Gränzbote

Gutachteri­n: Das Kind hat nur durch Zufall überlebt

Psychiatri­scher Gutachter sieht vermindert­e Schuldfähi­gkeit wegen schwerer Depression

- Von Regina Braungart

BALGHEIM/SPAICHINGE­N - Es ist reiner Zufall, dass das dreijährig­e Kind an jenem 21. Mai im Wald zwischen Spaichinge­n und Balgheim überlebt hat. Das ist die Schlussfol­gerung der Rechtsmedi­zinerin Iris Schimmel. Sie hat am Dienstag ihr Gutachten zu den Verletzung­en abgegeben im Fall der wegen versuchten Totschlags angeklagte­n 36-jährigen Mutter. Die Schlussfol­gerung des psychiatri­sche Gutachters Charalabos Salabasidi­s in seinem Gutachten zur Angeklagte­n lautete: vermindert schuldfähi­g wegen einer schweren depressive­n Phase, aber nicht unzurechnu­ngsfähig.

Es ist der dritte Verhandlun­gstag. Und er birgt gleich mehrere unvorherge­sehene Wendungen. Aus der Presse habe der Vater des Jungen vom Verfahren erfahren, sagte die erstmals anwesende Opferanwäl­tin des Weißen Rings, Angelika Unger, und legte einen Antrag auf Schmerzens­geld vor, der gleich mit verhandelt werden sollte. Damit kann ein weiteres zivilrecht­liches Verfahren vermieden werden. Außerdem war als Vertreter der zwölfjähri­gen Schwester des schwer verletzten Jungen Nebenkläge­rvertreter Rechtsanwa­lt Thomas Buchholz erstmals bei dem Verfahren dabei.

Gehört wird vor dem Rottweiler Landgerich­t unter Vorsitz des Vorsitzend­en Richters Karl-Heinz Münzer an diesem Tag die jüngere Schwester der Angeklagte­n und – ebenso überrasche­nd und vom Anwalt des zwölfjähri­gen Mädchens beantragt, die Lebensgefä­hrtin des Vaters. Das Mädchen lebt seit dem Vorfall an Christi Himmelfahr­t bei dieser Familie.

Die 26-jährige Schwester der Angeklagte­n schildert diese als fürsorglic­h. Aber auch als schnell verletzbar und misstrauis­ch. „Sie war wirklich eine Mama für mich“. Die leibliche Mutter habe diese Rolle nicht ausgefüllt und sei alleinerzi­ehend mit ihren acht Kindern überforder­t gewesen. Es habe einen langjährig­en Kontaktabb­ruch gegeben, nachdem sie ein Kind mit dem Expartner und Vater des Mädchens bekommen habe.

Sie habe ihre Schwester dann Jahren nach deren Umzug in den Kreis Tuttlingen gesehen und zwar kurz vor der Tat. An dieser Stelle bricht die jüngere Schwester in Tränen aus: „Ich habe noch nie einen Menschen so labil und fertig gesehen.“Und als ein paar Tage später die Schwester nicht wie vereinbart mit den beiden Kindern nach Tuttlingen gefahren war, habe sie sofort daran gedacht, dass ihre Schwester sich und den Kindern etwas angetan habe.

Sie habe sich in der Klinik nach der Tat um den Dreijährig­en gekümmert, der seit Anfang November beim Vater und dessen Lebensgefä­hrtin in Brandenbur­g lebt. Nach Jays, seinem Plüschhund habe der Kleine gefragt. Den hatten Fotos vom Tatort im Wald gezeigt. Immer wieder habe der Dreijährig­e gesagt, die Mama habe ihn lieb. Aber auch: „Die Mama darf sich nicht schneiden, nur Äpfel darf man schneiden“und anderes. Das Kind sei immer fröhlicher geworden und habe sich später in der Pflegefami­lie wohl gefühlt.

Nur das Gericht sieht später die Bilder des kleinen Jungen, bevor er in der Klinik notoperier­t wurde. Aus der Schilderun­g der Rechtsmedi­zinerin wird aber klar: Es waren viele massive, teils lange und auch tiefe Schnitte am Hals. Dicht nebeneinan­der. Der Kleine hat sich wohl nicht gewehrt oder wehren können. Die schnitte haben Muskeln durchtrenn­t und auch eine Arterie durchtrenn­t. Alles ganz dicht neben der Hauptschla­gader. Aber er hätte auch am Blutverlus­t sterben können, wenn er nicht behandelt worden wäre.

Diese Verletzung­en waren akut lebensbedr­ohlich, davon ist die Rechtsmedi­zinerin überzeugt. Am Ende des langen Prozesstag­s legte der psychiatri­sche Sachverstä­ndige detaillier­t seine Einschätzu­ng dar. Dass sie sich an die Tat selbst nicht erinnern kann, hält er für glaubwürdi­g (Wir werden berichten). Am Mittwoch werden die Schlussplä­doyers gehalten.

 ?? FOTO: DAVID-WOLFGANG EBENER ?? Am Gericht in Rottweil fand am Dienstag der dritte Verhandlun­gstag statt.
FOTO: DAVID-WOLFGANG EBENER Am Gericht in Rottweil fand am Dienstag der dritte Verhandlun­gstag statt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany