Schaffe, schaffe, Häusle drucken
In der Nähe von Ulm entsteht ein Mehrfamilienhaus aus dem 3-D-Drucker – Die Innovation ist nicht nur effizient, sie könnte auch den Fachkräftemangel in der Bauwirtschaft lindern
WALLENHAUSEN-WEISSENHORN Yannick Maciejewski steht auf einem Gerüst in rund acht Metern Höhe, der Bauingenieur hält den schenkeldicken Schlauch eines 3-D-Druckers in der Hand. Der füttert den Druckkopf mit Beton, welcher sich unter dem prüfenden Blick Maciejewskis geschmeidig über das Baugerippe bewegt. Ohne viel Lärm fährt der Druckkopf entlang einer beweglichen Achse und spuckt eine Betonschicht nach der anderen aufeinander – in gleichförmigen Bahnen.
So entsteht derzeit ein gedrucktes Mehrfamilienhaus in einem unscheinbaren Dorf im Landkreis Neu-Ulm. In Wallenhausen werden die Wände von fünf Wohneinheiten innerhalb von sechs Wochen hochgedruckt. Bisher wurde mit dem 3-D-Druck am Bau höchstens getestet, Bauteile hergestellt oder Modellhäuser gedruckt – ein komplett zertifiziertes Wohnhaus dieser Größe ist laut Unternehmensangaben eine Weltneuheit. Technologie soll aber nicht nur den Bau effizienter machen – die Innovation soll auch den Fachkräftemangel lindern, welcher der Branche zusetzt.
„Hier ist der Druck richtig gut gelungen“, sagt Maciejewski und zeigt auf die Wand des Untergeschosses. Dort sind die Mauern bereits fertig gedruckt, die Scheiben liegen glatt aufeinander, jede Schicht gleich dick – ungefähr einen Fingerbreit. Neun Tage habe er und sein Team für die doppelschalige Wand des Untergeschosses gebraucht. „Aber dort ist es weniger schön geworden.“Jetzt deutet Maciejewski einen Meter nach oben, auf die Decke des Untergeschosses, die ganz herkömmlich aufgelegt wurde. Die Streifen schmiegen sich hier nicht etwa an die Betonplatte, sie schlagen Wellen. „Das ist aber nicht so schlimm“, versichert Maciejewski, das Team lerne jeden Tag hinzu. „Es gibt keine Erfahrungswerte für das, was wir machen. Wir erarbeiten uns das alles selbst.“
Maciejewski arbeitet für die Peri GmbH aus Weißenhorn, deren Firmenzentrale nur zehn Fahrminuten von der Baustelle entfernt liegt. Peri stellt den Drucker und das Know-how – das Bauunternehmen Rupp ist Partner, hat seinen Sitz ebenfalls in der Region und sorgt dafür, dass am Ende ein schlüsselfertiges Haus steht.
Peri ist mit seinen 9500 Mitarbeitern für Baugerüste und Schalungen bekannt. Beim Druck braucht es jedoch keine Schalung – die Technik gefährdet also eigentlich das Geschäft des Familienunternehmens. Bevor ein anderes Unternehmen ihr Geschäftsmodell zerstört, gründete Peri Anfang 2019 kurzerhand eine eigene Abteilung für Hausdruck. Vor wenigen Wochen druckte das Team ein Einfamilienhaus in Nordrhein-Westfalen – jetzt eben in Wallenhausen.
Auf der Baustelle in Wallenhausen braucht Yannick Maciejewski nur einen weiteren Kollegen, um den Drucker zu bedienen. „Wir prüfen vor allem das Druckverhalten“, sagt er, den Schlauch hat er mittlerweile losgelassen, durch den fließenden Beton wippt dieser jetzt auf und ab. Ist der Baustoff zu flüssig, verlaufen die Schichten zu den Seiten. Dann nimmt Maciejewski per Software etwas Wasser aus der Mischung. „Oder wir drosseln die Geschwindigkeit, es gibt einige Möglichkeiten
Einfluss auf den Drucker zu nehmen.“Doch was ist eigentlich der Unterschied zum herkömmlichen Bau?
Keine Schalung, keine Glättkelle, kein Anrühren des Betons, kein Schleppen und Stapeln – alles automatisiert, alles schneller, erklärt Meyer-Brötz – er ist Leiter der Abteilung Hausdruck bei Peri und Maciejewskis Vorgesetzter. Wirklich außergewöhnlich sei jedoch die Formfreiheit. Alles abseits des rechteckigen Baus ist derzeit kaum bezahlbar, der 3-DDrucker zaubert derweil ohne
Mehraufwand gebogene Wände und runde Zimmer. Peris sogenannter Portaldrucker habe außerdem einen großen Vorteil: Er muss nur einmal kalibriert werden. Andere Drucker müssten derweil immer wieder neu versetzt und ausgerichtet werden.
Nicht nur der Drucker ist in der deutschen Baubranche eine Neuheit. Auch im Baustoff steckt Technologie. Der besondere Beton namens „Itech 3D“wurde von Heidelberg Cement extra für Baudrucker entwickelt. Laut dem Unternehmen ist das Material pumpbar und lässt sich gleichmäßig pressen. Die aufwendige Zusammensetzung und die chemischen Additive machen den Baustoff jedoch teurer als normalen Beton.
Viel Entwicklungsarbeit sei nötig gewesen, damit der Stoff schnell trocknet, um nicht zu verlaufen und die Last der nächsten Schichten tragen zu können. Gleichzeitig darf er aber nicht zu schnell trocknen. Denn die Schichten sollen nicht nur aufeinander liegen, sondern sich zu einer massiven Einheit verbinden.
Andreas Harnack ist Regionalleiter der IG Bau in Baden-Württemberg. Der Gewerkschafter begrüßt die neue Technologie, dass schon bald überall in Deutschland Gebäude gedruckt werden – das bezweifelt Harnack aber. „Ich denke, der Druck wird vorrangig für Baufertigteile erfolgen.“Sein Eigenheim würde er außerdem nicht komplett aus Beton bauen, Stein, Holz und andere, nicht druckbare Baustoffe, bleiben wichtig.
„Es wird jetzt nicht so sein, dass über Nacht überall auf Baustellen nur noch gedruckt wird“, räumt auch Meyer-Brötz ein.
„Die Technologie wird sich aber schneller durchsetzen, als manche denken.“Die Potenziale seien riesig und nicht zu unterschätzen. Schnelleres und effizienteres Bauen, weniger Materialverbrauch und nicht zuletzt könnte es die gesamte Branche entlasten, die unter dem Fachkräftemangel ächzen würde.
„In zehn Jahren werden wir ein richtiges Problem haben“, prognostiziert auch Fabian Rupp, Bauunternehmer und Bauherr des gedruckten Mehrfamilienhauses in Wallenhausen. Die Branche sei unattraktiv, im Südwesten stehen Bauunternehmen wie seines zudem in enormer Konkurrenz zur Industrie, erklärt Rupp. „Die zahlen besser, gleichzeitig ist die Arbeit weniger körperlich anstrengend.“Mit dem 3-D-Druck braucht Rupp weniger Leute, setzt diese besser ein und kann den Nachwuchs für den Bau begeistern.
Die Bauwirtschaft bildet nicht nur zu wenig Fachkräfte aus, sie kann die Ausgebildeten auch nicht halten, klagt Gewerkschafter Harnack von der IG Bau. Von den Facharbeitern bleiben der Branche nur rund ein Drittel langfristig erhalten. Die anderen zwei Drittel verlassen nach der Ausbildung oder nach ein paar Jahren ihr Handwerk und suchen nach besseren Arbeitsbedingungen.
Der Trend verlaufe außerdem weg von der klassischen Ausbildung und hin zum Studieren, sagt Harnack. Auch die Montagearbeit schrecke die junge Generation ab: „Die wollen Privat- und Berufsleben in Einklang bringen, nicht mehr wochenlang unterwegs sein.“Eine Gefahr für Arbeitsplätze sieht Harnack in der digitalisierten Konkurrenz aber nicht – sich dem Fortschritt zu verweigern, sei die größere Gefahr.
Billige Arbeitskräfte sind ein weiterer Grund für die träge Entwicklung, sagt Gewerkschaftler Harnack. Seit den 1990er-Jahren beschäftigten viele Bauunternehmen immer mehr Arbeiter aus Osteuropa. Die seien enorm wichtig, und werden auch immer öfter anständig bei deutschen Firmen angestellt. Dennoch: „Billige Arbeit verhindert Innovation.“
Der 3-D-Drucker kann aber nur ein Puzzle-Teil einer größeren Strategie sein, sagt Alexander Rother von der Bauwirtschaft BadenWürttemberg. Auf der Webseite präsentiert sich der Berufsverband selbstkritisch. Auf dem Bau gebe es noch viel Potenzial für digitale Innovationen – „dennoch gehören Tablets, Drohnen und computergestützte Anwendungen schon zum Arbeitsalltag“, sagt Rother. Die Berufe werden also abwechslungsreicher, langsam aber sicher.
Auf der Baustelle in Wallenhausen führt Fabian Meyer-Brötz ins Untergeschoss. Hier ist die Raumaufteilung der Wohnungen bereits erkennbar. Die Küche etwa – hier hat der Drucker Aussparungen für mehrere Steckdosen und Wasserleitungen hinterlassen. Das sei eine der vielen Erleichterung für die Handwerksbetriebe, sagt Meyer-Brötz.
Schon bald werden die Wände verputzt und aus den Schichten wird eine glatten Wand. Nur an manchen Stellen will Bauherr Fabian Rupp die gewellte Form beibehalten. Ein Raum soll als Showroom dienen. Rupp will das erste Bauunternehmen sein, das für schlüsselfertige Häuser aus dem 3-D-Drucker bekannt ist. Die Tochtergesellschaft „Rupp Gebäudedruck“hat er bereits gegründet.
Oben auf dem Gerüst greift Maciejewski derweil wieder nach dem wild wippenden Schlauch des 3-D-Druckers und bringt ihn unter Kontrolle. Während er von seiner Arbeit mit der neuen Technologie erzählt, tritt Maciejewski unruhig von einem Fuß auf den andern – es ist kalt an diesem Novembertag. Ob er als Ingenieur die Arbeit auf dem Bau, bei Wind und Wetter, mag? „Ich bin gerne draußen auf der Baustelle, aber auch wieder froh, wenn ich im Büro sitze – die Abwechslung machts.“
„Es gibt keine Erfahrungswerte für das, was wir machen. Wir erarbeiten uns das alles selbst.“
Bauingenieur Yannick Maciejewski