Streit um die „Landshut“hält an
Wie Grüne und CDU die Versorgung mit Medizinern sicherstellen wollen
BERLIN/FRIEDRICHSHAFEN (sz) Neue Variante in Sachen „Landshut“: Kulturstaatssekretärin Monika Grütters (CDU) hat sich im „Spiegel“gegen Friedrichshafen als Standort für das Flugzeug ausgesprochen und stattdessen Hangelar in NordrheinWestfalen vorgeschlagen. Die Entscheidung des Bundestages, 15 Millionen Euro für ein Museum am Bodensee zu bewilligen, nannte sie „bizarr“. In der Bundesregierung gebe es „niemanden, der den Akteuren dort zutraut, so ein wichtiges Projekt auf Dauer zu stemmen“.
STUTTGART - Jeder dritte Hausarzt in Baden-Württemberg ist älter als 60 Jahre. Immer weniger Jungärzte rücken nach, die Versorgungslücken wachsen laut Kassenärztlicher Vereinigung. Die CDU-Fraktion will dem Mangel mit einer Landarztquote für das Medizinstudium begegnen – und hat lange darüber mit dem grünen Koalitionspartner gestritten. Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) hat nun die Regeln für eine Quote festgelegt. Am kommenden Dienstag sollen seine Ministerkollegen seiner Kabinettsvorlage zustimmen, dann kann das Gesetz in den Landtag eingebracht werden. Beide Papiere liegen der „Schwäbischen Zeitung“vor. Das Wichtigste im Überblick:
Wie genau ist die Landarztquote geregelt?
Zum Wintersemester 2021/2022 soll es 75 neue Studienplätze im Land geben, die für künftige Landärzte reserviert sind. Ziel dabei ist es, motivierte Bewerber anzusprechen, die über das herkömmliche Auswahlverfahren wenig Chancen auf einen Medizin-Studienplatz haben. Sie müssen also kein Einser-Abitur vorweisen.
Wie werden Bewerber ausgewählt?
Zunächst müssen sie an einen „fachspezifischen Studieneignungstest“teilnehmen. Das könnte der Test für Medizinische Studiengänge, der sogenannte Medizinertest sein. Den muss jeder ablegen, der sich für einen Medizin-Studienplatz bewirbt. Vielleicht wird aber auch ein eigener Test entwickelt. Die Bewerber müssen zudem Erfahrung mitbringen, die ihr Engagement in diesem Bereich belegen soll. Relevant hierfür ist eine Berufsausbildung in einem Gesundheitsberuf – etwa als Pfleger –, sowie eine Tätigkeit in diesem Beruf. Gute Karten haben zudem diejenigen, die mindestens ein Jahr im Bundesfreiwilligendienst oder im Jugendfreiwilligendienst, oder mindestens zwei Jahre ehrenamtlich im Gesundheitssektor tätig waren. Anhand dieser Kriterien wird eine Rangfolge der Bewerber erstellt. Für die 75 Studienplätze werden dann mindestens 150 Bewerber zu einem Auswahlgespräch eingeladen. Dabei sollen die „Studien- und Berufserfolgsprognosen, insbesondere auch die sozialen und kommunika-tiven Kompetenzen und Motivation für eine spätere hausärztliche Tätigkeit, erhoben werden“, wie es in der Kabinettsvorlage heißt.
Wozu verpflichten sich die angehenden Landärzte?
Die erfolgreichen Bewerber müssen einen Vertrag mit dem Land abschließen? Darin verpflichten sie sich, an das Studium direkt eine Facharzt-Ausbildung anzuschließen, die es ihnen ermöglicht, anschließend als Hausarzt zu praktizieren. Haben sie diese Weiterbildung abgeschlossen, müssen sie sofort mindestens zehn Jahre in einem unterversorgten Gebiet in BadenWürttemberg als Hausarzt arbeiten.
Werden die Ärzte dann garantiert auf dem Land praktizieren?
Nein. Sie können in allen Gebieten mit Ärztemangel arbeiten – also auch in einer größeren Stadt. Wann ein Bezirk als unterversorgt oder von Unterversorgung bedroht gilt, ist bundesweit gesetzlich geregelt. Das Sozialministerium weist solche Gebiete aus – und stützt sich dabei auf fortlaufende Prognosen der Kassenärztlichen Vereinigung BadenWürttemberg. Treffender als der Begriff Landarztquote wäre also Hausarztquote.
Was passiert, wenn die Ärzte ihren Vertrag brechen?
Dann wird es teuer: Die Vertragsstrafe beträgt bis zu 250 000 Euro.
Wer kontrolliert das?
Am Regierungspräsidium Stuttgart soll hierfür eine Stelle mit neun Mitarbeitern eingerichtet werden. Sie sind für die Bewerbungsverfahren zuständig und kontrollieren über Jahrzehnte hinweg, dass die Verträge eingehalten werden.
Was kostet das Ganze?
Das Sozialministerium rechnet mit rund 1,6 Millionen Euro 2021 und anschließend mit jährlich etwa 1,2 Millionen Euro. Die höheren Kosten im ersten Jahr fielen an, weil einmalig die Büros ausgestattet werden müssten – auch mit IT – sowie das Auswahlverfahren entwickelt werden müsse. Allein hierfür fielen 230 000 Euro an. Insgesamt werden allein zur Verwaltung der 75 Studienplätze 11,25 Stellen neu geschaffen: die neun am Regierungspräsidium Stuttgart sowie 2,25 weitere in Ministerien und den Medizinischen Fakultäten.
Ist das ein Alleingang von BadenWürttemberg?
Nein, andere Länder sind schon weiter und haben ähnliche Regelungen getroffen – darunter NordrheinWestfalen, Rheinland-Pfalz und Bayern. Überall haben die ersten angehenden Landärzte bereits über eine Quote ihr Studium begonnen.
Wird dadurch der Ärztemangel abgemildert?
An dieser Frage scheiden sich die Geister. Die CDU-Fraktion im Stuttgarter Landtag ist begeistert – sie war Treiber der Landarztquote. „Die Ergebnisse der Anhörung sowie die bisherigen Erfahrungen in anderen Bundesländern bestärken uns in unserer Überzeugung, dass die Landarztquote funktioniert, dass die zusätzlichen Medizinstudienplätze auf diesem Weg auch tatsächlich in der Fläche ankommen werden“, betont CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart. Die Grünen halten die Quote für keine sinnvolle Maßnahme. „Ich bin nach wie vor skeptisch, dass dieses Instrument am Ende greift“, hatte Wissenschaftsministerin Theresia Bauer im Sommer betont. Sie setzt vielmehr darauf, den Stellenwert der Allgemeinmedizim im regulären Studium zu stärken. Dafür plädieren auch Wissenschaftler, die eine Abwertung des Hausarzt-Berufes befürchten, wenn dieser per Quote verordnet werde. Zudem weisen Kritiker aus Ärzteschaft und Studierendenvertreter darauf hin, dass es mehr als ein Jahrzehnt dauere, bis die ausgebildeten Mediziner in den Praxen ankämen. Am Anfang des Studiums sei es zudem viel zu früh, eine so weitreichende Entscheidung zu treffen.