Der Rettungsschirm gegen Krisen
Was die Reform des Europäischen Stabilitätsmechanismus bedeutet
BRÜSSEL - EU-Erfolgsmeldungen sind in Coronazeiten Mangelware. Umso stolzer präsentierte Olaf Scholz die Montagabend erzielte Einigung auf eine Reform des Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM. „Es gibt Entscheidungen, insbesondere auf EU-Ebene, die klingen so technisch, dass man ihre politische Wirkung zunächst schwer erkennt“, räumte der für die deutsche Ratspräsidentschaft sprechende deutsche Finanzminister ein. Es gehe im Kern darum, die „Eurozone noch robuster gegenüber den Attacken von Spekulanten“zu machen.
Wie entstand der ESM?
Das Instrument wurde als Reaktion auf die Weltfinanzkrise gegründet, bei der viele Banken in Schieflage gerieten und einige Insolvenz anmelden mussten. Es löste 2012 den zwei Jahre zuvor gegründeten temporären Eurorettungsschirm EFSF ab. Dieser hatte mit günstigen Hilfskrediten an die besonders stark betroffenen Länder Portugal, Irland und Griechenland deren Zahlungsunfähigkeit abgewendet. Während der EFSF als privatrechtliche Kapitalgesellschaft aufgebaut war, ist der ESM eine internationale Finanzinstitution, deren Mitglieder die 19 EU-Staaten mit Eurowährung sind. Da die Grundlage ein völkerrechtlicher Vertrag ist, gehört der ESM nicht zu den EU-Instrumenten und unterliegt nicht der Aufsicht der EU-Kommission.
Was ist seine Aufgabe?
Er soll der globalen Finanzwelt deutlich machen, dass die Mitglieder der Eurozone in Krisenzeiten zusammenstehen und alles tun, um ihre Währung zu retten. In Schieflage geratene Staaten erhalten günstige Kredite – allerdings nur gegen Reformauflagen. Im Topf sind 80,5 Milliarden Euro, für weitere 624,5 Milliarden Euro haben die Mitgliedsstaaten Garantien abgegeben.
Im Ernstfall steht also eine „Feuerkraft“von 705 Milliarden Euro bereit. Davon trägt Deutschland mit 21,7 Millarden Euro Einzahlung und 168,3 Milliarden Euro Garantien den Löwenanteil. Mit diesen Sicherheiten im Rücken erhält der ESM auf dem Kapitalmarkt Geld zu sehr günstigen Zinsen, das er bei Bedarf an Länder mit geringerer Kreditwürdigkeit weiterreichen kann.
Warum muss der Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) reformiert werden?
Schon im Dezember 2013, da war der ESM knapp zwei Jahre alt, einigten sich die Euroländer im Grundsatz auf eine Weiterentwicklung.
Lange blockierte aber Italien jede Änderung, da der ESM dort als Brüsseler Einmischung in die nationale Budgethoheit verschrieen ist. Der ESM soll „präventiver“tätig werden, also ein Land „vorsorglich“unterstützen dürfen, das noch keine akuten Refinanzierungsprobleme hat. Vor allem aber sollte seine Funktion so erweitert werden, dass er als Rückversicherung (Backstop) für den Bankenabwicklungsfonds SRF eingesetzt werden kann. Auch hier steht wieder die psychologische Abschreckungswirkung im Vordergrund. Die Botschaft soll lauten: Auf der Weltfinanzbühne kann geschehen, was wolle, auch Banken in der Eurozone können pleite gehen – die gemeinsame Währung aber ist stets abgesichert.
Was genau ist der „Backstop“?
Banken sollen nicht mehr um jeden Preis und zu Lasten der Steuerzahler gerettet werden, wie es in der Bankenkrise geschah. Für die entstehenden Kosten kommt der Abwicklungsfonds SRF auf, den die europäischen Banken gemeinsam füllen sollen. Von den angestrebten 55 Milliarden Euro sind bisher 47 Milliarden zusammengekommen. Der ESM gibt künftig eine Kreditgarantie
für den Fall, dass die angesparten Mittel nicht ausreichen. Platzt dieser Kredit, stehen am Ende doch wieder die Steuerzahler der Euroländer dafür gerade. Allerdings sind so viele Stufen vorgeschaltet, dass der Fall vermutlich niemals eintreten dürfte.
Warum soll er früher in Kraft treten?
Ursprünglich war der Start für Januar 2024 geplant, wenn der SRF komplett gefüllt sein wird. In ihrer Schlusserklärung bezeichnen die Finanzminister den Backstop als „finanzielles Sicherheitsnetz für Bankenabwicklungen in der Bankenunion“.
In wirtschaftlich so unsicheren Zeiten wie der aktuellen Pandemie steigt wohl das Bedürfnis nach derartigen Zusatzversicherungen. Außerdem betonen die Minister, dass der aktuelle Risikobericht von EUKommission, Europäischer Zentralbank und Bankenabwicklungsagentur zeige, dass sich die Bankenrisiken deutlich verringert hätten. Der Anteil an faulen Krediten sei weiter zurückgegangen. Deutschland war lange dagegen, den Zeitplan zu straffen. Die Kreditlinie wird aber erst freigegeben, wenn eine Mehrheit zusammenkommt, hinter der 80 Prozent des im ESM gebundenen Kapitals stehen. Damit hat Deutschland praktisch ein Vetorecht und kann Kredite an den SRF blockieren.
Ist die Eurozone jetzt gewappnet?
Die zugrunde liegende Botschaft lautet, dass die ganze Konstruktion so stabil ist, dass Rückversicherungen ohnehin nicht gebraucht werden. Die Eurominister räumen allerdings ein, dass „einige Schwächen bleiben, was sich in den noch immer zu hohen Problemkrediten widerspiegelt“.
Sven Giegold, finanzpolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament, hält den Bankenabwicklungsfonds für zu klein, falls mehrere Banken gleichzeitig in Schieflage geraten sollten. Auch der Backstop sei nicht schlagkräftig genug, zumal er durch ein deutsches Veto jederzeit blockiert werden könne. „Im Ernstfall werden die Finanzmärkte so weiter auf die Pleite von Banken wetten. Für ein echtes Bekenntnis zur Bankenunion fehlte vor allem Deutschland der Mut“, so Giegolds wenig ermutigendes Urteil. Für eine mögliche Corona-Bankenkrise sei die Eurozone nicht gewappnet.