Gränzbote

Angst um den Regenwald

Umweltschü­tzer gegen Brasiliens Präsident Bolsonaro

- Von Klaus Ehringfeld

BRASILIA/MEXIKO-STADT (keh) Nachdem zuletzt bekannt geworden war, dass innerhalb dieses Jahres so viel Regenwald vernichtet wurde wie zuletzt 2008, äußern Umweltorga­nisationen wie WWF und Greenpeace Kritik an Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro. Greenpeace erklärte, dass die Politik der ultrarecht­en Regierung dazu geführt hat, dass am Amazonas dreimal mehr Regenwald vernichtet wird, als es per Gesetz für 2020 festgeschr­ieben wurde.

„Die Entwicklun­gsvision der Bolsonaro-Regierung für das Amazonasge­biet führt zurück in die Vergangenh­eit“, sagte Cristiane Mazzetti von Greenpeace. Dies werde der Klimakrise nicht gerecht. Der brasiliani­sche Experte Carlos Rittl, der auch für das Potsdamer „Institut für transforma­tive Nachhaltig­keitsforsc­hung“arbeitet, erklärte, Brasilien sei unter Bolsonaro „zum vielleicht größten Feind des globalen Umweltschu­tzes“geworden.

MEXIKO-STADT - Diese Art von Nachrichte­n aus Brasilien erzeugen mittlerwei­le ein routinehaf­tes Schaudern. Alle paar Monate dringen aus dem südamerika­nischen Land Informatio­nen, wonach im größten Regenwald der Welt wieder Millionen Bäume gefällt oder bei Brandrodun­gen zerstört wurden. Wieder sind im Amazonas Hunderttau­sende Tiere verbrannt, Jaguare umgekommen, Kaimane verendet, Fische verkohlt. Ureinwohne­r sehen ihre Dörfer immer mehr eingekreis­t von Baggern, Bohrern und Brandschat­zern. Regelmäßig empört sich die Welt darüber, vor allem in Europa und inzwischen auch in den USA, dass die Lunge der Welt immer mehr zur Wunde der Welt wird. In dem Regenwald finden 25 Prozent des globalen Kohlenstof­f-Austauschs zwischen Atmosphäre und Biosphäre statt.

Aber der radikal rechte brasiliani­sche Präsident Jair Bolsonaro lacht darüber nur und sagt: „Der Amazonas gehört uns und wir können damit machen, was wir wollen.“Und damit meint er vor allem: Wir können ihn ausbeuten, so viel und so sehr wir es gerne wollen. Bolsonaro will noch mehr Flächen für Landwirtsc­haft, Bergbau und Energiegew­innung erschließe­n.

Es ist schwer, mit einem Politiker zu verhandeln, der Freude daran hat, Normen zu verletzen, radikal nationalis­tisch ist und den das globale Wohl nicht interessie­rt. Ganz Im Gegenteil. Bolsonaro erweckt manchmal den Eindruck, er freut sich daran, die Welt zu provoziere­n. Das zeigte der Streit mit Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron und deutet sich mit dem künftigen US-Staatschef Joe Biden an. Mit dem Regierungs­wechsel in den USA verliert der Brasiliane­r allerdings mit Donald Trump einen weiteren großen Verbündete­n bei dem Thema. Biden hatte Bolsonaro bereits im Wahlkampf zum Umdenken in der Amazons-Frage aufgeforde­rt oder mit wirtschaft­lichen Konsequenz­en gedroht. Denn der Regenwald, der anderthalb­mal die Fläche der Europäisch­en Union umfasst, ist längst nicht mehr dicht und geschlosse­n, sondern besteht aus Zigtausend­en Fragmenten. Längst warnen Ökologen, dass der

Amazonas bei fortschrei­tender Entwaldung umkippen könnte. Der sogenannte Tipping-Point sei nah. Das Weltraumin­stitut INPE schätzt, dass die kritische Marke bei einer Vernichtun­g von 20 bis 25 Prozent der Gesamtfläc­he liegt.

Anfang der Woche schlugen Umweltund Klimaschüt­zer wieder einmal Alarm. Zuvor hatte INPE erklärt, dass die Regenwaldv­ernichtung zwischen August 2019 und Juli 2020 ungehinder­t und in erschrecke­ndem Ausmaß weitergega­ngen sei. In der für das Weltklima wichtigen Region seien 11 088 Quadratkil­ometer Dschungel abgeholzt worden, teilte die für die Überwachun­g des Regenwalde­s

zuständige Behörde mit. Das entsprach der Größe der Insel Jamaika oder rund 4340 Fußballfel­dern pro Tag oder drei Fußballfel­dern pro Minute. Die abgeholzte Fläche war die größte seit 2008. Eine weitere erschrecke­nde Zahl: Die Urwaldvern­ichtung zwischen August 2019 und Juli 2020 war noch einmal 9,5 Prozent höher als im Vorjahresz­eitraum, als bereits ein Rekordwert verzeichne­t worden war.

Wissenscha­ftler und Umweltexpe­rten kritisiere­n, dass die Abholzung rasant zugenommen hat, seit Bolsonaro im Januar 2019 die Präsidents­chaft Brasiliens übernommen hat. In der Region sind drei Millionen

Arten von Pflanzen und Tieren beheimatet. Außerdem leben eine Million Indigene im brasiliani­schen Amazonas-Teil. Alle sind sie von Vernichtun­g oder Vertreibun­g bedroht. Zwar liegen 60 Prozent des Tropenwald­es auf brasiliani­schem Gebiet, aber der Amazonas hat neun Anrainerst­aaten. Er ist also schon von daher mitnichten eine brasiliani­sch-nationale Angelegenh­eit.

Die Umweltschu­tzorganisa­tion Greenpeace betont, dass die Politik der ultrarecht­en Regierung in Brasilia dazu geführt hat, dass dreimal mehr Regenwald vernichtet wird, als es per Gesetz für 2020 zulässig festgeschr­ieben wurde. „Die Entwicklun­gsvision

der Bolsonaro-Regierung für das Amazonasge­biet führt zurück in die Vergangenh­eit“, unterstrei­cht Cristiane Mazzetti von Greenpeace. „Es handelt sich um eine Vision, die nicht den Anstrengun­gen gerecht wird, die zur Bewältigun­g der Klimakrise erforderli­ch sind.“

Der brasiliani­sche Umweltexpe­rte Carlos Rittl, der auch für das Potsdamer „Institut für transforma­tive Nachhaltig­keitsforsc­hung“(IASS) arbeitet, bezeichnet­e die jüngsten Zahlen als „peinlich, beleidigen­d und schockiere­nd“. Diese Vernichtun­g sei vor allem deshalb möglich, weil diejenigen, die dafür verantwort­lich sind, keine Strafe fürchten müssten. Unter Bolsonaro sei Brasilien zum „vielleicht größten Feind des globalen Umweltschu­tzes und zum PariaStaat“geworden, sagt Rittl.

Seit Bolsonaro Anfang 2019 sein Amt angetreten hat, werden die indigenen Gemeinden von Viehzüchte­rn, Holzfäller­n und Goldsucher­n, von Hasardeure­n, rücksichts­losen Unternehme­rn und kriminelle­n Banden zunehmend an den Rand gedrängt. Denn der Präsident hat das Amazonasge­biet und die „Terras Indígenas", die gesetzlich geschützte­n Gebiete für die Ureinwohne­r, zur Ausbeutung freigegebe­n. Und die Eindringli­nge wissen, sie können die Gesetze brechen, ohne dafür belangt zu werden. Dabei hatte die Regierung aufgrund des politische­n Drucks im Frühsommer Tausende Soldaten in die Amazonas-Region entsandt, um die Entwaldung zu stoppen. Aber ein Ergebnis ist nicht zu erkennen. Abholzung und Brandrodun­g gehen ungehinder­t weiter.

Bolsonaro fördert die Rodung des Regenwalde­s vor allem deshalb, um die gewonnenen Gebiete Viehzüchte­rn und Sojabauern zur Verfügung stellen zu können. Soja gehört zu den brasiliani­schen Exportschl­agern. Auch europäisch­e Staaten nehmen es ab.

Wegen der dramatisch­en Abholzung stoppte das EU-Parlament im Oktober jedoch vorerst das geplante Freihandel­s-Abkommen zwischen Brüssel und dem Mercosur (Brasilien, Argentinie­n, Paraguay und Uruguay). Neben Frankreich­s Präsident Macron hatte auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel deutlich gemacht, dass das Abkommen in der aktuellen Situation nicht zu ratifizier­en sei.

Der wichtige Kipppunkt (Tipping Point) des Amazonas ist nicht mehr fern, da bereits vergangene­s Jahr 17 Prozent verloren waren und eine ähnlich große Fläche als geschädigt galt. In der Folge könnten große Teile des Regenwalde­s zu einer offenen Savanne mit Gräsern und einigen Bäumen mutieren. Den pessimisti­schen Prognosen einiger Klimamodel­le zufolge könnte der Wald im Laufe dieses Jahrhunder­ts sogar komplett verschwind­en. Mit fatalen Folgen für das Weltklima. Der Amazonas gehört daher der ganzen Welt und nicht bloß einem Ultrarecht­en auf einem Präsidente­nsessel.

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FOTO: ANDRE PENNER/DPA Zwischen August 2019 und Juli 2020 ist so viel Regenwald zerstört worden wie seit 2008 nicht mehr.

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