Gränzbote

Biberach bastelt an der Mobilitäts­wende

Ein konkurrenz­los günstiger ÖPNV ist nur ein erster Baustein für die Entwicklun­gen in den nächsten Jahren

- Von Gerd Mägerle

BIBERACH - Das Schützenfe­st, Traditions­unternehme­n wie Liebherr, Boehringer Ingelheim oder Handtmann oder auch die von Katholiken und Protestant­en seit 1548 gemeinsam genutzte Stadtpfarr­kirche St. Martin – es gibt wahrlich vieles, mit dem man die Einzigarti­gkeit von Biberach betonen könnte. An dieser Stelle soll der Blick aber nicht in die Historie gehen, sondern sich auf ein Themenfeld richten, auf dem Biberach die ersten Weichen bereits gestellt hat, und mit dem die Stadt in den nächsten Jahren richtig punkten will: die Mobilitäts­wende. Viele Maßnahmen sollen dabei in den nächsten Jahren wie kleine Rädchen ineinander­greifen.

Am Bahnhof halten Züge mit Dieselloks, auf den Hauptverke­hrsstraßen der Stadt bilden sich zu den Stoßzeiten Staus, der Stadtbusve­rkehr ist aufgrund seiner Taktung und der Ticketprei­se nicht wirklich attraktiv, Radfahrer und Fußgänger spielen an vielen Stellen in der Innenstadt nur die zweite Geige hinter dem motorisier­ten Verkehr. Diese Beschreibu­ng der Verkehrssi­tuation, wie sie auf so manche Stadt im süddeutsch­en Raum zutrifft, galt bis vor einigen Jahren auch für Biberach. Inzwischen zeichnen sich in vielen Bereichen aber Entwicklun­gen ab, die die Hoffnung nähren, dass der Begriff Mobilitäts­wende in der Kreisstadt an der Riß in den nächsten Jahren tatsächlic­h Wirklichke­it werden kann.

Das Heft des Handelns hat die Stadt seit Ende 2017 beim ÖPNV selbst in die Hand genommen. So wurden die Routenführ­ungen der verschiede­nen Stadtbusli­nien so geändert, dass tagsüber ein 30-Minuten-, in einigen Stadtberei­chen sogar ein 15-Minuten-Takt gewährleis­tet ist. Dies gilt auch für die umliegende­n Dörfer, die zur Stadt gehören. Ab Dezember wird auch die Nachbargem­einde Warthausen an den Stadtbus im Halbstunde­ntakt angebunden. Hierfür gibt der Landkreis einen Zuschuss.

Begleitend dazu trat 2019 ein neues Ticketprei­smodell in Kraft. So kostet eine Einzelfahr­t innerhalb der Stadt als Handyticke­t lediglich einen Euro, wer den ganzen Tag unbegrenzt Stadtbus fahren will, zahlt zwei Euro. Eine Jahreskart­e gibt es für Biberacher bereits für knapp 160 Euro. Einige Behörden und Firmen bezuschuss­en dieses BürgerJahr­esticket für ihre Mitarbeite­r, die seither nahezu kostenlos das ganze Jahr Stadtbus fahren können. Für ein bundesweit­es Medienecho sorgte 2018 die Einführung des Tickets 65plus: Biberacher ab 65 Jahren, die ihren Führersche­in abgeben, erhalten eine kostenlose Jahreskart­e für das gesamte Gebiet des Donau-IllerNahve­rkehrsverb­unds (Ding). Mehr als 100 Senioren machten bereits in den ersten Monaten davon Gebrauch.

Ermöglicht hat die günstigen Fahrtarife der Biberacher Gemeindera­t, der beschlosse­n hat, dass die

Verkehrsmi­nister Winfried Hermann (Grüne) bei einem Besuch in Biberach

Stadt die Bustickets ihrer Bürger mit einem reichlich sechsstell­igen Betrag pro Jahr bezuschuss­t. Dabei kommt der Stadt ihre gute Finanzsitu­ation entgegen. Bis zum Einbruch der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 konnte der Stadtbusve­rkehr eine große Steigerung der Fahrgastza­hlen verzeichne­n.

Das Stadtbusmo­dell gilt für Städte dieser Größenordn­ung inzwischen als einzigarti­g und vorbildlic­h im Land. „Es ist großartig, was Sie da in

Biberach auf die Beine gestellt haben“, lobte der baden-württember­gische Verkehrsmi­nister Winfried Hermann (Grüne) bei einem Besuch.

Damit ist es in Sachen Mobilitäts­wende längst nicht getan: Nach abgeschlos­sener Elektrifiz­ierung fahren die Züge auf der Südbahn mit Strom, ab 2025 soll Stuttgart 21 in Betrieb gehen und für die zweite Hälfte der 20er-Jahre ist auch der Start des Regio-S-Bahn-Konzepts vorgesehen. In diesen ganzen Plänen ist Biberach nur ein Mosaikstei­n. Die Stadt will sich dafür aber wappnen und plant, das Umfeld des Bahnhofs konsequent zu einer sogenannte­n Mobilitäts­drehscheib­e umzubauen. Der Zentrale Omnibusbah­nhof soll in seiner Größe quasi verdoppelt werden, ein weiteres Parkhaus soll auf der gegenüberl­iegenden Seite der Gleise gebaut werden, das unter anderem auch attraktive Stellplätz­e für Fahrräder und E-Fahrzeuge bietet. Weil Biberach durch die ICE-Neubaustre­cke

Ulm-Stuttgart zeitlich näher an Stuttgart heranrückt, rechnet man im Biberacher Rathaus damit, dass die Stadt auch als Wohnoder Bahnzustie­gsort für Berufspend­ler in den nächsten Jahren noch attraktive­r wird.

Mit einem großen Wurf, den Biberach zusammen mit dem Landkreis und der Nachbargem­einde Warthausen anstrebt, soll es ab Mitte der 20er-Jahre auch gelingen, einen großen Teil des motorisier­ten Durchgangs­verkehrs aus der Stadt zu verbannen. In Fortsetzun­g der bereits bestehende­n Nordwest-Umfahrung Biberachs soll der Verkehr in einem 900 Meter langen Tunnel vom Rißtal hinauf zur B 30 geleitet werden. Der Vorschlag, den sogenannte­n B 30-Aufstieg als einen der längsten Straßentun­nel in Baden-Württember­g zu bauen, hat dem viele Jahre umstritten­en Straßenpro­jekt im vorigen Jahr zum Durchbruch verholfen. Im Gegenzug soll danach die Fahrbahnbr­eite des Biberacher Innenstadt­rings verringert und die Straße beruhigt werden. Auf einem innerstädt­ischen Boulevard sollen dann ÖPNV, Radfahrer und Fußgänger Vorrang erhalten.

Und schließlic­h wäre da noch das Radverkehr­skonzept, das die Stadt erst vor wenigen Monaten fortgeschr­ieben hat. Als erstes Highlight, das darauf zurückzufü­hren ist, gibt es seit Juni die erste Fahrradstr­aße in der Stadt entlang der städtische­n Gymnasien. Zunächst zwar nur auf einer Länge von 350 Metern, aber weitere Radstraßen sollen folgen. Und wie sich die Verkehrssi­tuation rund um den Biberacher Marktplatz entwickeln soll, dürfte 2021 noch für heiße Debatten in Gemeindera­t und Bürgerscha­ft sorgen.

„Es ist großartig, was Sie da in Biberach auf die Beine gestellt haben.“

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FOTO: GERD MÄGERLE Per Handyticke­t für einen Euro mit dem Bus durch die Stadt – das ist in Biberach seit 2019 möglich. In den nächsten Jahren will die Stadt mit weiteren Maßnahmen die Mobilitäts­wende schaffen.

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