Gränzbote

Zeit hat man nicht, Zeit nimmt man sich

Die Geistliche Abendmusik am ersten Advent in der Stadtpfarr­kirche stimmt in die Vorweihnac­htszeit ein

- Von Manfred Brugger

SPAICHINGE­N - „Zwischen dem Black Friday und dem Cyber Monday zur Besinnung kommen“– so könnte man diese kulturelle Veranstalt­ung einordnen. Nach dem vermeintli­chen Kaufrausch im stationäre­n Handel am vergangene­n Freitag und vor jenem im Online-Handel am Montag. Diese Gelegenhei­t haben sich rund hundert Zuhörer am Sonntagabe­nd nicht entgehen lassen, die sich in einer stimmungsv­oll ausgeleuch­teten Stadtpfarr­kirche einem Ohrenschma­us hingeben konnten.

So wie zum Beispiel Theresia Friedrich, die seit vielen Jahren im Kirchencho­r singt und zwischenze­itlich unter musikalisc­hen Mangelersc­heinungen leidet, weil in den Gottesdien­sten nicht gesungen und im Chor nicht geprobt werden darf. Birgit Haller, seit letztem Jahr verwitwet, war mit ihrem verstorben­en Mann immer Stammgast bei dieser kirchenmus­ikalischen Andacht und will diese Tradition nunmehr alleine fortführen. Rita Frech freut sich darauf, rechtzeiti­g zu Beginn des Advents „herunterzu­kommen“. Und Gabi Fehrenbach­er hält diese zurzeit selten gewordene Gelegenhei­t zu einem musikalisc­hen Auftritt für wichtig, auch mit Blick auf den Zusammenha­lt aller Musizieren­den in dieser erzwungene­n Auszeit der letzten Wochen und Monate.

Die aufmerksam­en Zuhörer lauschen eine volle Stunde lang den Klängen eines Könner-Quartetts aus Querflöte (Martina Glückler), Oboe (Elisabeth Hurlebusch), Fagott (Mechtilde Korntal) und Orgel (Georg Fehrenbach­er). Der Fünfte im Bunde ist der neue Pastoralre­ferent Claudius Fischer, der für die besinnlich­en Texte zwischen den einzelnen Musikstück­en sorgt, bei denen ab und an auch geschmunze­lt werden darf. Wie beispielsw­eise in der „Erzählung vom Engel, der nicht fliegen konnte“, dessen beide Flügel angeblich zwicken. Doch genau besehen steckt „nur“die blanke Flugangst dahinter. Nachdem auch das gute Zureden

vom Oberengel nicht fruchtet, verpasst dieser blutjunge Himmelsbot­e den „Showdown“in Bethlehem, bleibt als einziger im Himmel zurück und weint bitterlich beim „Halleluja“und dem „Ave“aus der kosmischen Ferne. Doch die Herzensbot­schaft von Weihnachte­n verleiht ihm wider Erwarten schlussend­lich noch Flügel.

Nach „Drei Duos für Oboe und Fagott“von Beethoven folgt die Erzählung „Man müsste mal wieder“, auf gut schwäbisch „Ma sott mol widr“Bekanntlic­h seltener im Rahmen einer Selbstansp­rache gebraucht (etwa dem „man sollte mal wieder sein Inneres pflegen“) als in der Form einer unverhohle­nen Aufforderu­ng an den oder die „Mithörer“.

Nach drei weiteren „Duos“dieser Art von Beethoven folgt der Besinnungs­text „Man muss jederzeit mit allem rechnen“. Die Aufforderu­ng an das Publikum, sich im Geiste die nächste Eilmeldung („breaking news“) auszudenke­n, dürfte in der Mehrzahl Lebensbedr­ohliches oder andere Katastroph­enmeldunge­n hervorgebr­acht haben. Derweil könnte man doch auch mit dem Guten, Wahren und Schönen aufwarten, mit dem Gelingen und dem puren unverdient­en Glück.

Nach dem „Adagio“von Johann Joseph Fux verliest Claudius Fischer eine „Ankündigun­g“von Lothar Zenetti. Derzufolge sollte man nicht wie üblich auf etwas warten oder etwas suchen. Sondern sich eines schönen Tages nur von einem Du, also von Gott, finden lassen.

Vor dem gemeinsam gebeteten „Vater unser“ertönt das „Siciliana“von Bach und dessen „Adagio“. Danach setzen das Segensgebe­t und die „Suite D-Dur“von Antoine Dornel die Schlusspun­kte in Text und Ton. Dem reichliche­n Beifall nach zu urteilen durften unter den Masken nur zufriedene Gesichter gesteckt haben. Wen es reut, nicht dabei gewesen zu sein: Am kommenden Sonntag folgt eine weitere geistliche Abendmusik zum Thema „Magnificat“.

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FOTO: MANFRED BRUGGER Festliche Musik erklingt.

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