagmorgen lag die Sieben-Tages-Inzidenz für das Stadtgebiet bei 416,4 Fällen pro 100 000 Einwohner. Kreisweit beträgt der Inzidenzwert Stand 1. Dezember 274,9. Der Tuttlinger Oberbürgermeister Michael Beck fordert vor diesem Hintergrund die Bürger dringend dazu auf, sich an Abstandsregeln und Kontaktsperren zu halten. „Im schlimmsten Fall droht uns eine Ausgangssperre“, teilt der Oberbürgermeister mit.
Die Zahl der Neuinfizierten am Montag liegt landkreisweit mit sieben Personen vergleichsweise niedrig – vergangene Woche wurden an mehreren Tage über 80 neue Fälle gemeldet. Ein Grund zum Durchatmen sei das aber nicht, sagt Landratsamts-Sprecherin Julia Hager. „Ich möchte das noch nicht kommentieren.“Denn über das Wochenende werde weniger getestet, auch die Wochen zuvor sei die Zahl der Neuinfektionen am Montag und Dienstag oft eingebrochen. „Doch am Mittwoch haben wir dann den Hammer bekommen“, so Hager. Also heißt es jetzt erst mal abwarten und die Daten der kommenden Tage genau analysieren.
Im sächsischen Landkreis Görlitz oder im bayerischen Passau ist es bereits so weit. Nachdem die Inzidenz dort Werte deutlich jenseits der 400 erreicht hatte, verhängten die Behörden Ausgangssperren. Das heißt: Die Wohnung darf nur noch verlassen, wer einen triftigen Grund hat.
Für Tuttlingen möchte OB Michael Beck das verhindern. „Ein solches Szenario droht uns aber auch“, so der OB. Laut Stadt-Pressesprecher Arno Specht schaue man in der Verwaltung fassungslos auf die stetig steigenden Corona-Zahlen. Am Montagvormittag lagen die aktuellen Werte für das Stadtgebiet Tuttlingen samt Ortsteilen bei 416,4. Ende vergangener Woche waren es noch rund 340 gewesen. „Wir müssen alles tun, um diesen Trend zu brechen“, so der OB. Das gehe nur, wenn alle mitziehen würden.
Mit amtlichen Maßnahmen alleine lasse sich das Ziel nicht erreichen. Zwar könne die Stadt die Maskenpflicht in der Öffentlichkeit oder in Geschäften kontrollieren, auf das Geschehen in privaten Wohnungen habe man hingegen keinen Einfluss. „Wir können nicht kontrollieren, wie viele Menschen aus wie vielen Haushalten irgendwo im Wohnzimmer sitzen“, so der OB. Denn die Unverletzlichkeit der Wohnung sei ein hohes Gut, erklärt Arno Specht. Der Kommunale Ordnungsdienst (KOD) habe keine Befugnisse, privaten Wohnraum zu kontrollieren, selbst wenn Hinweise auf Verstöße vorlägen. Specht: „Das ist dann Sache der Polizei.“Daher appelliert die Stadtverwaltung an die Vernunft der Menschen: „Meiden Sie Kontakte, soweit es geht – sonst kriegen wir die Lage nicht mehr in den Griff.“
Fünf der neu auf Corona getesteten Menschen vom Montag sind aus Tuttlingen, darunter ist ein Fall aus einem Pflegeheim. Die anderen zwei kommen aus Rietheim-Weilheim und Spaichingen. Mit einer Altersspanne zwischen 18 und 56 Jahren treffen die Neuinfektionen mit Ausnahme des Pflegeheimbewohners Menschen in der Mitte des Lebens. Zwei weitere Todesopfer sind im Zusammenhang mit Corona zu beklagen: Beide sind laut Julia Hager hochbetagt gewesen und hätten in Pflegeeinrichtungen im Landkreis gelebt, wo sie auch gestorben seien. 20 Corona-Patienten sind momentan im Kreisklinikum in Tuttlingen, zwei davon werden auf der Intensivstation beatmet.
Vor dem Hintergrund des hohen Inzidenzwerts – der Landkreis Tuttlingen liegt damit auf Platz eins in Baden-Württemberg – verteidigt der Tuttlinger OB auch die kurzfristige Absage des Wochenmarkts am Freitag. „Mir war bewusst, dass wir dafür nicht gelobt werden – und so war es dann auch“, teilt er mit. Das Wochenende über seien kritische bis wütende Mails bei ihm eingegangen. „Wir versuchen, das so gut wie möglich zu regeln, aber wir sind auch nicht unfehlbar“, sagte der OB am Montag im Verwaltungs- und Finanzausschuss des Gemeinderats. Und: „Hinterher weiß man’s immer besser.“
Über Facebook und per WhatsApp haben Marktbestücker, die die kurzfristige Absage des Markts am Donnerstagnachmittag nicht mitbekommen haben, Gemüsekisten, frisches Brot und andere Backwaren zur Abholung an ihren Hof- oder Verkaufsstellen angeboten, weil sie sonst auf den Waren sitzengeblieben wären. Die Stadtverwaltung hatte angekündigt, dass man den Händlern finanziell entgegenkommen würde, zum Beispiel über einen Erlass der Marktgebühren. „Wir haben noch keine endgültige Lösung gefunden, sind da aber dran“, teilt der StadtSprecher mit.
Mittlerweile sei man in Tuttlingen in einer Lage, in der nur noch drastische Schritte helfen würden – auch, um die Menschen aufzurütteln. „Daher war die Absage des Marktes nur konsequent“, so der OB, zumal dies ein Bereich sei, in dem die Stadt alleine entscheiden könne. „Mir ist bewusst, dass es sicher Bereiche gibt, die vom Infektionsgeschehen her riskanter sind“, räumt Beck ein. „Aber als Stadt können wir weder Kirchen und Glaubensgemeinschaften schließen noch die Zahl der Busse und Züge von heute auf morgen drastisch steigern.“Solche Entscheidungen, auch die einer Ausgangssperre, oblägen der Landkreisverwaltung in Absprache mit dem Sozialministerium, sagt Arno Specht. Eine entsprechende Handlungs-Aufforderung des OB an die Adresse des Landratsamts habe es bislang nicht gegeben, teilt Specht mit. Auch gebe es keinen bindenden Richtwert, ab welcher Inzidenz Ausgangssperren eingeführt werden müssten.
Landrat Stefan Bär hatte Verbote wie Ausgangssperren bislang immer abgelehnt, angekündigt wurde aber eine Allgemeinverfügung zur Ausweitung der Maskenpflicht, zum Beispiel auf Supermarktparkplätzen (wir berichteten).
„Ich hoffe, dass es bald alle begreifen, in was für einer Lage wir sind“, so Beck. Noch sei dies leider nicht der Fall. „Wenn ich bei Facebook dann lese, dass die Lautsprecherfahrten der Feuerwehr als Panikmache oder Verdummung bezeichnet werden, macht es mich wütend.“Manche würden den Ernst der Lage vermutlich erst begreifen, wenn sie selbst auf der Intensivstation liegen oder am Grab eines Angehörigen stehen würden, fügt er an.