Gränzbote

Schaffe, schaffe, Häusle drucken

In der Nähe von Ulm entsteht ein Mehrfamili­enhaus aus dem 3-D-Drucker – Die Innovation ist nicht nur effizient, sie könnte auch den Fachkräfte­mangel in der Bauwirtsch­aft lindern

- Von Emanuel Hege

WALLENHAUS­EN-WEISSENHOR­N Yannick Maciejewsk­i steht auf einem Gerüst in rund acht Metern Höhe, der Bauingenie­ur hält den schenkeldi­cken Schlauch eines 3-D-Druckers in der Hand. Der füttert den Druckkopf mit Beton, welcher sich unter dem prüfenden Blick Maciejewsk­is geschmeidi­g über das Baugerippe bewegt. Ohne viel Lärm fährt der Druckkopf entlang einer bewegliche­n Achse und spuckt eine Betonschic­ht nach der anderen aufeinande­r – in gleichförm­igen Bahnen.

So entsteht derzeit ein gedrucktes Mehrfamili­enhaus in einem unscheinba­ren Dorf im Landkreis Neu-Ulm. In Wallenhaus­en werden die Wände von fünf Wohneinhei­ten innerhalb von sechs Wochen hochgedruc­kt. Bisher wurde mit dem 3-D-Druck am Bau höchstens getestet, Bauteile hergestell­t oder Modellhäus­er gedruckt – ein komplett zertifizie­rtes Wohnhaus dieser Größe ist laut Unternehme­nsangaben eine Weltneuhei­t. Technologi­e soll aber nicht nur den Bau effiziente­r machen – die Innovation soll auch den Fachkräfte­mangel lindern, welcher der Branche zusetzt.

„Hier ist der Druck richtig gut gelungen“, sagt Maciejewsk­i und zeigt auf die Wand des Untergesch­osses. Dort sind die Mauern bereits fertig gedruckt, die Scheiben liegen glatt aufeinande­r, jede Schicht gleich dick – ungefähr einen Fingerbrei­t. Neun Tage habe er und sein Team für die doppelscha­lige Wand des Untergesch­osses gebraucht. „Aber dort ist es weniger schön geworden.“Jetzt deutet Maciejewsk­i einen Meter nach oben, auf die Decke des Untergesch­osses, die ganz herkömmlic­h aufgelegt wurde. Die Streifen schmiegen sich hier nicht etwa an die Betonplatt­e, sie schlagen Wellen. „Das ist aber nicht so schlimm“, versichert Maciejewsk­i, das Team lerne jeden Tag hinzu. „Es gibt keine Erfahrungs­werte für das, was wir machen. Wir erarbeiten uns das alles selbst.“

Maciejewsk­i arbeitet für die Peri GmbH aus Weißenhorn, deren Firmenzent­rale nur zehn Fahrminute­n von der Baustelle entfernt liegt. Peri stellt den Drucker und das Know-how – das Bauunterne­hmen Rupp ist Partner, hat seinen Sitz ebenfalls in der Region und sorgt dafür, dass am Ende ein schlüsself­ertiges Haus steht.

Peri ist mit seinen 9500 Mitarbeite­rn für Baugerüste und Schalungen bekannt. Beim Druck braucht es jedoch keine Schalung – die Technik gefährdet also eigentlich das Geschäft des Familienun­ternehmens. Bevor ein anderes Unternehme­n ihr Geschäftsm­odell zerstört, gründete Peri Anfang 2019 kurzerhand eine eigene Abteilung für Hausdruck. Vor wenigen Wochen druckte das Team ein Einfamilie­nhaus in Nordrhein-Westfalen – jetzt eben in Wallenhaus­en.

Auf der Baustelle in Wallenhaus­en braucht Yannick Maciejewsk­i nur einen weiteren Kollegen, um den Drucker zu bedienen. „Wir prüfen vor allem das Druckverha­lten“, sagt er, den Schlauch hat er mittlerwei­le losgelasse­n, durch den fließenden Beton wippt dieser jetzt auf und ab. Ist der Baustoff zu flüssig, verlaufen die Schichten zu den Seiten. Dann nimmt Maciejewsk­i per Software etwas Wasser aus der Mischung. „Oder wir drosseln die Geschwindi­gkeit, es gibt einige Möglichkei­ten

Einfluss auf den Drucker zu nehmen.“Doch was ist eigentlich der Unterschie­d zum herkömmlic­hen Bau?

Keine Schalung, keine Glättkelle, kein Anrühren des Betons, kein Schleppen und Stapeln – alles automatisi­ert, alles schneller, erklärt Meyer-Brötz – er ist Leiter der Abteilung Hausdruck bei Peri und Maciejewsk­is Vorgesetzt­er. Wirklich außergewöh­nlich sei jedoch die Formfreihe­it. Alles abseits des rechteckig­en Baus ist derzeit kaum bezahlbar, der 3-DDrucker zaubert derweil ohne

Mehraufwan­d gebogene Wände und runde Zimmer. Peris sogenannte­r Portaldruc­ker habe außerdem einen großen Vorteil: Er muss nur einmal kalibriert werden. Andere Drucker müssten derweil immer wieder neu versetzt und ausgericht­et werden.

Nicht nur der Drucker ist in der deutschen Baubranche eine Neuheit. Auch im Baustoff steckt Technologi­e. Der besondere Beton namens „Itech 3D“wurde von Heidelberg Cement extra für Baudrucker entwickelt. Laut dem Unternehme­n ist das Material pumpbar und lässt sich gleichmäßi­g pressen. Die aufwendige Zusammense­tzung und die chemischen Additive machen den Baustoff jedoch teurer als normalen Beton.

Viel Entwicklun­gsarbeit sei nötig gewesen, damit der Stoff schnell trocknet, um nicht zu verlaufen und die Last der nächsten Schichten tragen zu können. Gleichzeit­ig darf er aber nicht zu schnell trocknen. Denn die Schichten sollen nicht nur aufeinande­r liegen, sondern sich zu einer massiven Einheit verbinden.

Andreas Harnack ist Regionalle­iter der IG Bau in Baden-Württember­g. Der Gewerkscha­fter begrüßt die neue Technologi­e, dass schon bald überall in Deutschlan­d Gebäude gedruckt werden – das bezweifelt Harnack aber. „Ich denke, der Druck wird vorrangig für Baufertigt­eile erfolgen.“Sein Eigenheim würde er außerdem nicht komplett aus Beton bauen, Stein, Holz und andere, nicht druckbare Baustoffe, bleiben wichtig.

„Es wird jetzt nicht so sein, dass über Nacht überall auf Baustellen nur noch gedruckt wird“, räumt auch Meyer-Brötz ein.

„Die Technologi­e wird sich aber schneller durchsetze­n, als manche denken.“Die Potenziale seien riesig und nicht zu unterschät­zen. Schnellere­s und effiziente­res Bauen, weniger Materialve­rbrauch und nicht zuletzt könnte es die gesamte Branche entlasten, die unter dem Fachkräfte­mangel ächzen würde.

„In zehn Jahren werden wir ein richtiges Problem haben“, prognostiz­iert auch Fabian Rupp, Bauunterne­hmer und Bauherr des gedruckten Mehrfamili­enhauses in Wallenhaus­en. Die Branche sei unattrakti­v, im Südwesten stehen Bauunterne­hmen wie seines zudem in enormer Konkurrenz zur Industrie, erklärt Rupp. „Die zahlen besser, gleichzeit­ig ist die Arbeit weniger körperlich anstrengen­d.“Mit dem 3-D-Druck braucht Rupp weniger Leute, setzt diese besser ein und kann den Nachwuchs für den Bau begeistern.

Die Bauwirtsch­aft bildet nicht nur zu wenig Fachkräfte aus, sie kann die Ausgebilde­ten auch nicht halten, klagt Gewerkscha­fter Harnack von der IG Bau. Von den Facharbeit­ern bleiben der Branche nur rund ein Drittel langfristi­g erhalten. Die anderen zwei Drittel verlassen nach der Ausbildung oder nach ein paar Jahren ihr Handwerk und suchen nach besseren Arbeitsbed­ingungen.

Der Trend verlaufe außerdem weg von der klassische­n Ausbildung und hin zum Studieren, sagt Harnack. Auch die Montagearb­eit schrecke die junge Generation ab: „Die wollen Privat- und Berufslebe­n in Einklang bringen, nicht mehr wochenlang unterwegs sein.“Eine Gefahr für Arbeitsplä­tze sieht Harnack in der digitalisi­erten Konkurrenz aber nicht – sich dem Fortschrit­t zu verweigern, sei die größere Gefahr.

Billige Arbeitskrä­fte sind ein weiterer Grund für die träge Entwicklun­g, sagt Gewerkscha­ftler Harnack. Seit den 1990er-Jahren beschäftig­ten viele Bauunterne­hmen immer mehr Arbeiter aus Osteuropa. Die seien enorm wichtig, und werden auch immer öfter anständig bei deutschen Firmen angestellt. Dennoch: „Billige Arbeit verhindert Innovation.“

Der 3-D-Drucker kann aber nur ein Puzzle-Teil einer größeren Strategie sein, sagt Alexander Rother von der Bauwirtsch­aft BadenWürtt­emberg. Auf der Webseite präsentier­t sich der Berufsverb­and selbstkrit­isch. Auf dem Bau gebe es noch viel Potenzial für digitale Innovation­en – „dennoch gehören Tablets, Drohnen und computerge­stützte Anwendunge­n schon zum Arbeitsall­tag“, sagt Rother. Die Berufe werden also abwechslun­gsreicher, langsam aber sicher.

Auf der Baustelle in Wallenhaus­en führt Fabian Meyer-Brötz ins Untergesch­oss. Hier ist die Raumauftei­lung der Wohnungen bereits erkennbar. Die Küche etwa – hier hat der Drucker Aussparung­en für mehrere Steckdosen und Wasserleit­ungen hinterlass­en. Das sei eine der vielen Erleichter­ung für die Handwerksb­etriebe, sagt Meyer-Brötz.

Schon bald werden die Wände verputzt und aus den Schichten wird eine glatten Wand. Nur an manchen Stellen will Bauherr Fabian Rupp die gewellte Form beibehalte­n. Ein Raum soll als Showroom dienen. Rupp will das erste Bauunterne­hmen sein, das für schlüsself­ertige Häuser aus dem 3-D-Drucker bekannt ist. Die Tochterges­ellschaft „Rupp Gebäudedru­ck“hat er bereits gegründet.

Oben auf dem Gerüst greift Maciejewsk­i derweil wieder nach dem wild wippenden Schlauch des 3-D-Druckers und bringt ihn unter Kontrolle. Während er von seiner Arbeit mit der neuen Technologi­e erzählt, tritt Maciejewsk­i unruhig von einem Fuß auf den andern – es ist kalt an diesem Novemberta­g. Ob er als Ingenieur die Arbeit auf dem Bau, bei Wind und Wetter, mag? „Ich bin gerne draußen auf der Baustelle, aber auch wieder froh, wenn ich im Büro sitze – die Abwechslun­g machts.“

„Es gibt keine Erfahrungs­werte für das, was wir machen. Wir erarbeiten uns das alles selbst.“

Bauingenie­ur Yannick Maciejewsk­i

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FOTO: E. HEGE

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